ERSTER ABSCHNITT:
Die Architektur


Die Kunst, indem sie ihren Gehalt in das wirkliche Dasein zu bestimmter Existenz heraustreten läßt, wird zu einer besonderen Kunst, und wir können deshalb jetzt erst von einer realen Kunst und damit von dem wirklichen Anfange der Kunst sprechen. Mit der Besonderheit aber, insofern sie die Objektivität der Idee des Schönen und der Kunst zuwege bringen soll, ist sogleich dem Begriffe nach eine Totalität des Besonderen vorhanden. Wenn daher hier in dem Kreise der besonderen Künste zuerst von der Baukunst gehandelt wird, so muß dies nicht nur den Sinn haben, daß sich die Architektur als diejenige Kunst hinstelle, welche sich durch die Begriffsbestimmung als die zuerst zu betrachtende ergebe, sondern es muß sich ebensosehr zeigen, daß sie auch als die der Existenz nach erste Kunst abzuhandeln sei. Bei der Beantwortung der Frage jedoch, welchen Anfang die schöne Kunst dem Begriffe und der Realität zufolge genommen habe, dürfen wir sowohl das empirisch Geschichtliche als auch die äußerlichen Reflexionen, Vermutungen und natürlichen Vorstellungen, die man sich so leicht und vielfältig hierüber machen kann, durchweg ausschließen.

Man hat nämlich gewöhnlich den Trieb, eine Sache sich in ihrem Anfange vor Augen zu führen, weil der Anfang die einfachste Weise ist, in der sie sich zeigt. Dabei behält man im Hintergrunde die dunkle Vorstellung, diese einfache Weise gebe die Sache in ihrem Begriffe und Ursprünge kund, und die Ausbildung solch eines Beginnes bis zu der Stufe hin, um welche es eigentlich zu tun ist, faßt sich dann weiter ebensoleicht durch die triviale Kategorie, daß dieser Fortgang die Kunst nach und nach auf jene Stufe gebracht habe. Der einfache Anfang aber ist seinem Gehalte nach etwas für sich so Unbedeutendes, daß er für das philosophische Denken als durchaus zufällig erscheinen muß, wenn auch gerade deshalb die Entstehung auf diese Weise für das gewöhnliche Bewußtsein für um so begreiflicher genommen wird. So erzählt man z. B., um den Ursprung der Malerei zu erklären, die Geschichte von einem Mädchen, die den Schattenumriß ihres schlummernden Geliebten nachgezogen habe; für den Anfang der Baukunst wird ebenso bald eine Höhle, bald ein Klotz usf. angeführt. Dergleichen Anfänge sind für sich so verständlich, daß die Entstehung keiner weiteren Erklärung zu bedürfen scheint. Die Griechen insbesondere haben sich für die Anfänge nicht nur der schönen Kunst, sondern auch der sittlichen Institutionen und sonstigen Lebensverhältnisse viel anmutige Geschichten erfunden, bei denen sich das Bedürfnis, die erste Entstehung vorzustellen, befriedigte. Historisch sind solche Anfänge nicht, und doch sollen sie nicht den Zweck haben, die Entstehungsweise aus dem Begriffe verständlich zu machen, sondern die Erklärungsweise soll innerhalb des geschichtlichen Weges stehenbleiben.

Wir nun haben den Anfang aus dem Begriff der Kunst so festzustellen, daß die erste Aufgabe der Kunst darin bestehe, das an sich selbst Objektive, den Boden der Natur, die äußere Umgebung des Geistes zu gestalten und somit dem Innerlichkeitslosen eine Bedeutung und Form einzubilden, welche demselben äußerlich bleibt, da sie nicht die dem Objektiven selber immanente Form und Bedeutung ist. Die Kunst, der diese Aufgabe gestellt wird, ist, wie wir sahen, die Architektur, welche ihre erste Ausbildung früher gefunden hat als die Skulptur oder Malerei und Musik.

Wenden wir uns nun zu den frühesten Anfängen der Baukunst hin, so liegt die Hütte als Wohnung des Menschen, der Tempel als Umschließung des Gottes und seiner Gemeine als das Nächste da, was sich als das Anfängliche annehmen ließe. Zur näheren Bestimmung dieses Anfangs hat man dann nach dem Unterschiede des Materials gegriffen, mit welchem konnte gebaut werden, und sich gestritten, ob die Architektur vom Holzbau ausgegangen (wie Vitruv meint, welchen auch Hirt bei der gleichen Behauptung vor Augen hat) oder vom Steinbau. Dieser Gegensatz ist allerdings von Wichtigkeit, denn er betrifft nicht nur, wie es beim ersten Blick scheinen kann, das äußere Material, sondern mit diesem äußerlichen Material stehen wesentlich auch die architektonischen Grundformen wie die Art der Ausschmückung derselben in Zusammenhang. Dennoch aber können wir diesen ganzen Unterschied als eine nur untergeordnete Seite, welche das mehr Empirische und Zufällige angeht, liegenlassen und uns auf einen wichtigeren Punkt hinwenden.

