Plan. (Schöne Künste) Jedes Werk, das einen bestimmten Endzweck hat, muss, wenn es vollkommen sein soll, in seiner Materie und in seiner Form, so beschaffen sein, wie die Erreichung des Endzwecks es erfordert. Indem der Urheber eines solchen Werks den Endzweck desselben, die Wirkung, die es tun soll, vor Augen hat, überlegt er, durch welche Mittel der Endzweck zu erhalten sei. Wann er die Mittel entdeckt hat, so sucht er auch die beste Anordnung, nach welcher eines auf das andere folgen müsse. Durch diese Überlegung bestimmt er die Hauptteile seines Werks, nach ihrer materiellen Beschaffenheit und die Ordnung, in der sie auf einander folgen müssen.
Dieses wird der Plan des Werks genannt. Wenn z.B. der Endzweck eines Redners ist, uns von der Wahrheit einer Sache zu überzeugen; so überlegt er, was für Vorstellungen dazu gehören, diese Überzeugung zu bewirken. Dadurch erfindet er die verschiedenen Sätze und Vorstellungen, von denen in seinem gegenwärtigen Falle die Überzeugung abhängt, das ist er erfindet einen Vernunftschluß, aus dessen deutlichem Vortrag die Überzeugung erfolgen muss. Nun überlegt er auch nach den Umständen die beste Form dieses Schlusses und findet endlich, es sei zu Erreichung seiner Absicht nötig, dass die Hauptsätze A, B, C,
u.s.w. deutlich entwickelt werden und dass sie in der Ordnung A, B, C u.s.w. oder C, B, A auf einander folgen müssen. Jetzt ist der Plan der Rede entworfen. Auf ähnliche Weise wird jeder andere Plan gemacht; der allemal anzeigt, was für Hauptteile zu einem Werk erfordert werden und in welcher Ordnung sie stehen müssen. Wenn dieses gefunden worden, so kommt es danach darauf an, jeden Teil so zu machen, wie er nach dem Plan sein soll und denn alle in der festgesetzten Ordnung zu verbinden.
Also ist bei jedem Werke von bestimmtem Endzweck die Erfindung des Plans die Hauptsach, ohne welche das Werk seinen Zweck nicht erreichen kann. Indessen zeigt der Plan nur, was zum Werke nötig sei und es ist gar wohl möglich, dass er sehr wohl erfunden ist und doch gar nicht oder schlecht ausgeführt wird; weil es dem Erfinder desselben, an der nötigen Wissenschaft und Kunst fehlt, das was nötig wäre, wirklich darzustellen. Sowohl in mechanischen als in schönen Künsten ist es möglich, dass ein der Kunst unerfahrner die Hauptteile des Planes zu erfinden oder anzugeben weiß, es kann auch sein, dass er die Anordnung derselben zu bestimmen im Stand und bei dem allen doch völlig untüchtig ist, diesen Plan auszuführen. So könnte der gemeinste Handwerksmann, der ein Haus will bauen lassen, gar wohl Überlegung genug haben zu bestimmen, aus wie viel und aus was für Stücken das Haus bestehen sollte; denn er weiß, was er braucht; vielleicht aber würde er sie sehr ungeschickt anordnen. Und wenn er auch überhaupt noch eine gute Anordnung in Absicht auf die Bequemlichkeit anzugeben vermöchte; so könnte es leicht sein, dass diese Anordnung dem Ganzen eine sehr unschickliche Form geben würde.
Hieraus lässt sich abnehmen, dass gewisse zum Plan gehörige Dinge, außer der Kunst liegen und durch richtige Beurteilung auch von einem der Kunst völlig unerfahrnen, könnten bestimmt werden; hingegen andere nur von Kenntnis und Erfahrung in der Kunst, abhangen. Wir müssen aber diese Betrachtungen, besonders auf die Werke der schönen Kunst anwenden.
