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Zahl und Natur

Auf meinem Wege stehe ich jetzt an dem Punkte, wo ich erfahren kann, ob das Rätsel der Zahlen einen seiner vielen Schleier abwerfen wird oder nicht. Wir haben nämlich gesehen, dass alle logischen Operationen, welche für uns doch nur Aufdröselungen psychologischer Begriffsbildung sind, auf die Unterkategorie der Quantität, auf die unbestimmten Zahlen eins, viel und alle zurückgehen. Eins ist nur als Hälfte der ersten Zahl zwei eine diskrete Zahl; als Einheit ist sie unbestimmt, wie sie denn auch in vielen modernen Sprachen mit dem unbestimmten Artikel zusammenfällt. Von der Allheit haben wir gesehen, dass dieser Begriff (Hypothesen abgerechnet) immer nur eine im Bewußtsein vollzogene Vereinheitlichung der Vielheit ist. Mit dieser Vielheit operiert unser Denken gewöhnlich ohne Ziffern, ohne Algebra. Was aber die Algebra der Logik Neues wissenschaftlich versucht hat. das liegt in der Natur vor, seitdem es eine Natur gibt. Es gibt in Berlin in einem bestimmten Augenblicke nicht "viele" Menschen, auch nicht "ungefähr" zwei oder drei Millionen, sondern eine ganz bestimmte Zahl von Individuen, eine viel bestimmtere Zahl sogar, als die Statistiker mit den Fehlerquellen ihres Zählens herausbringen können. Auf dem Kopfe jedes dieser Individuen sind nicht "viele" Haare, sondern auf jedem Kopfe eine diskrete Zahl. Die Vielheit ist nur im Kopfe unter diesen Haaren vorhanden; in der Wirklichkeitswelt gibt es keine unbestimmten Zahlen. Aber in der Wirklichkeitswelt gibt es anderseits überhaupt keine Zahlen, weil nicht die Natur zählt, sondern der Mensch. Wir stehen also vor dem alten Widerspruch, den wir jetzt mit den Mitteln unserer Sprache etwa so ausdrücken können: dass in der Natur etwas ist, was mit untrüglicher Sicherheit unseren Zahlen und allen möglichen Rechnungsarten entspricht, dass die Tätigkeit des Zählens jedoch Menschenwerk ist, Verstandesarbeit. Und da scheint mir doch, dass wir um einen kleinen Schritt vorwärts gekommen sind, da wir vorhin Zahlen und Zahlenverhältnisse in das Bewußtsein zurückgewiesen und die Beziehungen der Gleichheit und Ungleichheit als die Grundtatsache alles Denkens erkannt haben. Wir können uns jetzt vorstellen, dass der Unterschied der Größenverhältnisse auf unsere Empfindung von Ungleichheit zurückgeht und dass die Empfindung der Gleichheit die erste Veranlassung zur Tätigkeit des Zählens gegeben hat. Es versteht sich von selbst, dass die Beziehungen der Gleichheit und die auf ihnen sich allmählich erhebende Mathematik von Schritt zu Schritt auf die Beziehungen der Ungleichheit, das heißt auf die Größenverhältnisse in der Natur aufgebaut worden sind und dass demnach auch die wirklichen Größenverhältnisse der Natur in zweiter Potenz nur Tatsachen unseres Bewußtseins sind, erstens weil die Empfindung der Ungleichheit ein psychologischer Zustand ist, zweitens weil das Ausmessen der Ungleichheiten oder der Größenverhältnisse erst mit Hilfe der Gleichheitsempfindungen möglich ist.