Drittes Kapitel:
Die Poesie

 

1. Der Tempel der klassischen Architektur fordert einen Gott, der ihm inwohnt; die Skulptur stellt denselben in plastischer Schönheit hin und gibt dem Material, das sie dazu verwendet, Formen, die nicht ihrer Natur nach dem Geistigen äußerlich bleiben, sondern die dem bestimmten Inhalte selbst immanente Gestalt sind. Die Leiblichkeit aber und Sinnlichkeit sowie die ideale Allgemeinheit der Skulpturgestalt hat sich gegenüber teils das subjektiv Innerliche, teils die Partikularität des Besonderen, in deren Elemente sowohl der Gehalt des religiösen als auch des weltlichen Lebens durch eine neue Kunst Wirklichkeit gewinnen muß. Diese ebenso subjektive als partikulär-charakteristische Ausdrucksweise bringt im Prinzipe der bildenden Künste selbst die Malerei hinzu, indem sie die reale Äußerlichkeit der Gestalt zur ideelleren Farbenerscheinung herabsetzt und den Ausdruck der inneren Seele zum Mittelpunkt der Darstellung macht. Die allgemeine Sphäre jedoch, in welcher sich diese Künste, die eine im symbolischen, die andere im plastisch-idealen, die dritte im romantischen Typus, bewegen, ist die sinnliche Außengestalt des Geistes und der Naturdinge.

Nun hat aber der geistige Inhalt, als wesentlich dem Innern des Bewußtseins angehörig, an dem bloßen Elemente der äußeren Erscheinung und dem Anschauen, welchem die Außengestalt sich darbietet, ein für das Innere zugleich fremdes Dasein, aus dem die Kunst ihre Konzeptionen deshalb wieder herausziehen muß, um sie in ein Bereich hineinzuverlegen, das sowohl dem Material als der Ausdrucksart nach für sich selbst innerlicher und ideeller Art ist.

Dies war der Schritt, welchen wir die Musik vorwärts tun sahen, insofern sie das Innerliche als solches und die subjektive Empfindung statt in anschaubaren Gestalten in den Figurationen des in sich erzitternden Klingens für das Innere machte. Doch trat auch sie dadurch in ein anderes Extrem, in die un-explizierte subjektive Konzentration herüber, deren Inhalt in den Tönen eine nur selbst wieder symbolische Äußerung fand. Denn der Ton für sich genommen ist inhaltslos und hat seine Bestimmtheit in Zahlenverhältnissen, so daß nun das Qualitative des geistigen Gehalts diesen quantitativen Verhältnissen, welche sich zu wesentlichen Unterschieden, Gegensätzen und Vermittlung auftun, wohl im allgemeinen entspricht, in seiner qualitativen Bestimmtheit aber nicht durch den Ton vollständig kann ausgeprägt werden. Soll daher diese Seite nicht durchaus fehlen, so muß sich die Musik ihrer Einseitigkeit wegen die genauere Bezeichnung des Wortes zu Hilfe rufen und fordert zum festeren Anschluß an die Besonderheit und den charakteristischen Ausdruck des Inhalts einen Text, der für das Subjektive, das sich durch die Töne hin ergießt, erst die nähere Erfüllung gibt. Durch dieses Aussprechen von Vorstellungen und Empfindungen stellt sich nun zwar die abstrakte Innerlichkeit der Musik zu einer klareren und festeren Explikation heraus; was aber von ihr ausgebildet wird, ist teils nicht die Seite der Vorstellung und deren kunstgemäße Form, sondern nur die begleitende Innerlichkeit als solche, teils entschlägt die Musik sich überhaupt der Verbindung mit dem Wort, um sich in ihrem eigenen Kreise des Tönens hemmungslos umherzubewegen. Dadurch trennt sich das Bereich der Vorstellung, die nicht bei der abstrakteren Innerlichkeit als solcher stehenbleibt, sondern ihre Welt sich als eine konkrete Wirklichkeit ausgestaltet, auch ihrerseits gleichfalls von der Musik los und gibt sich in der Dichtkunst für sich eine kunstgemäße Existenz.

