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VI. Das Zahlwort

Entlehnung

Wenige Ergebnisse der Etymologie scheinen so gesichert wie die Gemeinsamkeit der "Wurzeln" in den Zahlwörtern der indoeuropäischen Sprachen; das dva und tri in allen seinen Veränderungen zu verfolgen, ist ein Steckenpferd der Sprachforscher. Wie aber, wenn die Übereinstimmung sich ganz ohne Etymologie einfacher erklären ließe, durch Entlehnung? Wie wenn die Völker, die hier in Frage kommen, die Zahlwörter als eine nützliche neue Erfindung von einem rechenfrohen Volke geborgt hätten? Am Ende gar von einem nicht indoeuropäischen? Wie ihre Ziffern? Möglich wäre es schon, dass irgend einmal die "Indoeuropäer" trotz ihrer Begabung noch nicht bis drei zählen konnten, wie das ja heut noch von den Chiquitoindianern erzählt wird. Ja, nicht nur möglich wäre das. Es ist gewiß, wenn wir ihre Kulturgeschichte nur weit genug zurückverfolgen, eben bis zu ihrer zahlenlosen Zeit.

Es ist also bei diesen Worten noch wichtiger als bei den anderen, darauf hinzuweisen, dass auch Zahlwörter dem Sprachschatz eines anderen Volkes entnommen werden können und häufig entnommen worden sind. Man nimmt jetzt an, dass die Hebräer ihre erstaunlich ähnlichen Worte für sechs und sieben (schesch und scheba) den Indogermanen, ihr Wort für acht den Ägyptern entlehnt haben. Sehr häufig wird in unserer Zeit beobachtet, dass unkultivierte Völkerschaften, ihre Zahlworte den europäischen Eindringlingen entlehnen; als die Portugiesen ein mächtiges Volk waren, nahm ein brasilianischer Volksstamm portugiesische Zahlworte an, jetzt entnimmt man sie in der Südsee dem englischen Sprachschatz. Aber wir brauchen gar nicht so weit zu gehen. In historischer Zeit haben wir das Wort Dutzend aus einer romanischen Sprache entlehnt, in noch jüngerer Zeit den Begriff und das Wort Million.