Zuerst scheint dieses eine Untersuchung zu verdienen, ob jedes Werk des Geschmacks notwendig nach einem Plan müsse gemacht sein. Der Plan wird durch die Absicht bestimmt und je genauer diese bestimmt ist, je näher wird es auch der Plan. Nun gibt es Werke der Kunst, die keinen anderen Zweck haben als dass sie sollen angenehm in die Sinne fallen, deren einziger Wert in der Form besteht. Eine Sonnate und viel andere kleine Tonstücke, eine Vase, die bloß zur Ergötzung des Auges irgend wohin gesetzt wird und viel dergleichen Dinge, haben nichts materielles, das eine bestimmte Wirkung tun sollte. Hier hat also kein anderer Plan statt als der auf Schönheit abzielt. Die Absicht ist erreicht, wenn ein solches Werk ange nehm in die Sinne fällt; sie sind im engsten Verstand Werke des Geschmacks und bloß des Geschmacks, an deren Verfertigung das Nachdenken und die Überlegung, insofern sie außer dem Geschmack liegen, keinen Anteil haben.
Wie groß und weitläufig ein solches Werk auch sei, so ist bei dessen Plan allein auf Schönheit zu sehen, alle Teile müssen ein wohl geordnetes Ganzes machen. In den Teilen muss Mannigfaltigkeit und gutes Verhältnis anzutreffen sein; die kleinsten Teile müssen genau verbunden und in größere Hauptglieder angeschlossen; alles muss wohl gruppirt und nach dem besten metrischen Ebenmaße abgepasst sein. Jeder Fehler gegen diesen Plan ist in solchen Werken ein wesentlicher Fehler; weil er durch nichts ersetzt wird. So müssen in der Musik alle Stücke, die keine Schilderungen der Empfindung enthalten, mit weit mehr Sorgfalt nach allen Regeln der Harmonie und Melodie gearbeitet sein als Arien oder Gesänge, welche die Sprache der Leidenschaften ausdrücken; der Tanz der nichts Pantomimisches hat, muss in jeder kleinen Bewegung weit strenger als das pantomimische Balett, nach allen Regeln der Kunst eingerichtet sein. In Gemälden von wichtigem Inhalt, übersieht man kleinere Fehler gegen die vollkommene Haltung, Harmonie und gegen das Kolorit; aber in kleinen Stücken, deren Inhalt nichts interessantes hat, muss alles vollkommen sein.
Ganz anders verhält es sich mit Werken, deren Inhalt schon für sich merkwürdig oder wichtig ist. Der Plan der Schönheit, der in jenen Werken das einzige Wesentliche der ganzen Sache ist, kann hier als eine Nebensach angesehen werden. Doch kann man ihn auch nicht, wie selbst gute Kunstrichter seit einiger Zeit unter uns scheinen behaupten zu wollen, ganz aus den Augen setzen; wo nicht ein Werk völlig aufhören soll ein Werk der schönen Kunst zu sein. Es fängt jetzt beinahe an unter den deutschen Kunstrichtern Mode zu werden, von den eigentlichen Kunstregeln mit Verachtung zu sprechen und eben diese Kunstrichter sind sehr nahe daran den Wörtern Theorie, Plan, Kunstregel, Kunstrichter eine schimpfliche Bedeutung zu geben. Wir müssen dieses unter die übrigen Sünden unserer Zeit rechnen, die allemal von Leuten begangen werden, die zwar zu viel Gefühl und Nachdenken haben, um, wie der gemeine Haufe, sich an gewöhnliche Formulare zu binden; aber sich zu wenig Mühe geben, bis auf den wahren Grund der Dinge einzudringen, um von dort aus als aus dem einzigen zuverlässigen Augenpunkt, die Sachen zu übersehen.