Die Poesie nun, die redende Kunst, ist das dritte, die Totalität, welche die Extreme der bildenden Künste und der Musik auf einer höheren Stufe, in dem Gebiete der geistigen Innerlichkeit selber, in sich vereinigt. Denn einerseits enthält die Dichtkunst wie die Musik das Prinzip des Sichvernehmens des Inneren als Inneren, das der Baukunst, Skulptur und Malerei abgeht; andererseits breitet sie sich im Felde des inneren Vorstellens, Anschauens und Empfindens selber zu einer objektiven Welt aus, welche die Bestimmtheit der Skulptur und Malerei nicht durchaus verliert und die Totalität einer Begebenheit, eine Reihenfolge, einen Wechsel von Gemütsbewegungen, Leidenschaften, Vorstellungen und den abgeschlossenen Verlauf einer Handlung vollständiger als irgendeine andere Kunst zu entfalten befähigt ist.

2. Näher aber macht die Poesie die dritte Seite zur Malerei und Musik als den romantischen Künsten aus.

a) Teils nämlich ist ihr Prinzip überhaupt das der Geistigkeit, die sich nicht mehr zur schweren Materie als solcher herauswendet, um dieselbe wie die Architektur zur analogen Umgebung des Inneren symbolisch zu formen oder wie die Skulptur die dem Geist zugehörige Naturgestalt als räumliche Äußerlichkeit in die reale Materie hineinzubilden, sondern den Geist mit allen seinen Konzeptionen der Phantasie und Kunst, ohne dieselben für die äußere Anschauung sichtbar und leiblich herauszustellen, unmittelbar für den Geist ausspricht. Teils vermag die Poesie nicht nur das subjektive Innere, sondern auch das Besondere und Partikuläre des äußeren Daseins in einem noch reichhaltigeren Grade als Musik und Malerei sowohl in Form der Innerlichkeit zusammenzufassen als auch in der Breite einzelner Züge und zufälliger Eigentümlichkeiten auseinanderzulegen.

b) Als Totalität jedoch ist die Poesie nach der anderen Seite von den bestimmten Künsten, deren Charakter sie in sich verbindet, auch wieder wesentlich zu unterscheiden.

α) Was in dieser Rücksicht die Malerei angeht, so bleibt sie überall da im Vorteil, wo es darauf ankommt, einen Inhalt auch seiner äußeren Erscheinung nach vor die Anschauung zu bringen. Denn die Poesie vermag zwar gleichfalls durch mannigfache Mittel ganz ebenso zu veranschaulichen, wie in der Phantasie überhaupt das Prinzip des Herausstellens für die Anschauung liegt; insofern aber die Vorstellung, in deren Elemente die Poesie sich vornehmlich bewegt, geistiger Natur ist und ihr deshalb die Allgemeinheit des Denkens zugute kommt, ist sie die Bestimmtheit der sinnlichen Anschauung zu erreichen unfähig. Auf der anderen Seite fallen in der Poesie die verschiedenen Züge, welche sie, um uns die konkrete Gestalt eines Inhalts anschaubar zu machen, herbeiführt, nicht wie in der Malerei als ein und dieselbe Totalität zusammen, die vollständig als ein Zugleich aller ihrer Einzelheiten vor uns dasteht, sondern gehen auseinander, da die Vorstellung das Vielfache, das sie enthält, nur als Sukzession geben kann. Doch ist dies nur ein Mangel nach der sinnlichen Seite hin, den der Geist wieder zu ersetzen imstande bleibt. Indem nämlich die Rede auch da, wo sie eine konkrete Anschauung hervorzurufen bemüht ist, sich nicht an das sinnliche Aufnehmen einer vorhandenen Äußerlichkeit, sondern immer an das Innere, an die geistige Anschauung wendet, so sind die einzelnen Züge, wenn sie auch nur aufeinanderfolgen, doch in das Element des in sich einigen Geistes versetzt, der das Nacheinander zu tilgen, die bunte Reihe zu einem Bilde zusammenzuziehen und dies Bild in der Vorstellung festzuhalten und zu genießen weiß. Außerdem kehrt sich dieser Mangel an sinnlicher Realität und äußerlicher Bestimmtheit für die Poesie der Malerei gegenüber sogleich zu einem unberechenbaren Überfluß um. Denn indem sich die Dichtkunst der malerischen Beschränkung auf einen bestimmten Raum und mehr noch auf einen bestimmten Moment einer Situation oder Handlung entreißt, so wird ihr dadurch die Möglichkeit geboten, einen Gegenstand in seiner ganzen innerlichen Tiefe wie in der Breite seiner zeitlichen Entfaltung darzustellen. Das Wahrhaftige ist schlechthin konkret in dem Sinne, daß es eine Einheit wesentlicher Bestimmungen in sich faßt. Als erscheinend aber entwickeln sich dieselben nicht nur im Nebeneinander des Raums, sondern in einer zeitlichen Folge als eine Geschichte, deren Verlauf die Malerei nur in ungehöriger Weise zu vergegenwärtigen vermag. Schon jeder Halm, jeder Baum hat in diesem Sinne seine Geschichte, eine Veränderung, Folge und abgeschlossene Totalität unterschiedener Zustände. Mehr noch ist dies im Gebiete des Geistes der Fall, der als wirklicher, erscheinender Geist erschöpfend nur kann dargestellt werden, wenn er uns als solch ein Verlauf vor die Vorstellung kommt.