Bei dem Hause und Tempel und sonstigen Gebäuden nämlich ist das wesentliche Moment, auf welches es hier ankommt, daß dergleichen Gebäulichkeiten bloße Mittel sind, welche einen äußerlichen Zweck voraussetzen. Hütte und Gotteshaus setzen Bewohner, den Menschen, Götterbilder usf., voraus, für welche sie aufgeführt werden. Zunächst also ist ein Bedürfnis, und zwar ein außerhalb der Kunst liegendes Bedürfnis vorhanden, dessen zweckmäßige Befriedigung die schöne Kunst nichts angeht und noch keine Kunstwerke hervorruft. Der Mensch hat auch Lust zum Springen, Singen, er bedarf der sprachlichen Mitteilung, aber Sprechen, Hüpfen, Schreien und Singen ist darum noch nicht Poesie, Tanz und Musik. Wenn sich nun aber auch innerhalb der architektonischen Zweckmäßigkeit zur Befriedigung bestimmter Bedürfnisse, teils des täglichen Lebens, teils des religiösen Kultus oder des Staats, der Drang nach künstlerischer Gestalt und Schönheit hervortut, so haben wir bei dieser Art der Baukunst doch sogleich eine Teilung. Auf der einen Seite steht der Mensch, das Subjekt, oder das Bild des Gottes als der wesentliche Zweck, für welchen auf der anderen Seite die Architektur nur das Mittel der Umgebung, der Hülle usf. liefert. Mit solch einer Teilung in sich können wir den Anfang, der seiner Natur nach das Unmittelbare, Einfache und nicht solche Relativität und wesentliche Beziehung ist, nicht machen, sondern wir müssen einen Punkt aufsuchen, wo solch ein Unterschied noch nicht hervortritt.

In dieser Rücksicht habe ich bereits früher gesagt, daß die Baukunst der symbolischen Kunstform entspreche und das Prinzip derselben als besondere Kunst am eigentümlichsten realisiere, weil die Architektur überhaupt die ihr eingepflanzten Bedeutungen nur im Äußerlichen der Umgebung anzudeuten befähigt sei. Soll nun der Unterschied des für sich im Menschen oder Tempelbilde vorhandenen Zwecks der Umschließung und des Gebäudes als der Erfüllung dieses Zwecks im Anfange noch nicht stattfinden, so werden wir uns nach Bauwerken umzusehen haben, die gleichsam wie Skulpturwerke für sich selbständig dastehen und ihre Bedeutung nicht in einem anderen Zweck und Bedürfnis, sondern in sich selber tragen. Dies ist ein Punkt von höchster Wichtigkeit, den ich noch nirgend herausgehoben gefunden habe, obschon er im Begriff der Sache liegt und allein Aufschluß über die mannigfaltigen äußerlichen Gestaltungen und einen Faden durch das Irrgewinde architektonischer Formen geben kann. Solch eine selbständige Baukunst wird sich nun aber ebensosehr auch von der Skulptur wieder dadurch unterscheiden, daß sie als Architektur nicht Gebilde produziert, deren Bedeutung das in sich selbst Geistige und Subjektive ist und an sich selbst das Prinzip seiner dem Innern durchaus gemäßen Erscheinung hat, sondern Werke, die in ihrer äußeren Gestalt die Bedeutung nur symbolisch ausprägen können. Dadurch ist denn diese Art der Architektur sowohl ihrem Inhalte als ihrer Darstellung nach eigentlich symbolischer Art.

Wie mit dem Prinzip dieser Stufe geht es nun auch mit ihrer Darstellungsweise. Auch hier will der bloße Unterschied des Holz- und Steinbaus nicht ausreichen, insofern derselbe auf Abgrenzung und Umschließung eines zu besonderen religiösen oder sonstigen menschlichen Zwecken bestimmten Raumes hindeutet, wie dies bei Häusern, Palästen, Tempeln usf. der Fall ist. Ein solcher Raum kann entweder durch Aushöhlung in sich schon fester, gediegener Massen oder umgekehrt durch Verfertigen umschließender Wände und Decken geschehen. Mit keinem von beidem darf die selbständige Baukunst beginnen, die wir deshalb als eine unorganische Skulptur bezeichnen können, indem sie zwar für sich selbst daseiende Gebilde auftürmt, doch dabei nicht etwa den Zweck freier Schönheit und Erscheinung des Geistes in seiner ihm adäquaten leiblichen Gestalt verfolgt, sondern überhaupt nur eine symbolische Form hinstellt, welche an sich selbst eine Vorstellung anzeigen und ausdrücken soll.

