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2 x 2 = 4

Nun werden wir schon besser begreifen, wie die Philosophie in ihrer Kindheit die neuentdeckten geheimnisvollen Zahlenverhältnisse als Weltbauende Kräfte auffassen konnte. So kann ich es mir recht gut vorstellen, dass jenes Volk, das nur bis 4 zählen konnte, als es das Verhältnis 2 x 2 = 4 entdeckte, den graden Zahlen 2 und 4 eine höhere Verehrung schenkte als der ungraden 3 und dass es das Geheimnis 2 x 2 = 4 einer besonderen göttlichen Kraft zuschrieb. Möglicherweise hat die mystische Vierzahl damals auch Krankheiten heilen müssen. In weit reicherer und interessanterer Fülle sah Pythagoras neuentdeckte mathematische und geometrische Verhältnisse vor sich. Diese Verhältnisse hatten keine Erklärung, sie mußten Ursachen ihrer selbst sein, und waren sie erst einmal Ursachen oder Kräfte, so konnte man ihnen auch andere Wirkungen zuschreiben. Es scheint, dass Pythagoras abergläubische Vorstellungen von der Wirkung der kindischmystischen Zahlenquadrate hatte. Sein vielbewunderter Hauptgedanke aber war: in der Flucht der Erscheinungswelt sind die Zahlenverhältnisse die bleibenden Pole, es müssen also die Zahlenverhältnisse die Ursachen der Wirklichkeitswelt sein. Und weil er die Verhältnisse mit den Zahlen verwechselte, weil er nicht wußte, dass es in der Natur doch höchstens Verhältnisse und keine Zahlen gibt, darum machte er die Zahlen oder die Zahlworte zu den Ursachen der Wirklichkeit. Zahlen lassen sich schwer mit irgend welchen anderen Erscheinungen vergleichen. Und doch ist es noch nicht lange her, dass auf dem Gebiete des Magnetismus und der Elektrizität mehr Entdeckungen als Erfindungen gemacht worden waren und dass diese Erscheinungen darum als Ursachen unerklärter Wirklichkeiten gedacht worden sind. Auf die Zahlen angewandt: Pythagoras sah noch Harmonien in Zahlenverhältnissen, die nur Korrelate des Systems sind. Für uns ist nur die Frage bedeutungsvoll, ob die Zahlenverhältnisse ohne System, ob die Verhältnisse, die sich aus dem bloßen Abzählen der Einheiten ergeben, wirklich sind oder nicht? Ob der (d'Alembert, Disc. prél.), der sagt 2 + 2 = 4, irgend etwas mehr weiß als der, der sich begnügt zu sagen 2 + 2 ist 2 + 2 ? Ob nicht ebenso die geometrischen Axiome nur verschiedene Standpunkte zu einer und derselben Vorstellung sind? D'Alembert fügt hinzu (und Goethe hat sich das Wort zu eigen gemacht): Nous devons, comme l'ont observé quelques Philosophes, bien des erreurs à l'abus des mots; c'est peut être à ce même abus que nous devons les axiomes.