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"2" die erste Zahl

In überzeugender Weise hat Ernst Mach mehrfach, zuletzt in der dritten Auflage seiner Mechanik (S. 472 u. f.) die Wissenschaft und die Sprache als eine ökonomische Einrichtung erklärt, als eine Arbeitsersparung. Wo immer Mathematik zu anderen Wissenschaften herangezogen wird, da kommt die ganze vorgebildete Ökonomie der Mathematik diesen Wissenschaften zugute. "Die Mathematik ist eine Ökonomie des Zählens. Zahlen sind Ordnungszeichen, die aus Rücksichten der Übersicht und Ersparung selbst in ein einfaches System gebracht sind. Die Zähloperationen werden als von der Art der Objekte unabhängig erkannt, und ein für allemal eingeübt ... Alle Rechnungsoperationen haben den Zweck, das direkte Zählen zu ersparen und durch die Resultate schon vorher vorgenommener Zählprozesse zu ersetzen ... Es kann hierbei vorkommen, dass die Resultate von Operationen verwendet werden, welche vor Jahrhunderten wirklich ausgeführt worden sind ... Ähnlich sparsam verfährt der Kaufmann, indem er, statt seine Kisten selbst herumzuschieben, mit Anweisungen auf dieselben operiert." Die Einführung der Ludolfischen Zahl oder der Logarithmen in die Rechnung ist ein schlagendes Beispiel solcher Arbeitsersparnis durch Benutzung einmal vorhandener Rechnungsresultate. Das gewaltigste Beispiel bleibt jedoch die jedem Kinde geläufige Anwendung unseres Zahlensystems, welches das Resultat des in unendlichen Zeiträumen sich entwickelnden Zählens ist. Dieses Zählen, welches aller Mathematik und zunächst den Zahlen zugrunde liegt, muß jedoch seinen Ausgang genommen haben von dem Akte des BiszWei-zählens, von dem Gefühl der Gleichheit (der für unser Interesse relativ vorhandenen Gleichheit) zweier Gegenstände. Wir haben vorhin schon die Zwei die erste Zahl genannt; wir erkennen jetzt, dass sie die einzige natürliche Zahl ist. Wir vermögen uns freilich nicht den psychologischen Vorgang einer Urzeit vorzustellen, in welcher den Menschen die Begriffe der Einheit und der Gleichheit, das heißt der Zweizahl noch fehlten. Wir können uns aber recht gut vorstellen, wie eines Tages das größte mathematische Genie, das jemals auf Erden gelebt hat, für das Gefühl der Gleichheit zweier Dinge einen sprachlichen Gefühlsausdruck suchte, "zwei" sagte und damit das Zählen erfand. Wir können uns vorstellen, wie diese unerhörte Erfindung Fortschritte machte, wie man von der Zwei zu ihrem Zweiten usw. gelangte und wie für Gruppen, welche noch mit den Augen zu übersehen oder mit den tastenden Fingern zu vergleichen waren, Empfindungsausdrücke sprachliche Fixierung fanden, die dann, je nach dem Genie eines Volks, bis zu 5, bis zu 10, bis zu 12 oder bis zu 20 gingen, wie dann wieder ein mathematisches Genie die Empfindungsausdrücke zu zählen anfing (zwanzig ist deutlich = 2 x 10) und wie so der zufällige Grund gelegt wurde zu unserem Zahlensystem. Nichts kann mir ferner liegen, als bei meinem Mißtrauen gegen alle vorhistorische Etymologie das indoeuropäische Wort für zwei zur Erklärung heranzuschleppen. Es wäre aber ganz hübsch, wenn das Zahlwort zwei (vielfach tva oder dva) und das Fürwort du, das Fürwort der zweiten Person (im Sanskrit tvam), ursprüng lich ein und dasselbe Wort gewesen wäre. Wir haben gesehen: es gibt in der weiten Welt der psychologischen Wirklichkeit nur eine einzige Einheit, die Einheit des individuellen Bewußtseins, die Einheit des Ich; und da wäre es doch ganz hübsch, wenn das erste mathematische Genie am Nebenmenschen die Entdeckung gemacht hätte, dass er auch so ein Ich sei, wenn er den Begriff des Zweiten zuerst auf einen Nebenmenschen angewandt hätte, wenn das "du" eigentlich geheißen hätte "mein zweites Ich". Dann hätte der berühmte Satz der Veden "Tat tvam asi" in irgend einer fernen, fernen Vorzeit wirklich den Sinn gehabt: "Du bist mein zweites Ich." Der "Andere" hieß im Deutschen noch vor wenig über 100 Jahren so viel wie der "Zweite".