β) Mit der Musik hat, wie wir sahen, die Poesie als äußerliches Material das Tönen gemeinschaftlich. Die ganz äußerliche, im schlechten Sinne des Wortes objektive Materie verfliegt in der Stufenfolge der besonderen Künste zuletzt in dem subjektiven Elemente des Klangs, der sich der Sichtbarkeit entzieht und das Innere nur dem Inneren vernehmbar macht. Für die Musik aber ist die Gestaltung dieses Tönens als Tönens der wesentliche Zweck. Denn obschon die Seele in dem Gang und Lauf der Melodie und ihrer harmonischen Grundverhältnisse das Innere der Gegenstände oder ihr eigenes Inneres sich zur Empfindung bringt, so ist es doch nicht das Innere als solches, sondern die mit ihrem Tönen aufs innigste verwebte Seele, die Gestaltung dieses musikalischen Ausdrucks, was der Musik ihren eigentlichen Charakter gibt. Dies ist so sehr der Fall, daß die Musik, je mehr in ihr die Einlebung des Inneren in das Bereich der Töne statt des Geistigen als solchen überwiegt, um so mehr zur Musik und selbständigen Kunst wird. Deshalb aber ist sie auch nur in relativer Weise befähigt, die Mannigfaltigkeit geistiger Vorstellungen und Anschauungen, die weite Ausbreitung des in sich erfüllten Bewußtseins in sich aufzunehmen, und bleibt in ihrem Ausdruck bei der abstrakteren Allgemeinheit dessen, was sie als Inhalt ergreift, und der unbestimmteren Innigkeit des Gemüts stehen. In demselben Grade nun, in welchem der Geist sich die abstraktere Allgemeinheit zu einer konkreten Totalität der Vorstellungen, Zwecke, Handlungen, Ereignisse ausbildet und zu deren Gestaltung sich auch die vereinzelnde Anschauung beigibt, verläßt er nicht nur die bloß empfindende Innerlichkeit und arbeitet dieselbe zu einer gleichfalls im Innern der Phantasie selber entfalteten Welt objektiver Wirklichkeit heraus, sondern muß es nun eben dieser Ausgestaltung wegen aufgeben, den dadurch neu gewonnenen Reichtum des Geistes auch ganz und ausschließlich durch Tonverhältnisse ausdrücken zu wollen. Wie das Material der Skulptur zu arm ist, um die volleren Erscheinungen, welche die Malerei ins Leben zu rufen die Aufgabe hat, in sich darstellen zu können, so sind jetzt auch die Tonverhältnisse und der melodische Ausdruck nicht mehr imstande, die dichterischen Phantasiegebilde vollständig zu realisieren. Denn diese haben teils die genauere bewußte Bestimmtheit von Vorstellungen, teils die für die innere Anschauung ausgeprägte Gestalt äußerlicher Erscheinung. Der Geist zieht deshalb seinen Inhalt aus dem Tone als solchem heraus und gibt sich durch Worte kund, die zwar das Element des Klanges nicht ganz verlassen, aber zum bloß äußeren Zeichen der Mitteilung herabsinken. Durch diese Erfüllung nämlich mit geistigen Vorstellungen wird der Ton zum Wortlaut und das Wort wiederum aus einem Selbstzwecke zu einem für sich selbständigkeitslosen Mittel geistiger Äußerung. Dies bringt nach dem, was wir schon früher feststellten, den wesentlichen Unterschied von Musik und Poesie hervor. Der Inhalt der redenden Kunst ist die gesamte Welt der phantasiereich ausgebildeten Vorstellungen, das bei sich selbst seiende Geistige, das in diesem geistigen Elemente bleibt und, wenn es zu einer Äußerlichkeit sich hinausbewegt, dieselbe nur noch als ein von dem Inhalte selber verschiedenes Zeichen benutzt. Mit der Musik gibt die Kunst die Einsenkung des Geistigen in eine auch sinnlich sichtbare, gegenwärtige Gestalt auf; in der Poesie verläßt sie auch das entgegengesetzte Element des Tönens und Vernehmens wenigstens insoweit, als dieses Tönen nicht mehr zur gemäßen Äußerlichkeit und dem alleinigen Ausdruck des Inhalts umgestaltet wird. Das Innere äußert sich daher wohl, aber es will in der wenn auch ideelleren Sinnlichkeit des Tons nicht sein wirkliches Dasein finden, das es allein in sich selber sucht, um den Gehalt des Geistes, wie er im Innern der Phantasie als Phantasie ist, auszusprechen.

