Otto Flake
Daß in Deutschland sich um die Probleme des Tages einer müht, der nicht befürchtet, sich mit seiner Opposition in aussichtslosen Widerspruch zu der Realität zu setzen, ist so selten, dass es gebucht werden will. Brauchen wir nicht eine Stärkung von außen? Macht es nicht Mühe, tagaus, tagein dasselbe zu sagen und zu schreiben, sich vorwerfen zu lassen: Ah, schon wieder! – und es dann doch wieder zu tun, nicht aus Armut, sondern aus dem Gefühl heraus, dass gewisse Anschauungen in die deutschen Köpfe gehämmert werden müssen? Es macht müde. Und es kommt wohl bei allen, die nachdenken, der Punkt, wo sie zögern, zaudern, zweifeln … Sollen wir noch?
Es tut doppelt wohl, wenn sich einer von Bedeutung hinzugesellt und sagt: Ja – ihr sollt nicht nur! Ihr müßt! Dafür ist ihm zu danken.
Otto Flake hat ein kleines Heft erscheinen lassen: ›Das Ende der Revolution‹ (bei S. Fischer in Berlin), Ich halte die paar Bogen für eine der wertvollsten Revolutionsveröffentlichungen. (Wer mehr dergleichen von Flake lesen will, beschaffe sich die ausgezeichneten ›Fünf Hefte‹ aus dem Roland-Verlag in München.) Es tut wohl, die eigne Not auch von andern gefühlt zu wissen. Und sie gemildert zu sehen. Zu wissen, dass Figuren wie Noske, Heine, Scheidemann und Geßler auf der Welt sind, ist bitter – aber solch ein Buch richtet einen auf.
Flake ist so gar kein Realpolitiker, also wert, dass ihn der gesamte Reichstag, von rechts bis links, spöttisch abtut. (Wenn er ihn jemals läse.) Aber für uns ist es wie eine Offenbarung, endlich einmal zu lesen, wie jede Kollektivität – selbstverständlich auch der Bolschewismus – den Geist abtötet, wie jede Macht den Geist tötet. »Es wird sich zeigen«, steht da zu lesen, »dass Ideen aus Dienern Herren, aus Herren Dämonen werden.« Ausgezeichnet ist entwickelt, wie der Bolschewismus sich selbst abhaspelt, wie er leer läuft und leer laufen muß, weil er den fatalen Satz predigt: »Nieder mit der Gewalt! Darum nur noch ein Mal Gewalt!« Nur noch ein Mal –! Und wann hört das auf, dieses ein Mal … ? Und wie klar und vorurteilsfrei sind französische Denkweise und französischer Geist und ihre Mängel gekennzeichnet – wie wohltuend, dergleichen einmal nicht von einem trüben Korrespondenzenschreiber zu hören, sondern von einem aus dem eignen Lager! Das beste aber an dem Heftchen, wie auch in den ›fünf Heften‹, sind die Strecken über Deutschland.
Was den Deutschen im Guten wie im Bösen auszeichnet, ist seine Maschinerie. Nun, sie ist Herr über ihn geworden: er ist untertan jeder Organisation, nur, weil sie einmal da ist – und das ist das Gegenteil aller Kultur. Hierzulande kann ja keinem gekündigt werden: sie sind alle da und bleiben alle da – Ideen, Beamte und Vereine. (Worunter auch der Staat.) Und was sollte aus einem Volke werden, das so geartet ist – so, mit seiner theoretischen Freiheit und seiner praktischen Sklaverei? »Die Stationen des Möglichen werden überflogen, bis zum Extrem dessen, was man erreichen könnte, wenn man allein in der Welt wäre: Mangel an echter Phantasie, die ja Anwendung ist.« Ist das nicht Ludendorff, wie er leibt und – im Gegensatz zu Landauer – lebt? Ist das nicht typisch deutsch, sich mit Moralgesetzen herumzuschlagen, solange sie nicht in Aktion treten – die protestantische Kirche ist groß auf diesem Gebiet –, und alles hintanzusetzen, wenns wirklich zum Klappen kommt? Und wenn man Skrupel hat, wenn diese Deutschen wirklich das Gewissen beißt? »Er flieht dahin«, sagt Flake, »wo das Massengefühl die Sicherheit wiederherstellt.« Masse deckt zu. Was deckt sie bei uns nicht alles zu –!
