Gegensatz

Gegensatz. (Schöne Künste) Wir drücken mit diesem Wort aus, was man sonst mit dem französischen Wort Contrast bezeichnet, nämlich die Erhebung oder lebhaftere Wirkung eines Gegenstandes, insofern sie aus der Vergleichung desselben, mit einem Gegenstand der ihm unähnlich ist, entsteht. Der Gegensatz ist also einigermaßen das Gegenteil der Vergleichung. Diese bewirkt die Lebhaftigkeit der Vorstellung durch Ähnlichkeit; der Contrast bewirkt dieselbe durch Unähnlichkeit. Wenn man einen brutalen Menschen neben einem kaltsinnigen und gelassenen zugleich sieht, so wird unsere Vorstellung von der Heftigkeit des einen durch das gelassene Wesen des anderen lebhafter. Es ist eine bekannte Regel, dass entgegengesetzte Dinge, neben einander gestellt, sich wechselsweise heben. Opposita juxta se posita magis elucescunt. Denn durch die Gegeneinanderhaltung bekommt man nicht allein ein Maß, wonach man die Größe der Gegenstände schätzt, sondern man bekommt zugleich auch einen Begriff von den nicht vorhandenen oder negativen Eigenschaften der Dinge. In dem vorher angeführten Fall des Gegensatzes würde man nicht nur die Größe der Heftigkeit des einen Menschen, aus dem großen Abstand von dem Kaltsinn des anderen, lebhafter fühlen, sondern auch das, was dem heftigen Menschen mangelt, lässt sich aus dem Betragen des sanftmütigen erkennen.

 Hieraus lässt sich überhaupt abnehmen, dass der Gegensatz eines von den ästhetischen Mitteln sei, gewisse Vorstellungen lebhafter zu machen. Alle Künste bedienen sich desselben, wiewohl auf verschiedene Weise.

 Es gibt dreierlei Arten des Gegensatzes. Die erste Art stellt Gegenstände von entgegengesetzter, einander widerstreitender Beschaffenheit neben einander. Dieses tun dramatische Dichter sehr oft, da sie Personen von entgegengesetzten Charaktern zugleich auf die Bühne bringen. Von dieser Art ist der Gegensatz der Elektra und Chrysothemis in der Elektra des Sophokles; der Antigone und Ismene in dem Trauerspiel Antigone desselben Verfassers; und in dem Misantrope des Moliere der gefällige Charakter des Cleantes und der strenge, etwas mürrische des Alcests. Eines der vollkommensten Beispiele dieser Art des Contrasts hat uns Graun in dem Duettto der Opera Cinna gegeben. Dieser Römer wirft der Ämilia mit Heftigkeit das Unglück vor, in welches sie ihn durch ihre Hitze gestürzt hatte, diese aber bittet ihren Fehler auf das Zärtlichste ab: er singt Allegro, sie aber Largo.

 Zu dieser Art des Gegensatzes rechnen wir auch zwei auf einander folgende, entgegengesetzte Zustände einer einzigen Person; wie die glänzende Glücksee ligkeit des Oedipus in Theben im Anfange des Trauerspiels und sein schmählicher Zustand am Ende desselben. Der letztere muss auf jeden Zuschauer um so viel mehr wirken, je lebhafter er im Anfang die Herrlichkeit dieses Königs gesehen hat. Hierher gehört auch der ausnehmende Contrast in Thomsons Tancred und Sigismunda, da Tancred den Vater seiner Geliebten, den er kurz vorher mit aller ersinnlichen Zärtlichkeit geliebt und auf das kindlichste verehrt hatte, jetzt auf das heftigste mißhandelt. Durch diesen Gegensatz wird die Szene äußerst tragisch. Eben diese Wirkung tut ein Gegensatz von gleicher Art in der Hekuba des Euripides. Man sieht im Anfange des Trauerspiels diese gefangene Königin auf das äußerste gegen den Agamemnon erbittert; sie verabscheuet ihn als den Mörder ihrer Tochter: bald danach aber und nachdem ihre Tochter wirklich geopfert worden, nimmt sie zu diesem verabscheueten Mann ihre Zuflucht, sie nennt ihn ihren Erretter und flehet ihn um Hilfe gegen den Polymestor an, der ihren Sohn auf die schändlichste Weise umgebracht hatte.

