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Vom Radauhumoristen

In der Mitte des deutschen Varietéprogramms pflegt gewöhnlich ein dicker Mann aufzutreten, dem im Verlauf seiner Darbietungen der Kragen aufweicht – und der Zettel verkündet: »X. Y., Humorist.« Der Humorist betritt das Podium, legt sein Vollmondsgesicht in freundliche Falten und beginnt drei Lieder zu singen. Eines davon hat ganz bestimmt folgenden Inhalt:

»Ja – früher –! Das waren noch Zeiten! Da kostete die Schrippe noch zwei Pfennig, und die Leute waren alle nett und bescheiden – und Kohlen gab es und Schinken und billiges Bier – und einen Kaiser hatten wir auch – und Steuern zahlte kein Mensch! – Aber heute! – Heute haben wir keinen Kaiser nicht mehr, sondern wir haben einen Sattlermeister zum Präsidenten – und das Brot ist teuer – und Butter kann man nicht erschwingen. Und wer soll denn die teure Miete zahlen? – Und: Kinder, Kinder, sind das Zeiten! Und: Ja früher, ja früher, das war ne andre Zeit –!«

Donnernder Applaus begleitet diese geistvollen Ausführungen. Nun hat die Masse von je ein schlechtes Gedächtnis gehabt – und kein Zuhörer weiß mehr, dass der Herr Humorist genau dieselbe Litanei schon anno 1912 gesungen hat, wo er seinen Kaiser und seine Schrippen hatte (Stück für Stück zwei Pfennige!). – Aber die Leute klatschen. Dieses Klatschen sind hunderttausend Ohrfeigen, die sie sich selber verabfolgen.

Woher stammen diese Radaulieder? –

Es ist in einem Falle einwandfrei festgestellt, dass sich eine der Rechtsparteien an einen berliner Komiker herangemacht und ihn gebeten hat, für ein monatliches Fixum die ›gute, alte Zeit‹ auf Kosten der neuen zu loben. Der Komiker lehnte das ab. Tatsache ist aber, dass planmäßig und bewußt auf diese eminent gefährliche Art eine antirepublikanische Propaganda getrieben wird, die natürlich in die weitesten Volkskreise dringt. Und die umso stärker wirkt, als der Varieté- und Kabarettbesucher eben nicht auf diese politische Propaganda vorbereitet ist und sie, eingehüllt in das sonstige Amüsiervergnügen, schluckt, fast ohne sie zu schmecken. Die Wirkungen, besonders auf die Frauen, sind groß und gefährlich.

So blitzschnell überlegt die Masse nicht. So fix kommt sie nicht auf den Gedanken, dass ihr da etwas vorgemacht wird, dass man sie selbst prügelt, wenn man sich über einen Mann wie Ebert lustig macht, der ja aus ihrer Mitte stammt, der sich emporgearbeitet hat, und den man – ganz gleich, wie man zu dem Politiker Ebert steht – achten muß, wegen seines Fleißes und seiner Redlichkeit – gerade weil er nicht im Ministerialdirektorshause geboren, sondern aus eigener Kraft etwas geworden ist. Das wird im Augenblick nicht bedacht. Die simple Überlegung, dass die Schrippen früher billiger waren, schlägt jeden anderen Gedankengang tot – und die gewünschte Wirkung ist erreicht.

Aber wer die Schrippen so teuer gemacht hat, das wird nicht gesagt. Wer das Land in den Krieg geritten hat, wer zwei Jahre lang einen Krieg führte, der längst hätte beendigt werden können, wer die ganze Zeit hindurch, wo Frauen und Kinder zu Hause Mangel litten und Polonaise standen, täglich alles im Überfluß hatte –: davon singt der Humorist mit dem aufgeweichten Kragen nichts. Denn dafür wird er nicht bezahlt.

Zwei Dinge sind zu tun.

Einmal sollte der Republikaner aller Parteien Lokale, in denen solche Übelkeiten vorgetingelt werden, meiden – und wenn es ihn einmal erwischt, weil er ja das Programm vorher nicht kennt, dann soll er zischen. Es hilft. Ich habe das ausprobiert; es hilft. Die Herrschaften bekommen sehr bald einen Schreck vor der eigenen Courage. Schließlich haben wir es ja nicht nötig, uns für unser Geld anpöbeln zu lassen. Boykott und kräftiger Protest: das wäre das eine.

Das andere aber ist eine Gegenpropaganda. Nicht von Reichs wegen. Was sich da mit Vorschlägen zur Schaffung eines ›Reichs-Propaganda-Chefs‹ wichtig macht, sucht einen Posten für sich herauszuschlagen und will nur wieder eines der vielen Ämter schaffen und aufblasen, von denen wir Steuerzahler genug und übergenug haben.

Nein, eine solche Gegenpropaganda kann nur auf privatem Wege erfolgen. Dazu gehört viel Geld, Theatererfahrung und eine gewisse Geschicklichkeit in solchen Dingen. Wohlhabende und wohlmeinende Republikaner sollten sich einmal um diese Angelegenheit bekümmern.

Wir alle aber wollen, wenn wieder so ein Radauhumorist uns von den ›guten alten Zeiten‹ vorklönt, den Hausschlüssel nehmen und ihm eins vorpfeifen, dass er das Wiederkommen vergißt. Raus –!

Ignaz Wrobel
Berliner Volkszeitung, 19.04.1922.