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Fratzen von Grosz

Der Zusammenhang zwischen der bildenden Kunst und dem Leben ist nicht ganz aufgeklärt. Es ist noch nicht heraus, ob die Damen in England um 1830 so ausgesehen haben, weil Burne-Jones sie so hingehaucht hat, oder ob er so malte, weil sie so aussahen. Jedenfalls waren sich beide einig: der Maler und seine Zeit, und so war alles in bester Ordnung.

Der Karikaturist hats schon schwerer. Nach ihm richtet sich keiner. Im Gegenteil: der Getroffene – und grade der Getroffene – erkennt sich nicht einmal, und jeder Fleischermeister erklärt, solche Specknacken gäbe es überhaupt nicht. Und doch richtet sich einer nach dem Zeichner mit dem Zerrstift.

Der Sehende richtet sich nach ihm. Sicherlich hat Spitzweg viele veranlaßt, mit seinen Augen zu sehen – und was der (alte) ›Simplicissimus‹ auf diesem Gebiet geleistet hat, wißt ihr noch alle: sahen wir nicht Gulbranssons Spießer mit den Korkzieherhosen und dem Wellenbauch, Thönys feisten Agrarier und dann die Herren Leutnants … ?

Lang, lang ists her. Der ›Simplicissimus‹ ist tot, Thoma lebt in der Nähe ländlicher Sauställe, und ein Witzblatt von Gesinnung haben wir nicht mehr. Aber einen Karikaturisten, der sie alle, die von damals, überragt, einen, der mit Monokel, Mikroskop und zwei gesunden Augen neu, neu und noch einmal neu sieht: George Grosz.

Fünfundfünfzig politische Zeichnungen sind von ihm unter dem Titel ›Das Gesicht der herrschenden Klasse‹ im Malik-Verlag erschienen. Neben der Mappe: ›Gott mit uns‹ das meisterlichste Bildwerk der Nachkriegszeit.

Die deutschen Gesichter haben sich verhärtet. Schärfer sind die Kinne geworden, verbissener die Lippen, brutaler die Unterkiefer. (›Haifische‹ nennt der Italiener seine Blutgewinner.) Und ich weiß keinen, der das moderne Gesicht des Machthabenden so bis zum letzten Rotweinäderchen erfaßt hat wie dieser eine. Das Geheimnis: er lacht nicht nur – er haßt. Das andre Geheimnis: er zeichnet nicht nur, sondern zeigt die Figuren – welche patriotischen Hammelbeine! welche Bäuche! – mit ihrem Lebensdunst, ihrer gesamten Lebenssphäre in ihrer Welt. So, wie diese Offiziere, diese Unternehmer, diese uniformierten Nachtwächter der öffentlichen Ordnung in jeder einzelnen Situation bei Grosz aussehen: so sind sie immer, ihr ganzes Leben lang.

Sie sind alle da: die brutalen Mordoffiziere und Nachfahren eines Ludendorff, die allesamt nicht ertragen können, in Zivil zu arbeiten, und die vorziehen, in Uniform zu töten – so das Blatt: ›Prost Noske! Die Revolution ist tot!‹, eines der stärksten politischen Pamphlete unsrer Zeit; früher machte das lächerlich, heute wird man, wenn man nur sonst ein guter Gustav ist. Oberpräsident –: die Kaufleute, die gar nichts andres sehen als Geschäft, und deren Kinne zeigen, wie man lebt, und deren Lippen, wie man leben läßt; die Viechskerle von Soldaten, Bulldoggen und Sergeanten des kaiserlichen Heeres: Herren und Generale; einen bezaubernden, immer wiederkehrenden Typus eines Waschlappen: Demokraten mit Pelerine, Umhängebart, Schlapphut, Regenschirm und der jeweils nötigen Überzeugung; Studentenschnösel und Klassenmediziner – und der Letzte, nicht der Beste: Erich Ludendorff-Lindström, (Grosz hat sich liebevoll in dieses Gesicht versenkt – es ist dem Gesicht nicht gut bekommen. Aber Vater Hindenburg ist auch nicht ohne.)

Und all das ist von neuer Formulierung. Ob Grosz der erste war, weiß ich nicht. Er muß Väter gehabt haben: Primitive, die ersten Expressionisten. Alle, die aus der Haut und aus der Samtjacke fuhren und die Malerei wieder den geistigen Künsten zuführen wollten. Aber er ist doch der erste von ihnen allen.

Und alle Blätter – die man bald bestellen möge, bevor sich eine deutsche Strafkammer mit einem Beschlagnahmebeschluß vor ihnen blamiert – rufen uns jene Zeit ins Gedächtnis, wo alles zusammenzubrechen schien und alles blieb; wo so viel verpaßt wurde und so viel geschont; die uns dreihundert oppositionelle Führer kostete und Mörder: Exekutive, Militär und Richter am Leben ließ. Guten Abend, deutsche Revolution!

Der Hakenkreuzgastwirt, der Wenn-und-aber-Demokrat, der verhetzte Student, der gefügige Staatsanwalt, der grauenhafte sture Kleinbauer – sie werden das Heft nie zu sehen bekommen, weil bei uns ja alle nebeneinander leben und zumal unbequeme geistige Regungen gern unbeachtet bleiben. Was nützt Groszens Pazifismus und all das? Ungestört singen die Kindergärtnerinnen ihr: »Ja, mit Herz und Hand … «; ungestört lehren wildgewordene Oberlehrer ehrwürdige Geschichtslügen; ungestört toben Justiz und Universität. Vom Kapital zu schweigen.

Und wohin du blickst: Fratzen von Grosz. All diese Gesichter kann man auch zum Sitzen benutzen.

Wir aber wollen in dies Bilderbuch sehen und jener Jungfrau Germania gedenken, die mit jedem Offizier – bis zum Feldwebel abwärts – gehurt hat. Und sprechen: »So siehst du aus!«

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 18.08.1921, Nr. 33, S. 184.