 Nicht weniger vollkommen und von derselben Art ist der Gegensatz, den Graun in oberwähnter Oper in der Arie O numi consiglio angebracht hat. Man sieht die Ämilia anfänglich halbrasend über die Gefahr ihres Geliebten. Sie fängt nach einem heftigen Rezitativ in voller Wut an zu singen und die Götter um Hilfe anzuflehen: aber plötzlich entfällt ihr aller Mut, die Hitze legt sich und verwandelt sich im anderen Teile der Arie in eine schmachtende Angst.

 Die zweite Gattung des Gegensatzes besteht in der Nebeneinanderstellung solcher Gegenstände, die nicht entgegengesetzte, sondern in derselben Art unähnliche Eigenschaften haben. Dazu gehören die beständigen Gegensätze der Helden des Homers. Alle sind tapfer, aber ihre Tapferkeit ist von sehr verschiedener Art. Diomedes hat eine ganz andere Tapferkeit als Ajax, Achilles ist ein Held von einer anderen Art als Hektor; und eben so hat es Milton mit seinen gefallenen Engeln gemacht. Alle sind von teuflischer Bosheit, aber einer anders als der andre; jeder hebt den anderen, wenn man sie neben einander stellt. Dieses ist die Gattung des Gegensatzes, welche den Malern vorzüglich empfohlen wird, wenn man ihnen ratet, die Stellungen, Bewegungen und Charaktere ihrer Figuren abzuändern und insonderheit, die so nächst an einander stehen, in ihrer Art verschieden zu machen.

 Die besondere Wirkung dieses Gegensatzes besteht in der Vermehrung der Mannigfaltigkeit und Vermeidung der ermüdenden Einförmigkeit. Hiernächst aber heben sich auch die entgegengesetzten Dinge wechselsweise. Eines bestimmet die Beschaffenheit des anderen näher, man unterscheidet jeden einzeln Umstand besser, da man bei gleichen Wesen eine Ungleichheit in den zufälligen Stücken bemerkt. So hebt die ansehnliche Gestalt und die sanfte Farb der Lilie, die feurige Schönheit der Tulpe und die Weintraube mit den vielfältigen Gruppierungen ihrer Beeren, erhebt die einfache Gestalt des Apfels. Das schönste Beispiel dieses Gegensatzes gibt uns die corinthische Säule, wo alle Teile zwar regelmäßig, gegen einander wohl abgemessen und schön sind; aber die beständige Abwechslung, des Ekigten mit dem Runden, des Flachen mit dem Gebogenen, des Glatten mit dem Geschnitzten, des Einfachen mit dem Verzierten, eine vollkommen angenehme Wirkung tut.

 Die dritte Art des Gegensatzes setzt Dinge von einer Art, die nur in Graden von einander verschieden sind, neben einander, um den höchsten Grad, der über den Ausdruck wäre, fühlbar zu machen. Dieses Kunstgriffs hat sich Homer in Absicht auf den Achilles bedient. Er hat die Tapferkeit anderer Helden, des Ajax, Diomedes, Hektors und anderer so beschrieben, dass es schwer oder gar unmöglich war, den Achilles unmittelbar größer zu schildern. Was konnte er von ihm sagen, das stärker war als er von jenen schon gesagt hatte? Er fiel also darauf, sie gegen einander zu setzen. Bei den größten Taten, welche die Griechen tun, sehnen sie sich nach dem Achilles. Diesen Haupthelden bringt er uns immer, bei den größten Taten, vor das Gesicht als einen, der noch weit grö ßere Dinge tun würde. Diese Gattung des Gegensatzes bringt oft das Erhabene hervor. Man stellt uns das Größte vor, das gedacht werden kann und setzt noch etwas daneben, das weit größer ist. So stellen uns oft die heiligen Scribenten die fürchterliche Macht der Elemente des Sturmwindes, des brausenden, alles überwältigenden Meeres vor und ein einziges Wort oder einen einzigen Wink der Allmacht dagegen, dadurch jene fürchterliche Macht auf einmal zu Boden geschlagen wird. Von dieser Art ist auch das Erhabene durch den Gegensatz beim Virgil, da Neptun durch ein Wort das gräuliche Brausen der Sturmwinde legt.

