Hanns Heinz Vampir
»Der geborene sentimentalisch-witzlose Oberkellner des Wirtshauses an der Lahn.« Nanu? Und: »Wenn er Arsenik schrieb oder dachte, war es doppelkohlensaures Natron.« Wer ist das?
Das sagt über Ewers Hans Reimann, in seinem witzigsten Buch. (»Ewers. Von Hanns Heinz Vampir«, bei Paul Steegemann in Hannover.) Aber so haben wir lange nicht gelacht.
Diese Parodie ist fast schon Leichenschändung. Ewers, eine nette kleine Journalistenbegabung aus der Zeit des Spätnaturalismus, sah bald aus den Abrechnungen seiner Verleger und aus den Briefen jener Verehrerinnen, die nicht alle werden, dass eines sich in Deutschland – und vielleicht auf der ganzen Welt – immer lohnt: durch heimliche Andeutungen mit satanischen Lastern zu prunken. Es gibt lasterhafte Menschen; solche, die schreiben, sind selten darunter; und gar solche, die mit Emphase von ihren Lastern schreiben, dürfte es gar nicht geben. Denn wesentlich an einem Menschen ist das, was ihm selbstverständlich ist, das, wovon er überhaupt kein Wesens macht, weil es ihm Natur ist. (Der Marquis de Sade zählt nicht – denn in solchen Fällen ist auch Schreiben eine Befriedigung.) Aber wir wollen den Vollbart wieder abhängen.
Der Blondin ist ein Poseur. Wenn er bedeutender wäre, müßte es ganz lustig sein, aus seinen Büchern zusammenzustellen, womit er, persönlich oder als Romanheld verkleidet, umherprotzt: mit Duellen, mit Weibern jeder Gattung, mit sexuellen Anomalien, mit tollkühnen Taten. Unangenehm, dass nichts davon wahr ist: ein paar Cook-Reisen, amerikanische, hier nicht nachzuprüfende Vaterlands-Propaganda (Wirkung gleich Null) – es ist nicht viel mit ihm. Die Redensarten, mit denen man bürgerliche Hysterikerinnen aufregt, schreibt ein begabter Mensch, wenn er das wollte, im Schlaf. Er hätte doch Referendar bleiben sollen. Denn er ist geschaffen, einem Stammtisch des Amtsgerichts Driesen monatelang Gesprächsstoff zu bieten. Man sagt mir, es sei ihm Ernst mit seinem Geschreibe. Also nicht einmal ein Bluff!
Diesem Edschmied des Grauens hat Hans Reimann den Garaus gemacht. So witzig ist seit Meyrinks »Hilligenlei« keiner angepflaumt worden. Schon die Nachahmung der von dem Sataniker bevorzugten erschrecklich gelehrten Motten (Plural von: Motto) ist entzückend. So nach der Melodie: Erstens kennts keiner, und zweitens wirds schon imponieren. Reimann: »Bnut ist ein ganz besondrer Saft. Druckfehler (XXII. Jahrhundert). – Agnis est felicis urbis lumen inoccidum. Petrus Damianonus. Erzbischof von Nowawes. – Montez, montez, voilà l'échelle! A. de Musset, Minjemann in Paris.« Und der Text ist ein einziger großer Lacher.
Abgesehen von den Wortspielen, von denen einige ausgezeichnet sind, die aber im ganzen ermüden, und die Reimann gar nicht nötig hat – abgesehen davon fällt man aus dem Lachen nicht mehr heraus. Alles hat er gefaßt: dieses alberne Wort »irgendwie«, das Ewers und andre schlechte Feuilletonisten anwenden, um dem Ding einen Schuß Mystik zu geben; die lächerliche Überbetonung der Sexualität; die Ruhmesfanfare eines königlich preußischen vereidigten Beischläfers – »feine perverse Grazie« rühmt dem Ewers Olga Wohlbrück nach, die es wissen muß. Ein paar Proben:
»Er biß seine wunden Lippen, stieg in das sinnliche Auto.« » … dass er in El Paso mit einem texanischen Kuhreiter um Kopf und Schwanz gewürfelt und dabei den Kopf verloren habe … « »Er saß da, ewerste vor sich hin … « Und am Schluß, weil ja der Meister auch nie verfehlt, anzugeben, wohin alles ihn sein Daimon geführt habe, ein Verzeichnis sächsischer Stationen, auf denen dieses Buch entstanden sei … »Kleinere Einfügungen: im D-Zug hinter Wurzen, Frauenabteil.«
Dieses unbegabte Stück Gaudemiché, das nicht einmal seine Quellen anständig verarbeiten kann (daher solch ein Schmarren wie der »Teufelsjäger«), hat es hier ordentlich abbekommen.
Und wie gut die Parodie ist, dafür ein Kriterium:
Ich kenne den »Vampir« nicht und habe mich doch scheckig gelacht. Und auch für den Leser, der nie einen Roman von Ewers genossen hat, wird aus Reimanns Prachtband die Kunde von einer ulkigen Kruke aufstehen: Von einem, der auszog, das Gruseln zu lehren, und der ein primitives Hännschen geblieben ist sein Lebelang.
Peter Panter
Die Weltbühne, 17.11.1921, Nr. 46, S. 511.