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Leskow

Tolstoi hat sich zweimal über Nikolai Leskow ausgesprochen: einmal tadelnd, einmal lobend. Worauf sich der Tadel gründet, weiß ich nicht – unter den Anlässen zu dem Lob ist sicherlich ›Lady Macbeth von Mzensk‹. (Bei der Südbayerischen Verlagsanstalt in München-Pullach erschienen.)

Die Geschichte der Kaufmannsfrau Katerina Lwowna wäre ohne Tolstoi schwerlich geschrieben worden – aber das ist eine Anerkennung. Denn es gehört hohe Kunst dazu, die Künste des Alten auch nur anzuwenden. (Seine Kunst selbst ist nicht nachzuahmen.) Die Geschichte rollt ruhig und sicher ab, klar und übersichtlich wie ein Naturereignis. Das muß alles so sein. Die Darstellung des Buches (das Siegfried von Vegesack gut ins Deutsche übertragen hat) erinnert manchmal an Lynkeus – besonders an seine Erzählung ›Im Postwagen‹, und Lynkeus hat ja selbst einmal im hohen Alter geschrieben, dass er sich vorgesetzt habe, im Gegensatz zu den schlechten Lyrikern, die in die Naturelemente menschliche Empfindungen hineinlegten, die menschlichen Gefühle elementar zu schildern. Leskow braucht sich das nicht vorzunehmen – er ist ein Russe. Hier möchte man beinahe das im Deutschen so mißbrauchte Papierwort anwenden: ›naturgemäß‹ muß sich die Frau in ihren Sergej verlieben, ›naturgemäß‹ erfolgt Entdeckung, Bestrafung, Verschickung, Untreue und Tod. Immer wieder erstaunlich, wie tief das heruntergeht, wie das ergreift, wie das packt. Lehrreich, wie noch der dumpfeste russische Bauernbursche um so viel höher auf der Stufenleiter menschlicher Wesen steht als etwa der Schmalztenor Gustav Roethe.

Um von etwas Erfreulicherm zu sprechen: schön sind die Schilderungen der Natur; der Fall Balzac ist ja selten, und im allgemeinen darf gesagt werden, dass hier der Prüfstein für einen Autor ist.

Das Buch sollte die russische Ecke jeder Bibliothek zieren. Und es brauchte gar nicht einmal so sehr weit entfernt von Tolstoi zu stehen.

Peter Panter
Die Weltbühne, 27.04.1922, Nr. 17, S. 434.