Nuper in pratis studiosa florum et Debitæ Nymphis opifex coronæ, Nocte sublustri nihil astra præter Vidit et undas.1

Von dem Nachdruck und der Vergrößerung durch Gegensätze kann auch folgende Stelle desselben Dichters2  uns zum Beispiel dienen. Er will die übertrie bene Pracht und den unvernünftigen Aufwand der Römer, in Absicht auf ihre Landgüter, Gebäude und Lustgärten lebhaft vorstellen und bewirkt den größten Nachdruck durch beständige Gegensätze.

Jam pauca aratro jugera regiae Moles relinquent. –– –– ––

 –– –– Platanusque celebs Evincet ulmos: tum violaria et Myrtus et omnis copia narium, Spargent olivetis odorem Fertilibus domino priori.

Er stellt das Pflügen der fruchtbaren Felder, der Verderbung derselben durch ungeheuere Gebäude, das Pflanzen des unnützen und unfruchtbaren Platanus, dem mit Weinreben beladenen Ulmenbaum, die bloßen dufthauchenden Gärten, den fruchtbaren Baumgärten entgegen und gibt dadurch seinen Gedanken von der übertriebenen Üppigkeit einen großen Nachdruck. Eben so bedient sich Virgil eines Gegensatzes, um die Hoheit und Würde der Römer über andere Völker desto lebhafter fühlen zu machen:

 Excudent alii spirantia mollius æra Credo equidem; vivos ducent de marmore vultus: Tu regere imperio populos Romane memento; Hæ tibi erunt artes.3 Wie der Gegensatz das Tragische verstärke, haben wir schon oben an einigen Beispielen gesehen: folgende verdienen noch besonders überlegt zu werden. In dem Philoktet des Sophokles merkt der Chor, aus der Nähe einer seufzenden Stimme, dass dieser unglückliche Held, den er sucht, nicht fern sein könne und sagt deswegen: Er kommt; aber nicht wie die Schäfer, deren Ankunft der Ton der Flöte verkündigt – ihn meldet ein schmerzhaftes Stöhnen als wenn er sich an einen Stein gestoßen hätte. Durch diesen Gegensatz, da dem Philoktet, der eine einsame Insel bewohnte, Schäfer entgegen gestellt werden, deren freudigen Aufzug man von weitem durch den lieblichen Ton der Flöte vernimmt, da er hingegen seine Ankunft durch Seufzen und Stöhnen verrät, wird sein Zustand weit trauriger. Eben diese Wirkung zur Vermehrung des Tragischen hat Euripides in der Iphigenia in Aulis, durch eine ganz besondere Art des Gegensatzes erhalten, da er dem wirklichen Elende der Iphigenia, die es noch nicht wußte, ihre vermeinte Glückseligkeit entgegen setzt. Als Clytemnestra mit ihrer Tochter in Aulis ankommt und aus dem Wagen steigt, wird sie von der Menge glücklich gepriesen. Der Zuschauer aber ist schon von dem Elend, das auf sie wartet, unterrichtet und fühlt es durch diesen Gegensatz desto lebhafter. Man sieht die liebenswürdige Iphigenia ankommen, um eine Stunde danach ein Schlachtopfer des Ehrgeizes ihres Vaters zu werden. Der Chor bewillkommet sie mit folgenden Worten:

 O wie herrlich ist das Glück der Großen! Sehet die fürstliche Iphigenia, meine Königin und die Clytemnestra aus dem vornehmsten Geblüte. Aus was für hohem Stamme beide entsprossen und was für lange daurendem Glücke sie entgegen gehen!

 Bei diesem Freudengesang sieht der Zuschauer schon das Elend dieser so glücklich gepriesenen Personen und dieses macht einen sehr hohen Grad des Tragischen. Wie wunderbar tragisch ist folgende Vorstellung;

–– –– und andere Machten Strik' aus ihren goldfarbigten langen

Loken, Doch zu weit anderm Gebrauch als der Liebe.4 

Man kann aus diesen Beispielen hinlänglich sehen, dass glückliche Gegensätze in leidenschaftlichen Gegenständen die höchste Rührung hervorbringen können.

