Zum Hauptinhalt springen

Verein der Freunde des neuen Russland – in Frankreich

Man hat soeben in Paris eine Gesellschaft zur Förderung der französisch-russischen Kultur begründet. Sie könnte, wenn sie sich günstig entwickelt, für Frankreich das werden, was der Verein der Freunde des neuen Rußland für uns ist: ein sehr nützliches Informationsinstitut. Aber man wird mit Schwierigkeiten rechnen müssen. Es ist nicht zu vergessen, daß in Frankreich die kulturelle Krise bei weitem nicht so fortgeschritten ist wie bei uns. Die Problematik in der Situation des Intellektuellen, aus der heraus er selbst sein Existenzrecht in Frage stellt, während zu gleicher Zeit die Gesellschaft ihm die Existenzmittel verweigert, ist in Frankreich so gut wie unbekannt. Es geht den Künstlern und Literaten vielleicht nicht besser als ihren deutschen Kollegen, aber ihr Prestige ist unangetastet. Mit einem Wort: sie kennen den Schwebezustand. In Deutschland aber wird bald keiner mehr bestehen können, es sei denn, seine Stellungnahme sei weithin sichtbar. Und während in der jungen deutschen Generation die Scheidung zwischen Kultur und Konservativismus aller Orten eine sehr reinliche ist, hat kürzlich die aufsehenerregende »Défense de l'Occident« von Henri Massis gezeigt, daß es in Frankreich immer noch einen Kulturkonservativismus von Niveau gibt. Die neue russisch-französische Gesellschaft ist selbstverständlich unpolitisch eingestellt. Es wird sich zeigen, ob sie unter diesem Titel das harmlose Mühlespiel der internationalen Kulturbeziehungen pflegt oder das eminent politische Faktum einer Bekanntschaft mit den intellektuellen Fragestellungen Rußlands verwirklichen will und kann. En attendant war es taktisch sehr richtig, die Leitung der konstituierenden Versammlung Georges Duhamel anzuvertrauen, der eben von seiner Reise in Rußland zurückkommt, als Freund von Barbusse genügend Attachen im linken Lager besitzt und doch dem Kommunismus persönlich fernsteht. Man hätte seine Sache gar nicht besser machen können, als dieser entschiedene, wortkarge Mann mit seinem klangvollen Organ und dem gefältelten Gesicht eines badischen Theologiestudenten. Am Vorstandstische links von ihm Frau Kamenewa, rechts die alte Frau Curie. Unter den Anwesenden Frau Seifulina, Wladimir Majakowski, Ilja Ehrenburg. In kurzem war ein vorbereitendes Komitee bestimmt, in dem eine Anzahl der besten Namen aus der französischen Intelligenz zu finden sind. Charles Vildrac, Luc Durtain, Jean-Richard Bloch, Albert Gleizes unter vielen anderen. Inmitten der Debatten dieses Abends aber kam ein Augenblick, der ungeachtet der Gegenwart so vieler Führer der revolutionären Dichtung durchaus den Manen des dix-huitième siècle gewidmet war. Frau Curie hatte gesprochen, und zwar so leise, daß sie von keinem in dem achtungsvollen, schweigenden Auditorium war verstanden worden. Nach ihr nahm Duhamel selber das Wort. Und nun auf einmal kam, was er sagte, ebenfalls so leise heraus, daß auch er im Saale unhörbar blieb. Wenn spätere Sitzungen dieser Gesellschaft russischen Geist so sinnfällig machen, wie diese erste den französischen, dann wird sie ihre Aufgabe erfüllen.