Gravitation
Über die seit Newton nur klarer gewordenen Schwierigkeiten des Gravitationsbegriffs will ich an dieser Stelle nichts Neues zu sagen versuchen. Nur eine Bemerkung zu dem geistreichen Hinweis von Lange, dass die Bestätigung der Atomistik durch rein theoretische Entdeckung neuer Elemente höchstens in gleichem Lichte betrachtet werden könne, wie etwa die Bestätigung der Lehre Newtons durch die Entdeckung des Neptun. Lange wendet ein, dass die Entdeckung des Planeten Neptun nichts über die Ursache und Geheimnisse der Gravitation verrate, gibt aber zu, dass die Hypothese Newtons durch diese Entdeckung eine glänzende Bestätigung erhalten habe. Ich kann nach genauer Prüfung nicht einmal das zugeben. Zu einer Vermutung über den Ort des Neptun hätte auch ohne die Gravitationshypothese eine genaue Abmessung der Planetenbahnen, eine exaktere Weiterführung der Keplerischen Gesetze führen können. Die Tat Newtons wird durch diese Bemerkung nicht verkleinert. Habe ich aber recht mit der Annahme, dass exakt beobachtete Planetenbahnen auch ohne jeden Erklärungsversuch zur Vermutung des Neptunortes hätten führen können, so folgt daraus für uns etwas Wichtiges: dass vor Einführung der Fluxionsrechnung in die Astronomie deren Zahlenverhältnisse auffindbar waren durch die Hilfsmittel der alten Mathematik. Und sieht man frei in die Frage hinein, so erscheint die Zahlenharmonie von Pythagoras und Hegel zur Erkenntnis des Planetensystems von der Zahlenharmonie Keplers nur dadurch verschieden, dass Pythagoras phantastische, Kepler gut beobachtete Zahlen in Rechnung gesetzt hatte. Was durch Zahlenverhältnisse ausgedrückt Werden konnte, das war schon der alten Mathematik möglich. Was die Einführung der Fluxionsrechnung, die rechnerische Verwertung der Differentialänderung hinzufügte, war nicht ein neues Wissen, sondern nur die Vorstellung von einer mythologischen Ursache, von der Gravitation. Wir wollen uns merken, warum das wohl so kommen mußte: weil es in der Natur nicht Zahlen gibt, sondern höchstens Zahlenverhältnisse, weil diese Verhältnisse uns nur in Zahlen erkennbar sind und weil das Differential der fast übermenschliche Versuch ist, die Verhältnisse selbst und unmittelbar zu überblicken.
Auch die Zuverlässigkeit der Atomistik scheint vielen Forschern dadurch bewiesen, dass auf dem Wege atomistischer Theorien neue Elemente, also doch auch Weltkörper, gefunden worden sind. Dagegen ist schon von Lange und auch von Helmholtz eingewandt worden, dass jene atomistischen Theorien das Atom in der Wirklichkeitswelt fanden, weil sie es bei Beginn ihrer Schlußfolgerungen voraussetzten. Zur Entdeckung der neuen Elemente führte die geistreiche Analogie zwischen guten Beobachtungen; die Theorie war eine Verzierung. Erstünde uns, mehr als zweihundert Jahre nach Robert Boyle, ein neuer Chemista scepticus, so würde er gegen die grundlegenden Vorstellungen unserer Atomisten lebhafter auftreten können, als unsereiner es vermag. Kekulé hat schon 1861 gesagt, dass Atome weder gemessen noch gewogen werden können, dass nur Betrachtung und Spekulation zur hypothetischen Annahme bestimmter Atomgewichte führen kann; und gegenwärtig streiten die Theoretiker der Physik immer noch darüber, ob die Atome stofflose Kraftausgangspunkte seien oder doch unmeßbar klein zu denkende Körper. Es wiederholt sich beim modernen Atom die Frage der Differentialmetaphysik; auch das Atom wird bald als einzig gegebene intensive Größe, bald als Null aufgefaßt, stofflich als absolute Null, dynamisch als relative Null. Schon Gay-Lussac hat die Atome wie Differentiale der Körper betrachtet.