Pathos; Pathetisch. (Schöne Künste) In einem allgemeinern Sinn drücken diese griechische Wörter zwar das aus, was wir durch die Wörter Leidenschaft und Leidenschaftlich andeuten. Für diesen Ausdruck hätten wir also der fremden Wörter nicht nötig: aber weil sie auch in einer engeren Bedeutung besonders von den Leidenschaften gebraucht werden, die das Gemüt mit Furcht, Schrecken und finsterer Traurigkeit erfüllen, für welche wir kein besonderes deutsches Wort haben, so haben wir sie in diesem Sinn als Kunstwörter angenommen.1
In einem Werke der Kunst ist Pathos, wenn es Gegenstände schildert, die das Gemüt mit jenen finstern Leidenschaften erfüllen. Doch scheint es, dass man bisweilen den Sinn des Wortes auch überhaupt auf die Leidenschaften ausdehne, die wegen ihrer Größe und ihres Ernstes die Seele mit einer Art Schauder ergreifen; weil dabei immer etwas von Furcht mit unterläuft. Und insofern wären auch die feierlichen Psalmen und Klopstocks Oden von hohem geistlichen Inhalt zu dem pathetischen zu zählen. Die Griechen setzten zwar das Pathos überhaupt dem Ethos (dem Sittlichen) entgegen. Aber auch in diesem Gegensatz selbst scheinen sie unter dem Pathos nur das Große der Leidenschaften zu verstehen und das bloß sanft und angenehm Leidenschaftliche, noch unter das Ethos zu rechnen. Longin sagt ausdrücklich, das Pathos sei so genau mit dem Erhabenen verbunden als das Ethos mit dem Sanften und Angenehmen.2
Also besteht das Pathos eigentlich in der Größe der Empfindung und hat weder bei dem bloß Angenehmen, noch überhaupt bei dem gemäßigten Inhalt statt. Die Reden des Demosthenes und des Cicero, über wichtige Staasangelegenheiten, sind meist durchaus pathetisch; weil sie das Gemüt beständig mit großen Empfindungen unterhalten. Die Tragödien der Alten sind in demselben Fall. Hingegen wechselt in der Epopöe das Pathetische sehr oft mit dem Sittlichen und mit dem bloß angenehm Leidenschaftlichen ab. In der hohen Ode herrscht das Pathetische durchaus.
In der Musik herrscht es vorzüglich in Kirchensachen und in der tragischen Oper; wiewohl sie sich selten dahin erhebt. In Grauns Iphigenia ist der Sterbechor sehr pathetisch; und man sagt, dass auch in der Alcestis des R. Gluks viel Pathos sei. Auch der Tanz wäre des Pathetischen fähig; es wird aber dabei völlig vernachlässiget und man sieht nicht sehr selten Ballete, die nach ihrem Inhalt pathetisch sein sollten, in der Ausführung aber bloß ungereimt sind. Unter allen bekannten Tanzmelodien ist auch wirklich keine, die den eigentlichen Charakter des Pathetischen hätte. In Gemälden hat das Pathetische in der Historie, auch in der hohen Landschaft statt. Aber es erfordert einen großen Meister. Raphael, Hannib. Carrache und Poußin sind darin die besten.
Es scheint, dass das Pathetische die Nahrung großer Seelen sei. Künstler von einem angenehmen, fröhlichen sanftzärtlichen Charakter oder solche bei denen eine blumenreiche Phantasie und ein lebhafter Witz herrschend ist, mögen sich sehr selten, bis zum Pathetischen erheben. Auch von Liebhabern der Künste, die diesen Charakter oder dieses Genie haben, wird es nicht vorzüglich geachtet. Darum wird es auch in Frankreich weniger als in England und in Deutschland geschätzt. Bei anderm Stoff kann der Künstler seinem Witz, seinen Geschmack und ein empfindsames zärtliches Herz zeigen; aber hier sehen wir die Stärke seiner Seele und die Größe seiner Empfindungen. Wer diese nicht besitzt, dessen Bestreben das Pathos zu erreichen ist vergeblich; seine Bemühung macht ihn nur schwülstig oder übertrieben. Dieses sehen wir an einigen deutschen Trauerspielen eines guten Dichters, dem die Natur eine angenehme nicht finstere Phantasie, ein empfindsames und zärtliches, nicht ein strenges und großes Herz gegeben hat. Ich merke dieses nicht aus Tadelsucht an; denn ich liebe den Dichter und schätze seine Werke, von angenehmern Inhalt, hoch; dieses Beispiel soll bloß anderen zur Warnung dienen.
Auch muss man sich vor dem Wahn hüten, dass bloß äußerliche fürchterliche Veranstaltungen das wahre Pathos bewirken. Es muss in den Empfindungen und Entschließungen der Personen liegen und beim Schauspiel auf eine mäßige, bescheidene Weise durch das Äußerliche unterstützt werden. In Lessings Emilia Galotti , ist viel pathetisches, ohne schweres Wortgepräng und ohne viel schwarze, fürchterliche Veranstaltungen für das Aug.
Das Pathetische bekommt seinen Wert von der Stärke und der Dauer solcher Eindrücke, die sich auf die wichtigsten Angelegenheiten des Lebens beziehen. Denn vorübergehende Leidenschaften und gemeines Interesse pathetisch zu behandeln, würde mehr ins Komische als ins Ernsthafte fallen: also hat es nur da statt, wo es um das Leben oder um die ganze Glückseligkeit einer Hauptperson, ganzer Familien oder gar ganzer Völker zu tun oder wo der Gegenstand seiner Natur nach ganz erhaben ist. In dem es also die wichtigsten Kräfte der Seele reizt und sie an großen Gegenständen in Wirksamkeit setzt, wird das Herz dadurch gestärkt und sein Empfindungsvermögen erweitert. Darum kann keine Nation in Absicht auf den Flor der schönen Künste sich mit anderen in den Streit um den Vorzug einlassen, bis sie beträchtliche Werke von pathetischem Inhalt aufzuweisen hat.
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1 Aber ganz unschicklich ist es, dass man, wie Hr. Riedel getan, einer Sammlung, die Erklärungen aller Leidenschaften und Beobachtungen über deren Ursprung und Wirkung enthält, den Titel über das Pathos vorsetze. Warum nicht über die Leidenschaften? Denn von jenem Titel erwartet man bloß Gedanken über die schreckhaften und tragischen Leidenschaften.
2 C. XXIX.