Wer sagt, dass ein Künstler, der im Stand ist, wie etwa Shakespear , durch die große Wichtigkeit der Materie zu interessieren, alle Kunstregeln verachten müsse, spricht ohne die Sachen genugsam überlegt zu haben. Nach seiner Maxime müsste er notwendig die neueren Maler vermahnen, etwas so steifes und kunstmäßiges als die Perspektive ist, zu verachten und wegzuwerfen, weil die Alten, die sie nicht beobachtet haben, einzelne Figuren weit schöner und nachdrücklicher gezeichnet haben als die Neueren. Er müsste behaupten, dass es in vielen Antiken, wo alle zum Inhalt des Gemäldes gehörige Figuren, ohne andere Verbindung und Gruppirung auf einer geraden Linie neben einander gestellt sind, eine Schönheit mehr ist, dass alle bloß auf die Kunst gehende Regeln in solchen Stücken übertreten sind. Er müsste sagen, dass in der Musik eine Phantasie, von einem Bach oder Händel, mehr wert sei als jedes andere Werk derselben Virtuosen, wo die Regeln des Takts und des Rhythmus, auf das sorgfältigste beobachtet sind. Er müsste endlich auch behaupten, dass ein gothisches Gebäude, das durch Kühnheit und Größe in Verwunderung setzt, mehr wert sei als die Rotonda oder der Tempel des Theseus in Athen. Diese Folgen sind unvermeidlich, so bald man Werke von großer Materieller Kraft, von allen Banden der schönen Kunst freisprechen will.
Aber es ist Zeit, dass wir auf die nähere Betrachtung des Plans solcher Werke kommen. Laßt uns setzen, ein Künstler habe in der Geschicht eine Begebenheit oder eine Handlung sehr merkwürdiger Art angetrof fen, wobei Personen von großer Sinnesart, Anschläge, Taten und Unternehmungen von großer Kühnheit und andere sehr wichtige Dinge von sittlicher und leidenschaftlicher Art, vorkommen und diesen wichtigen Stoff habe er gewählt, um ein Trauerspiel, eine Epopöe oder ein großes historisches Gemälde daraus zu machen. Hier entsteht also die Frage, was er in Absicht auf den Plan dabei zu überlegen habe.
Das erste wird wohl sein, dass er suchen wird, sich selbst über alles was er bei der Sache fühlt, so viel als möglich ist, Rechenschaft zu geben, alles darin so klar als möglich, zu bestimmen; die nächsten Ursachen der Wirkung der Dinge auf sich zu erforschen und denn auf den Charakter des Gegenstandes überhaupt Achtung zu geben; ob er schlechthin groß sei und nichts als Bewunderung erwecke oder ob er bei der Größe eine Hauptvorstellung des Guten oder des Bösen mit sich führe; ob er vorzüglich den Verstand oder das Herz angreife oder nur die Phantasie reize.
Dergleichen Überlegungen helfen den Hauptbegriff und die Hauptabsicht des Werks etwas näher zu bestimmen; denn es wird sich dabei bald zeigen, ob aus diesem Stoff ein Werk zu machen sei, darin das Pathetische, das Zärtliche, das Wunderbare das den Verstand oder die Phantasie oder die Empfindung ergreift oder irgend ein anderer Hauptcharakter herrschen werde. Nachdem nun ein Hauptcharakter be stimmt worden, wird sich auch die Absicht des ganzen Werks daher bestimmen lassen. Der Künstler wird finden, dass eine Art des Eindrucks darin herrschend sein soll; daher wird er sehen, wenn sein Stoff eine Handlung ist, dass am Ende derselben der Eindruck befestiget und dauerhaft bleiben müsse. Und so wird ein wahrhaftig verständiger Künstler, nicht eben, wie einige vom Heldendichter gefordert haben, eine Lehre, die durch die Handlung, wie durch eine Allegorie erkennt wird, aber doch eine andere, nach Beschaffenheit des Stoffs mehr oder weniger bestimmte Hauptwirkung zur Absicht machen. Außer dieser aber muss er notwendig die allen Werken der Kunst gemeine Absicht haben, dass das was er vorstellt so klar als möglich, gefasst werde, dass nirgend etwas den allgemeinen Geschmack beleidigendes darin vorkomme, wodurch die Aufmerksamkeit gehemmt werden könnte.
