Zweites Kapitel:
Die Musik


Blicken wir auf den Gang zurück, den wir bisher in der Entwicklung der besonderen Künste verfolgt haben, so begannen wir mit der Architektur. Sie war die unvollständigste Kunst, denn wir fanden sie unfähig, in der nur schweren Materie, welche sie als ihr sinnliches Element ergriff und nach den Gesetzen der Schwere behandelte, Geistiges in angemessener Gegenwart darzustellen, und mußten sie darauf beschränken, aus dem Geiste für den Geist in seinem lebendigen, wirklichen Dasein eine kunstgemäße äußere Umgebung zu bereiten.

Die Skulptur dagegen zweitens machte sich zwar das Geistige selbst zu ihrem Gegenstande, doch weder als partikularen Charakter noch als subjektive Innerlichkeit des Gemüts, sondern als die freie Individualität, welche sich ebensowenig von dem substantiellen Gehalt als von der leiblichen Erscheinung des Geistigen abtrennt, sondern als Individuum nur so weit in die Darstellung hineingeht, als es zur individuellen Verlebendigung eines in sich selbst wesentlichen Inhalts erforderlich ist, und als geistiges Inneres die Körperformen nur um so viel durchdringt, als es die in sich unzerschiedene Einigung des Geistes und seiner ihm entsprechenden Naturgestalt zuläßt. Diese für die Skulptur notwendige Identität des nur in seinem leiblichen Organismus - statt im Elemente seiner eigenen Innerlichkeit -für sich seienden Geistes teilt dieser Kunst die Aufgabe zu, als Material noch die schwere Materie beizubehalten, die Gestalt derselben aber nicht, wie die Architektur, als eine bloß unorganische Umgebung nach den Gesetzen des Lastens und Tragens zu formieren, sondern zu der dem Geist und seiner idealen Plastik adäquaten klassischen Schönheit umzuwandeln.

Wenn sich die Skulptur in dieser Rücksicht besonders geeignet zeigte, den Gehalt und die Ausdrucksweise der klassischen Kunstform in Kunstwerken lebendig werden zu lassen, während die Architektur, welchem Inhalt sie sich auch dienstbar erweisen mochte, in ihrer Darstellungsart über den Grundtypus einer nur symbolischen Andeutung nicht hinauskam, so treten wir drittens mit der Malerei in das Gebiet des Romantischen hinein. Denn in der Malerei ist zwar auch noch die äußere Gestalt das Mittel, durch welches sich das Innere offenbar macht, dies Innere aber ist die ideelle, besondere Subjektivität, das aus seinem leiblichen Dasein in sich gekehrte Gemüt, die subjektive Leidenschaft und Empfindung des Charakters und Herzens, die sich nicht mehr in die Außengestalt total ergießen, sondern in derselben gerade das innerliche Fürsichsein und die Beschäftigung des Geistes mit dem Bereich seiner eigenen Zustände, Zwecke und Handlungen abspiegeln. Um dieser Innerlichkeit ihres Inhalts willen kann die Malerei sich nicht mit der einerseits nur als schwer gestalteten, andererseits nur ihrer Gestalt nach aufzufassenden, unpartikularisierten Materie begnügen, sondern darf sich nur den Schein und Farbenschein derselben zum sinnlichen Ausdrucksmittel erwählen. Dennoch ist die Farbe nur da, um räumliche Formen und Gestalten, als in lebendiger Wirklichkeit vorhanden, selbst dann noch scheinbar zu machen, wenn die Kunst des Malens zu einer Magie des Kolorits sich fortbildet, in welcher das Objektive gleichsam schon zu verschweben beginnt und die Wirkung fast nicht mehr durch etwas Materielles geschieht. Wie sehr deshalb die Malerei sich auch zu dem ideelleren Freiwerden des Scheines entwickelt, der nicht mehr an der Gestalt als solcher haftet, sondern sich in seinem eigenen Elemente, in dem Spiel der Scheine und Widerscheine, in den Zaubereien des Helldunkels für sich selber zu ergehen die Erlaubnis hat, so ist doch diese Farbenmagie immer noch räumlicher Art, ein auseinanderseiender und daher bestehender Schein.

1. Soll nun aber das Innere, wie dies bereits im Prinzip der Malerei der Fall ist, in der Tat als subjektive Innerlichkeit sich kundgeben, so darf das wahrhaft entsprechende Material nicht von der Art sein, daß es noch für sich Bestand hat. Dadurch erhalten wir eine Äußerungsweise und Mitteilung, in deren sinnliches Element die Objektivität nicht als räumliche Gestalt, um darin standzuhalten, eingeht, und bedürfen ein Material, das in seinem Sein-für-Anderes haltlos ist und in seinem Entstehen und Dasein selbst schon wieder verschwindet. Dies Tilgen nicht nur der einen Raumdimension, sondern der totalen Räumlichkeit überhaupt, dies völlige Zurückziehen in die Subjektivität nach selten des Inneren wie der Äußerung, vollbringt die zweite romantische Kunst - die Musik. Sie bildet in dieser Beziehung den eigentlichen Mittelpunkt derjenigen Darstellung, die sich das Subjektive als solches sowohl zum Inhalte als auch zur Form nimmt, indem sie als Kunst zwar das Innere zur Mitteilung bringt, doch in ihrer Objektivität selber subjektiv bleibt, d. h. nicht wie die bildende Kunst die Äußerung, zu der sie sich entschließt, für sich frei werden und zu einer in sich ruhig bestehenden Existenz kommen läßt, sondern dieselbe als Objektivität aufhebt und dem Äußeren nicht gestattet, als Äußeres sich uns gegenüber ein festes Dasein anzueignen.

