Kleine Nachspeisen
Ums – bin ich satt! Kleine Vorspeisen von Auburtin und dann eine fette Rührungssuppe vom guten Menschen Frank und dann junges Gemüse von Borngräber und Fischpastete mit Remoulade von den Dramatikern (ein faules Ei ist darunter: Sternheim) und nahrhafte Butternudeln von Hesse und ein gutes weißes Stück Hühnerfleisch von Bonsels mit einem ganz, ganz leichten Haut-goût – so leicht, als sei nur mal einer mit Haut-goût vorübergegangen – und ein schweres Rumsteak von Stehr und etwas Dostojewski-Ragout von Wassermann und einen verflixt gesalzenen und gepfefferten Salat von Walter Mehring (so scharf, dass einem hinterher überhaupt nichts mehr schmeckt) und Büße Glibber-Speise von Ernst Hardt und alten Tilsiter von Thomas Mann und dazu öligen schweren Tiroler Wein der Firma Heinrich Mann, grade von dort, wo die beiden Sprachgrenzen aneinanderstoßen, und deutschen Sekt von Blei und Hermann Bahrs Selterwasser – es schmeckt immer nach dem, was man grade hineingießt – und zu allem als Untergrund und ständigen Magenbaß das schwarze schwere Landbrot Arthur Schopenhauers … Ums – bin ich satt!
Wonach es denn also ganz gut täte, sich mit Fondants und kleinen Zigaretten die Zeit und eine sacht heraufsteigende Übelkeit zu vertreiben. Demzufolge lesen wir ein bißchen in den Heften des Verlags A. R. Meyer in Wilmersdorf. Diese kleinen lyrischen Flugblätter, die der Verlag in großer Menge herausgegeben hat, sind besonders bei der herrschenden stofflichen und geistigen Materialknappheit eine große Freude. Sie stürzen den Buchbinder und den Leser nicht durch zu großen Umfang in Unkosten, und was bleibt, lohnt fast immer den Preis.
Manche der alten Publikationen sind sehr selten geworden, so Gottfried Benns ›Morgue‹ (bätsch! Ich habe aber noch eins!), und alle Lautensacks sind nicht mehr zu haben … aber es ist noch genug Hübsches da: Pedantische Liebeslieder von Edgar Firn (das schönste Liebesgedicht ist die Titelzeichnung von Grosz), jenes pathologisch außerodentlich interessante Requiem von Heinrich Lautensack, ein wundervoller und erschütternder Weg vom Licht ins Dunkel; der Neue Frauenlob; viele hübsche Hefte vom Verleger selbst (wie gut, dass nicht alle Verleger dichten: denken Sie zum Beispiel an Herrn Globus); und ›Simson soll über Euch kommen‹ von Hyazinth Lehmann, in jenem neuen Stil gehalten, der die Zukunft deutscher Satire sein wird …
Aber was ist das alles gegen die Heftchen von Munke-Munke, polizeilich gemeldet als Alfred Richard Meyer. Die Trink- und Modenbüchlein sind so entzückend, so außerordentlich graziös und witzig, dass sie die sehr netten Spielereien aus dem Kriege und aus der Studentenzeit (Tiger, ein Hunde- und Studenten-Epos!) – dass sie das alles weit hinter sich lassen. Besonders im ›Bowlenbuch‹ stehen köstliche Dinge drin.
Aber nun habe ich langsam wieder einen kleinen Appetit bekommen. Ein paar Fondants ließen wir liegen, weil sie modisch blasiert und überzuckert waren: alter Teig. Aber nun stehen wir auf und wenden uns dem schwarzen Kaffee zu, und, angeregt durch Meyers kleine Nachspeisen, beschließen wir, am Abend bei Tisch mit zehnprozentigem Aufschlag zu essen. Gesegnete Mahlzeit –!
Peter Panter
Die Weltbühne, 21.04.1921, Nr. 16, S. 446.