Hieraus nun, lässt sich auch abnehmen, was bei einem solchen Werk in Ansehung des Planes zu tun sei. Weil hier das Materielle des Stoffs die Hauptsach ist, so wird zuerst an den Plan zu denken sein, wodurch die Erzählung oder Vorstellung Wahrheit und natürlichen Zusammenhang bekommt. Der Künstler muss nachdenken, wie alles einzurichten sei, dass das, was er geschehen lässt, aus dem vorhandenen erfolgen könne; dass die Handlungen der Personen aus der
Lage der Sachen und aus ihrem Charakter folgen, dass die Charaktere selbst wahrhaft oder in der Natur gegründet scheinen; dass endlich der Ausgang der Sachen so erfolge und dass alles darauf ziele den Haupteindruck zu machen, den der Stoff auf den Künstler selbst gemacht hat und dem zu gefallen er sein Werk unternommen hat. Überall wird der Künstler darauf bedacht sein, dass keine Lücken bleiben, wodurch der Zusammenhang der Dinge würde unterbrochen und das, was geschieht unbegreiflich werden; dass nichts überflüssiges da sei, von dem kein Grund anzugeben ist, u.s.w. Also wird er nach einem Plan seine Materie ordnen und das Einzelne darin erfinden oder wählen.
Nachdem alles Nötige herbeigeschaft und geordnet worden, wird er nun an den Plan der Schönheit denken. Da er aber einen Stoff bearbeitet, der auch ohne äußerliche Schönheit gefällt, so hat er nicht nötig diese so genau zu beobachten als bei einem gleichgültigen Stoff nötig wäre. Er opfert dem äußern Ansehen keine materielle Schönheit auf und wenn nicht beide zugleich bestehen können, so gibt er dieser den Vorzug. Da es aber offenbar ist, dass durch die Schönheit der Form, auch die innere Schönheit einen größeren Nachdruck bekommt, so wird ein Künstler von Geschmack sich allemal Mühe geben, jene so weit zu erreichen als es mit dieser bestehen kann. Dass dieses der wahre Geschmack der Natur selbst sei, lässt sich daraus abnehmen, dass jeder Mensch, der etwa in der Geschichte von der Größe, Hoheit oder Liebenswürdigkeit eines Charakters eingenommen wird, allemal der Person, die diesen Charakter hat, in seiner Phantasie auch ein äußerliches Wesen beilegt, das mit jenem am besten übereinzustimmen scheint. Jedermann ist geneigt den jüngern Scipio sich unter einer hohen, aber liebenswürdigen Gestalt vorzustellen und jedermannn, der die innere Größe des Sokrates bewundert, würde sich sehr unangenehm betroffen finden, wenn man eine Figur, die etwas gemeines oder gar verächtliches hätte, für die wahre Abbildung dieses Philosophen ausgäbe.
Demnach erfordert der gute Geschmack eine sorgfältige Bearbeitung des Plans, sowohl der Materie als der Form: und je vollkommener beide zugleich sein können, je vortreflicher wird das Werk. Freilich verzeihet man der inneren Fürtreflichkeit halber, einen äußerlichen Fehler. Man sieht Figuren vom Hannibal Carrache, die bei dem unangenehmsten Kolorit, durch die Hoheit des Charakters im höchsten Grade gefallen und in antiken Gemälden und flachem Schnitzwerk findet man historische Vorstellungen, die bei gänzlichem Mangel der malerischen Anordnung und Übertretung aller perspektivischen Regeln, ein großes Wohlgefallen erwecken; weil jede Figur redend ist. Aber wer wird leugnen, dass solche Vorstellungen nicht einen Grad der Vortreflichkeit mehr hätten, wenn ohne Abbruch des Innern, auch das Äußere dabei vollkommener wäre?