Hermann Ungar: »Die Gartenlaube«
Uraufführung im Theater am Schiffbauerdamm
Die neue Sachlichkeit hat sich am politischen Drama die Milchzähne ausgebissen, ohne daß ihr darum Weisheitszähne gewachsen wären. Dieses Drama nämlich steht und fällt mit seinem didaktischen Gehalt, mit seinem Lehrwert. Davon will aber niemand hören; dafür hat niemand Zeit übrig. Es ist ja so viel einfacher statt eines Lehrgehalts, der den Autor strapaziert, weil er Einsicht verlangt, den agitatorischen in die Mitte zu stellen. Man kann es Ungar also nicht verdenken, wenn er statt ans politische Drama sich an ein politisiertes hält, und den bewährten Rohbau des bürgerlichen Lustspiels zugrunde legt, um darauf zu montieren, was er Verdrossenes, was er Despektierliches, was er Schnödes zu sagen hat. Auf diese Art gewinnt er festgefügte dankbare Rollen, denen eine sichere durchdachte Aufführung völlig gerecht wurde. Man sehe näher zu: Jede dieser Figuren ist nur durch eine kleine Verzerrung – wie uns der Simplizissimus seit Jahren zeigt – von dem sympathischen Urbild aus dem »Raub der Sabinerinnen« oder aus dem »Weißen Röss'l« unterschieden. Der Vater, ehemals zerstreuter Professor oder Schmierendirektor; jetzt (Erich Ponto: ganz meisterhaft) der närrisch weltfremde Schöngeist. Die Mutter, ehemals die waltende Hausfrau, die das Ihre zusammenhält; jetzt (Hedwig Wangel) das Weib, das mit beiden Füßen im Leben steht, und, etwas strindbergisch, die Ihren zusammenhält. Die Tochter, ehemals unaufgeklärt, unberührt und zum Schluß versorgt; jetzt (Hilde Körber) aufgeklärt, aber bis zur Narrheit, berührt, aber von dem Zukünftigen und zum Schluß nicht minder versorgt. Weil die Schärfe dieser Dialoge weit der des Aufbaus überlegen ist, darum geht es nicht ohne expressionistische Verstauchungen ab. So wie Ungar es tut, konfrontierte man vor acht Jahren eine »Kurtisane« und einen »Vater«. Manchmal langt der Witz nur mit weit heraushängender Zunge an der Pointe an.
Bei alledem bleibt das Drama (und nicht nur der ausgezeichneten Aufführung wegen, um die auch Nehers Panoptikumvilla ein großes Verdienst hat) sehr sehenswert. Es ist ein sauberer Trick, der zugrunde liegt. Wenn auch im Innern der Mechanismus noch auf die herkömmliche Weise abschnurrt, so macht es dennoch Spaß, sich das Ganze einmal in entgegengesetzter Richtung drehen zu sehen.