Prosodie. (Dichtkunst) Unter diesem Worte versteht man gegenwärtig den Teil der grammatischen Kenntnis einer Sprach, der die Länge und Kürze der Silben und die Beschaffenheit der daraus entstehenden Silbenfüße hauptsächlich für den mechanischen Bau der Verse, bestimmt. Vor vierzig Jahren schien die Prosodie der deutschen Sprache eine Sache die gar wenig Schwierigkeit hätte. Die Dichter schränkten sich auf eine kleine Zahl von Versarten ein, die meistens nur aus einer Art Silbenfüßen bestanden. Von diesen selbst brauchte man nur gar wenige, denen man wegen einiger Ähnlichkeit mit den griechischen und lateinischen Jamben, Spondeen, Trochäen und Daktylen, diese Namen beilegte und ein mittelmäßiges Gehör schien hinlänglich, diese Füße gehörig zu erkennen und zu unterscheiden. Man sah zwar wohl, dass die deutsche Prosodie die Länge der Silben nicht immer nach den Regeln der griechischen oder lateinischen bestimmte; aber der Unterschied machte den Dichtern keine Schwierigkeiten. Seitdem man aber angefangen hat den Hexameter und verschiedene lyrische Silbenmaße der Alten in die deutsche Dichtkunst einzuführen, entstanden Zweifel und Schwierigkeiten, an die man vorher nicht gedacht hatte. Da ich mich über diese Materie nicht weitläufig einlassen kann, begnüge ich mich den Leser auf zwei, vor nicht gar langer Zeit herausgekommene prosodische Schriften zu verweisen.1
Ich gestehe, dass ich über keinen in die Dichtkunst einschlagenden Artikel weniger fähig bin etwas gründliches zu sagen als über diesen. Eine einzige Anmerkung finde ich hier nötig anzubringen.
Jedermann weiß, dass die Prosodie der Alten nur auf einen Grundsatz beruhte: nämlich, dass die Länge und Kürze der Silben, so wie noch gegenwärtig in der Musik, die Geltung der Noten, von dem Akzent unabhänglich und lediglich nach der Dauer der Zeit abzumessen seien. Diesem zu folge hatten die Alten nur zweierlei Silben, lange und kurze. (Denn die sogenannten ancipites oder gleichgültigen, waren doch in besonderen Fällen, von der einen oder der anderen Art.) Diese waren ihrer Dauer nach gerade halb so lang als jene; beide Arten unterschieden sich gerade so wie in der Musik eine halbe Taktnote von dem Viertel. Die ganze Prosodie der Alten gründete sich auf diese Geltung der Silben und die mechanische Richtigkeit des Verses kam genau mit dem überein, was die Richtigkeit der Abmessung des Takts in der Musik ist.
So einfach scheint unsere Prosodie nicht zu sein; denn sie scheint ihre Elemente nicht bloß von der Geltung, sondern auch von dem Akzent oder dem Nachdruck herzunehmen; so wie in der Musik eine lange Note im Aufschlag zwar eben das Zeitmaß be hält, welches sie im Niederschlag hat, aber nicht von demselben Nachdruck ist und in Absicht auf die Note von gleicher Geltung im Niederschlag, für eine kurze melodische Silbe gehalten wird. Unsere Dichter brauchen Silben, die nach dem Zeitmaß offenbar kurz sind als lang; weil sie in Absicht auf den Nachdruck eine innerliche Schweere haben, wie man sich in der Musik ausdrückt. Außer dem lässt sich auch schlechterdings nicht behaupten, dass unsere lange Silben, der Dauer nach alle von einerlei Zeitmaße seien, wie z.B. alle Viertel- oder halbe Noten desselbigen Takts; so wie sich dieses auch von den kurzen nicht behaupten lässt.
Die alten Tonsetzer hatten nicht nötig ihren Noten zum Gesang ein Zeichen der Geltung beizufügen, sie zeigten bloß die Höhe des Tones an. Ein und eben dieselbe Note wurde gebraucht, das, was wir jetzt eine Viertel und eine Achteltaktnote nennen, anzuzeigen; denn die Geltung wurde durch die unter der Note liegenden Silbe hinlänglich bestimmt. Wollten unsere Tonsetzer jetzt eben so verfahren, so würde es ziemlich schlecht mit unseren Melodien aussehen. Daher scheint es mir, dass unsere Prosodie eine weit künstlichere Sache sei als die griechische. Es ist daher sehr zu wünschen, dass ein Dichter von so feinem Ohr, wie Klopstock oder Ramler, sich der Mühe unterzöge, eine deutsche Prosodie zu schreiben. Fürtrefliche Beiträge dazu hat zwar Klopstock bereits ans Licht gestellt, aber das Ganze, auf deutlich entwickelte und unzweifelhafte Grundsätze des metrischen Klanges gebaut, fehlet uns noch und wird schwerlich können gegeben werden als nachdem die wahre Theorie des Metrischen und des Rhythmischen in dem Gesang völlig entwickelt sein wird, woran bis jetzt wenig gedacht worden; weil die Tonsetzer sich bloß auf ihr Gefühl verlassen, das freilich bei großen Meistern sicher genug ist. Eine auf solche Grundsätze gebaute Prosodie, würde denn freilich nicht bloß grammatisch sein, sondern zugleich die völlige Theorie des poetischen Wohlklanges enthalten. Einige sehr gute Bemerkungen über das wahre Fundament unserer Prosodie wird man in der neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften, im 1 Stück des X Bandes in der Recension der Ramlerischen Oden, antreffen.
1 Oests Versuch einer kritischen Prosodie – Frankfurth am Mayn 1765. 8. – Über die deutsche Tonmessung 1766. auf zwei Bogen in 8. ohne Benennung des Druckorts.