Bei diesem Ausgangspunkt jedoch kann die Architektur nicht stehenbleiben. Denn ihr Beruf liegt eben darin, dem für sich schon Vorhändenen Geist, dem Menschen oder seinen objektiv von ihm herausgestalteten und aufgestellten Götterbildern die äußere Natur als eine aus dem Geiste selbst durch die Kunst zur Schönheit gestaltete Umschließung heraufzubilden, die ihre Bedeutung nicht mehr in sich selbst trägt, sondern dieselbe in einem anderen, dem Menschen und dessen Bedürfnissen und Zwecken des Familienlebens, des Staats, Kultus usf. findet und deshalb die Selbständigkeit der Bauwerke aufgibt.

Nach dieser Seite können wir den Fortgang der Architektur darein setzen, daß sie den oben bereits angedeuteten Unterschied von Zweck und Mittel gesondert hervortreten läßt und für den Menschen oder die objektiv durch die Skulptur verarbeitete individuelle Menschengestalt der Götter ein der Bedeutung derselben analoges architektonisches Gehäuse, Paläste, Tempel usw., erbaut.

Das Ende drittens vereinigt beide Momente und erscheint daher innerhalb dieser Trennung zugleich als für sich selbständig.

Diese Gesichtspunkte geben uns als Einteilung der gesamten Baukunst folgende Gliederung, welche ebenso die Begriffsunterschiede der Sache selbst als auch die historische Entwicklung derselben in sich faßt:

erstens die eigentlich symbolische oder selbständige Architektur;

zweitens die klassische, welche das individuell Geistige für sich gestaltet, die Baukunst dagegen ihrer Selbständigkeit entkleidet und sie dazu herabsetzt, für die nun ihrerseits selbständig realisierten geistigen Bedeutungen eine künstlerisch geformte unorganische Umgebung umherzustellen;

drittens die romantische Architektur als sogenannte maurische, gotische oder deutsche, in der zwar Häuser, Kirchen und Paläste gleichfalls nur die Wohnungen und Sammlungsorte für die bürgerlichen und religiösen Bedürfnisse und Beschäftigungen des Geistes sind, sich umgekehrt aber auch, gleichsam unbekümmert um diesen Zweck, für sich selbständig gestalten und erheben.

Wenn daher die Architektur ihrem Grundcharakter nach durchweg symbolischer Art bleibt, so machen dennoch die Kunstformen des eigentlich Symbolischen, Klassischen und Romantischen in ihr das näher Bestimmende aus und sind hier von größerer Wichtigkeit als in den übrigen Künsten. Denn in der Skulptur greift das Klassische, in Musik und Malerei das Romantische so tief durch das ganze Prinzip dieser Künste hindurch, daß für die Ausbildung des Typus der anderen Kunstformen nur ein mehr oder weniger enger Spielraum übrigbleibt. In der Poesie endlich, obschon sie am vollständigsten die ganze Stufenfolge der Kunstformen zu Kunstwerken auszuprägen vermag, werden wir die Einteilung dennoch nicht nach dem Unterschiede der symbolischen, klassischen und romantischen Poesie zu machen haben, sondern nach der für die Poesie als besonderer Kunst spezifischen Gliederung in epische, lyrische und dramatische Dichtkunst. Die Architektur hingegen ist die Kunst am Äußerlichen, so daß hier die wesentlichen Unterschiede darin bestehen, ob dies Äußerliche an sich selbst seine Bedeutung erhält oder als Mittel behandelt wird für einen ihm anderen Zweck oder sich in dieser Dienstbarkeit zugleich als selbständig zeigt. Der erste Fall stimmt mit dem Symbolischen als solchem, der zweite mit dem Klassischen zusammen, indem hier die eigentliche Bedeutung für sich zur Darstellung gelangt und somit das Symbolische als bloß äußerliche Umgebung hinzugefügt ist, wie dies im Prinzip der klassischen Kunst liegt; die Einigung von beiden aber geht mit dem Romantischen parallel, insofern die romantische Kunst sich zwar des Äußerlichen zum Ausdrucksmittel bedient, sich jedoch aus dieser Realität in sich zurückzieht und das objektive Dasein deshalb auch zu selbständiger Gestaltung wieder freilassen kann.


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