Und wieviel Anständigkeit ist in der Betrachtungsweise Flakes – so himmelweit verschieden etwa von dem deutschen Professorentypus, der mit der jeweiligen Wirklichkeit allemal mitläuft. Ach, sie sind gar nicht mehr weltfremd, die Herren Professoren! Wer eine Feuerzange hat, der möge die alten Jahrgänge der ›Süddeutschen Monatshefte‹ vornehmen, wie da Polyglott Kuntze-Hofmiller vor dem Kriege den Engländern ehrfürchtig die Kommata nachgezählt und sie im Kriege und nachher mit einem wollenen Regenschirm bedroht hat! Il faut être de son temps! Flake aber bringt den Mut auf, zu sagen: »Es gibt überhaupt nur eine anständige Taktik und Methode: die Dinge rein nach der Idee unter Ausschaltung ihrer menschlichen Träger zu beurteilen.« Und wo trifft man bei uns einen Philosophen, der immer wieder, in allen Stockwerken seines Denkgebäudes, nicht seinen Pazifismus, seine anständige Gesinnung, seine klare Ablehnung des schlechtesten Deutschtums vergißt? Wo trifft man ihn? Auf den Universitäten natürlich nicht. Und da wächst die deutsche Jugend auf … Wenn junge Pflanzen gedüngt werden müssen, erfüllen diese deutschen Universitäten ihre Aufgabe vortrefflich.
Wir aber haben gezweifelt. Und zweifeln noch. Viele von uns rutschen langsam ab: in das ›wirkliche Leben‹, wo man Geld mit Trikotagen und Leitartikeln verdienen kann – und langsam, ganz langsam kommt die Wertschätzung dieser neuen Tätigkeit, schließlich nimmt man sie ernst, und zum Schluß verlacht man, was einstens Altar war und Flamme … Viele warten. Wo ist die Lösung? Die Partei ist es nicht. Keine. Auch keine sozialistische Partei ist es. Und deshalb ist sie es nicht und kann sie es nicht sein, weil ihr das fehlt, was bei den lebenden Religionen – also zum Beispiel beim Katholizismus – der Funke ist, der die Herzen durchglüht. Das lest bei Flake.
Und lest bei ihm weiterhin, dass man nicht diese deutsche Folgerung ziehen und nun der Partei den Rücken kehren darf. Grade nicht. Denn das, was wir wollen, wird sich vielleicht niemals realisieren lassen, und das mag wohl gut sein … Man soll doch bei der Stange bleiben und nicht nachlassen. Wenns auch noch so schwer fällt. Denn es ist ja nicht nur schwer, weil es Geld kostet – ganz richtig Geld In allen Formen –, sondern weil das Herz nicht immer will, wie der Verstand befiehlt. Dieses Heft von Flake macht Mut auf den weiten Weg.
Vor allem, weil er wirklich de son temps ist – ohne mit ihr zu laufen, wie jene Professoren. Er hat schon verstanden, welchen Ruck es bei uns allen gegeben hat. Noch mal? Wieder das Alte? Wieder so oder so gewendet – und was dann?
»Es ist eine falsche Rechnung, zu glauben, es sei nur Ruhe nötig, um wieder produzieren zu können; versucht es doch, ob die alten Ideen noch etwas hergeben; ihr werdet sehen, dass ihr euch nur nachahmen und wiederholen könnt. Wer heute nur Ruhe braucht, um geistig arbeiten zu können, ist verdächtig, denn den Guten und Wertvollen ist das Material ausgegangen.« Man sollte das auswendig lernen. Solche mutigen und offenen Worte über Kunst habe ich bisher nur noch bei Franz Jung, bei Wieland Herzfelde und bei George Grosz gefunden. So zweifeln aber heißt schon bejahen. Ein Nein ist stets ein Ja. Ich denke, wir haben eine Aufgabe.
»Während die Welt weiterschreitet, werden wir unsre Kraft damit verbrauchen, die ältesten Ladenhüter von Freiheit zu sichern. Aufgabe der Empörer ist nicht, ein Maximalprogramm durchzusetzen, sondern den deutschen Charakter um und um zu pflügen.«
Das ist es. Schon Heine hat einmal gesagt, Kant habe zwar den lieben Gott abgeschafft, aber in deutschen Landen herrsche der Polizeiknüttel. Es wird an uns sein, das Schwierigste auszuführen, was es in diesem Lande überhaupt gibt: allenfalls geduldeten platonischen Ideen zur Wirklichkeit zu verhelfen. Die Kommune ist groß, und die Verfassung ist weit. Reformen müssen in kleinem Kreise anfangen, wenn sie sich durchsetzen wollen.
Otto Flake ist ein deutscher Wegbereiter.
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 27.10.1921, Nr. 43, S. 422.