 Durch den Gegensatz aber kann eine Sache auch Lächerlich und Poßierlich werden; denn die Vergleichung des Großen mit dem Kleinen ist eine von den Quellen des Lächerlichen, wovon wir in seinem Artikel Beispiele gegeben haben. Man kann aber den Gebrauch des Gegensatzes auch leicht übertreiben und dadurch ins Gezierte fallen. Die Redner und Dichter, die in dem Wahn stehen, man könne keinen Charakter und kaum einen einzeln Gedanken vortragen, ohne ihm einen Gegensatz zu geben, fallen dadurch leicht ins Abgeschmackte. Man muss ihn mit eben der wirtschaftlichen Klugheit gebrauchen, wie andere Würzen der Rede. So wenig man Gleichnisse und malende Bilder häufen muss, so wenig soll dieses mit dem Gegensatz der Gedanken und Begriffe geschehen. Er ist nur da nützlich, wo viel darauf ankommt, dass einzelne Gedanken oder Begriffe vollkommen lebhaft oder deutlich werden.

 Also müssen Redner und Dichter mit der Figur, die man Antithesis nennt und die eine bloß zur Schreibart gehörige Gattung des Gegensatzes ist, behutsam umgehen.

 Dieser Gegensatz ist von dem beschriebenen fast so unterschieden, wie die Metapher von dem Gleichnis. Denn wie in dem Gleichnis, so wohl das Bild als das Gegenbild, jedes besonder beschrieben, in der Metapher aber beide in einen Gegenstand vereinigt werden, so werden im Gegensatz, den wir beschrieben haben, beide Gegenstände besonders dargestellt, in der Antithese aber werden sie in einen einzigen Gedanken verbunden oder der Gegensatz wird gleichsam nur im Vorbeigang berührt. Ein solcher Gegensatz liegt in folgenden Worten: Volvitur ille vomens calidum de pectore flumen frigidus,5 da die Wörter calidum und frigidus einander entgegengesetzt werden. Die ganze Schreibart mit solchen kleinen Gegensätzen gleichsam zu verbrämen, wie so viele französische Schriftsteller tun, ist eine dem guten Geschmack ganz zuwiderlaufende Sache. Die Menge kleiner Gegensätze macht, dass man nicht Zeit hat, auf den Zusammenhang der Gedanken Achtung zu geben; indem die Aufmerksamkeit offenbar von der Hauptsach abgezogen und nur auf einzelne Redensarten gelenkt wird.

 Mit Verstand und am rechten Ort angebracht, tut diese Figur vortreffliche Wirkung, wie z. B. in dieser Stelle des Horaz

–– qui fragilem truci Commisit pelago ratem.

Man findet so gar, dass bisweilen eine ganze Reihe solcher Gegensätze von großen Meistern gebraucht werden, wovon folgendes zum Beispiel dienen kann. Conferte hanc pacem cum illo bello; hujus prætoris adventum cum illius imperatoris victoria; hujus cohortem impuram cum illius exercitu invicto; hujus libidines, cum illius continentia: ab illo, qui cepit, conditas, ab hoc, qui constitutas accepit, captas dicetis Syracusas.6 Aber selbst Cicero ist hier nicht ohne Tadel. Bei einer so ernsthaften Sache als die wovon hier geredet wird, sollte der Redner nicht Zeit haben, so viel Antithesen an einander zu hängen. Es würde dem Tone, der hier herrschen sollte, weit angemessener gewesen sein, wenn nicht das Einzelne dem Einzelnen, sondern das Ganze dem Ganzen entgegengesetzt worden wäre, wie hier: Quam (legem) non didicimus, accepimus, legimus, verum ex natura ipsa arripuimus, expressimus, hausimus.

 

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1 L. III. od. 27.

1 Od. II. 15.

3 Än. L. VI.

4 Noah. IX Ges.

5 Än. IX. 414.

6 Cicero in Verrem Or. IV.

 


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