Rudolf Schlichter
Heute vormittag war ein junger Maler bei mir, der Rudolf Schlichter heißt und merkwürdige Dinge bei sich führte. Ich bin ein harmloser Mann in den Malkünsten, und was das zusammengekniffene linke Auge Robert Breuers auf Anhieb sieht, das merke ich erst nach anderthalb Jahren. Gott hat es mir nicht so gegeben … Aber dies war doch erstaunlich.
Ob das ein richtiger Maler ist, so mit allem Komfort, wie ihn die Neuzeit zu verlangen das Recht und die heilige Pflicht hat – das weiß ich nicht. (Mir will scheinen, dass er zeichnen kann. Schon faul … ) Aber was da an geistigen Inhalten in den Bildern zu sehen war, das erfreute doch mein in jeder Beziehung vorschriftsmäßiges deutsches Herz. Nämlich:
Der Schlichter hat, ganz für sich, zum Spaß, Familienerotik so gezeichnet, wie sie der ausübende mittlere Beamte sieht und empfindet. Also wie einen Öldruck. So – schön! Es ist alles so trefflich lackiert, dass es gradezu blinkt vor lauter Schönheit. Vor dem Bett steht die halb entkleidete Elisa – das Gesicht schämig abgewandt, und vor ihr kniet ein junger Herr, der offenbar einem ersten Schneidergeschäft in der Koppenstraße entlaufen ist. Er hat furchtbar feine Stiefel an, aus denen die Hühneraugen schmerzhaft schön heraustreten, er kniet unwahrscheinlich schwungvoll vor ihr auf dem Boden und sagt laut Unterschrift: »Geh, sag doch Schnucki zu mir!« Das Bett winkt weiß gefältelt, ein Blumensträußchen prangt darauf, an den Wänden sind schöne Bilder gemalen – und richtig, in der Ecke, an der Tür, stehen Papa und Mama und sehen sich das da an. Vater ist behufs Brille und Vollbart etwas entrüstet – aber Mama, auch nicht mehr die Jüngste, redet ihm gut zu, beschwichtigt ihn: Man war doch auch einmal jung – und vielleicht ist es eine gute Partie! Ein honetter Beischlaf. Pfui.
Und auf einem Bild (es heißt: ›Ländlicher Stumpfsinn‹) sieht man ein Knäuel Viecher und flachsköpfiger Schädel, die zu etwas gehören, was manche ›Menschen‹ nennen, ein Amtsdiener mit einer Mütze, also mit der Macht, ist auch da. Eine melkt eine, ich glaube: die Magd die Kuh, und im Hintergrund dehnt sich lang und unendlich öde die Dorfstraße mit einer Kolonialwarenhandlung – bis zum Horizont, wo die zu bewirtschaftende Natur anfängt, mit Bäumen zum fällen, einer Wiesen zum weiden und einer Mühle zum mahlen. Ja.
Und auf einem Bild ist Schönheitsschau – da lehren Gliederpuppen andre Puppen, was schön ist, nämlich, was da auf einem kleinen Podest steht: eine preußische Venus, und man kann mit einem Lineal und Reißzeug nachmessen, wie schön sie ist. Und vor allem: wie richtig sie ist. Aber das ist ja dasselbe … Und preußisch ist auch der Hintergrund: eine wundervoll ordentliche und symmetrische Stadt, Dächer und ein Turm, und alles hübsch mit Senkblei und Richtscheit gebaut, und das Zifferblatt ist rund und die Häuser viereckig, alles, wie es sich gehört. Man würde sich ja auch sonst nicht herausfinden. Und kein Wölkchen ist am Himmel, denn die Wolken sind etwas reichlich Unordentliches und stören die ausgerichteten Reihen einer Paradewelt, die nur zwei Farben hat und kennt: Schwarz-Weiß. Und ein Land, in dem man erst richtig versteht, was das ist: Minnedienst.
Vielleicht hätte Schlichter nichts Wuchtigeres zeichnen können als diese Demonstration gegen die Provinz Deutschland. Pathos? Wat heißt hier Pathos! Wenn wir romantisch wollen, jehn wa in Kino! Nanu –!
Schade, dass das nicht mehr Leute sehen können. Ich glaube es würde manchen sehr viel Spaß machen.
Peter Panter
Die Weltbühne, 24.11.1921, Nr. 47, S. 538.