c) Sehen wir uns drittens endlich nach dem eigentümlichen Charakter der Poesie in diesem Unterschiede von Musik und Malerei sowie den übrigen bildenden Künsten um, so liegt derselbe einfach in der eben angedeuteten Herabsetzung der sinnlichen Erscheinungsweise und Ausgestaltung alles poetischen Inhalts. Wenn nämlich der Ton nicht mehr wie in der Musik oder wie die Farbe in der Malerei den ganzen Inhalt in sich aufnimmt und darstellt, so fällt hier notwendig die musikalische Behandlung desselben nach selten des Taktes sowie der Harmonie und Melodie fort und läßt nur noch im allgemeinen die Figuration des Zeitmaßes der Silben und Wörter sowie den Rhythmus, Wohlklang usf. übrig, und zwar nicht als das eigentliche Element für den Inhalt, sondern als eine akzidentellere Äußerlichkeit, welche eine Kunstform nur noch annimmt, weil die Kunst keine Außenseite sich schlechthin zufällig nach eigenem Belieben ergehen lassen darf.

α) Bei dieser Zurückziehung des geistigen Inhalts aus dem sinnlichen Material fragt es sich nun sogleich, was denn jetzt in der Poesie, wenn es der Ton nicht sein soll, die eigentliche Äußerlichkeit und Objektivität ausmachen werde. Wir können einfach antworten: das innere Vorstellen und Anschauen selbst. Die geistigen Formen sind es, die sich an die Stelle des Sinnlichen setzen und das zu gestaltende Material, wie früher Marmor, Erz, Farbe und die musikalischen Töne, abgeben. Denn wir müssen uns hier nicht dadurch irreführen lassen, daß man sagen kann, Vorstellungen und Anschauungen seien ja der Inhalt der Poesie. Dies ist allerdings, wie sich später noch ausführlicher zeigen wird, richtig; ebenso wesentlich steht aber auch zu behaupten, daß die Vorstellung, die Anschauung, Empfindung usf. die spezifischen Formen seien, in denen von der Poesie jeder Inhalt gefaßt und zur Darstellung gebracht wird, so daß diese Formen, da die sinnliche Seite der Mitteilung das nur Beiherspielende bleibt, das eigentliche Material liefern, welches der Dichter künstlerisch zu behandeln hat. Die Sache, der Inhalt soll zwar auch in der Poesie zur Gegenständlichkeit für den Geist gelangen; die Objektivität jedoch vertauscht ihre bisherige äußere Realität mit der inneren und erhält ein Dasein nur im Bewußtsein selbst, als etwas bloß geistig Vorgestelltes und Angeschautes. Der Geist wird so auf seinem eigenen Boden sich gegenständlich und hat das sprachliche Element nur als Mittel, teils der Mitteilung, teils der unmittelbaren Äußerlichkeit, aus welcher er als aus einem bloßen Zeichen von Hause aus in sich zurückgegangen ist. Deshalb bleibt es auch für das eigentlich Poetische gleichgültig, ob ein Dichtwerk gelesen oder angehört wird, und es kann auch ohne wesentliche Verkümmerung seines Wertes in andere Sprachen übersetzt, aus gebundener in ungebundene Rede übertragen und somit in ganz andere Verhältnisse des Tönens gebracht werden.

 


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