Insofern jedoch das Aufheben der räumlichen Objektivität als Darstellungsmittels ein Verlassen derselben ist, das noch erst von der sinnlichen Räumlichkeit der bildenden Künste selber herkommt, so muß sich diese Negation ganz ebenso an der bisher ruhig für sich bestehenden Materialität betätigen, wie die Malerei in ihrem Felde die Raumdimensionen der Skulptur zur Fläche reduzierte. Die Aufhebung des Räumlichen besteht deshalb hier nur darin, daß ein bestimmtes sinnliches Material sein ruhiges Außereinander aufgibt, in Bewegung gerät, doch so in sich erzittert, daß jeder Teil des kohärierenden Körpers seinen Ort nicht nur verändert, sondern auch sich in den vorigen Zustand zurückzuversetzen strebt. Das Resultat dieses schwingenden Zitterns ist der Ton, das Material der Musik.

Mit dem Ton nun verläßt die Musik das Element der äußeren Gestalt und deren anschauliche Sichtbarkeit und bedarf deshalb zur Auffassung ihrer Produktionen auch eines anderen subjektiven Organs, des Gehörs, das wie das Gesicht nicht den praktischen, sondern den theoretischen Sinnen zugehört und selbst noch ideeller ist als das Gesicht. Denn die ruhige, begierdelose Beschauung von Kunstwerken läßt zwar die Gegenstände, ohne sie irgend vernichten zu wollen, für sich, wie sie da sind, ruhig bestehen, aber das, was sie auffaßt, ist nicht das in sich selbst Ideellgesetzte, sondern im Gegenteil das in seiner sinnlichen Existenz Erhaltene. Das Ohr dagegen vernimmt, ohne sich selber praktisch gegen die Objekte hinauszuwenden, das Resultat jenes inneren Erzitterns des Körpers, durch welches nicht mehr die ruhig materielle Gestalt, sondern die erste ideellere Seelenhaftigkeit zum Vorschein kommt. Da nun ferner die Negativität, in die das schwingende Material hier eingeht, einerseits ein Aufheben des räumlichen Zustandes ist, das selbst wieder durch die Reaktion des Körpers aufgehoben wird, so ist die Äußerung dieser zwiefachen Negation, der Ton, eine Äußerlichkeit, welche sich in ihrem Entstehen durch ihr Dasein selbst wieder vernichtet und an sich selbst verschwindet. Durch diese gedoppelte Negation der Äußerlichkeit, welche im Prinzipe des Tons liegt, entspricht derselbe der inneren Subjektivität, indem das Klingen, das an und für sich schon etwas Ideelleres ist als die für sich real bestehende Körperlichkeit, auch diese ideellere Existenz aufgibt und dadurch eine dem Innerlichen gemäße Äußerungsweise wird.

2. Fragen wir nun umgekehrt, welcher Art das Innere sein müsse, um sich seinerseits wiederum dem Klingen und Tönen adäquat erweisen zu können, so haben wir bereits gesehen, daß für sich, als reale Objektivität genommen, der Ton dem Material der bildenden Künste gegenüber ganz abstrakt ist. Gestein und Färbung nehmen die Formen einer breiten, vielgestaltigen Welt der Gegenstände in sich auf und stellen dieselbe ihrem wirklichen Dasein nach dar; die Töne vermögen dies nicht. Für den Musikausdruck eignet sich deshalb auch nur das ganz objektlose Innere, die abstrakte Subjektivität als solche. Diese ist unser ganz leeres Ich, das Selbst ohne weiteren Inhalt. Die Hauptaufgabe der Musik wird deshalb darin bestehen, nicht die Gegenständlichkeit selbst, sondern im Gegenteil die Art und Weise widerklingen zu lassen, in welcher das innerste Selbst seiner Subjektivität und ideellen Seele nach in sich bewegt ist.

3. Dasselbe gilt für die Wirkung der Musik. Was durch sie in Anspruch genommen wird, ist die letzte subjektive Innerlichkeit als solche; sie ist die Kunst des Gemüts, welche sich unmittelbar an das Gemüt selber wendet. Die Malerei z. B., wie wir sahen, vermag zwar gleichfalls das innere Leben und Treiben, die Stimmungen und Leidenschaften des Herzens, die Situationen, Konflikte und Schicksale der Seele in Physiognomien und Gestalten auszudrücken; was wir aber in Gemälden vor uns haben, sind objektive Erscheinungen, von denen das anschauende Ich als inneres Selbst noch unterschieden bleibt. Man mag sich in den Gegenstand, die Situation, den Charakter, die Formen einer Statue oder eines Gemäldes noch so sehr versenken und vertiefen, das Kunstwerk bewundern, darüber außer sich kommen, sich noch so sehr davon erfüllen - es hilft nichts, diese Kunstwerke sind und bleiben für sich bestehende Objekte, in Rücksicht auf welche wir über das Verhältnis des Anschauens nicht hinauskommen. In der Musik aber fällt diese Unterscheidung fort. Ihr Inhalt ist das an sich selbst Subjektive, und die Äußerung bringt es gleichfalls nicht zu einer räumlich bleibenden Objektivität, sondern zeigt durch ihr haltungsloses freies Verschweben, daß sie eine Mitteilung ist, die, statt für sich selbst einen Bestand zu haben, nur vom Inneren und Subjektiven getragen und nur für das subjektive Innere dasein soll. So ist der Ton wohl eine Äußerung und Äußerlichkeit, aber eine Äußerung, welche gerade dadurch, daß sie Äußerlichkeit ist, sogleich sich wieder verschwinden macht. Kaum hat das Ohr sie gefaßt, so ist sie verstummt; der Eindruck, der hier stattfinden soll, verinnerlicht sich sogleich; die Töne klingen nur in der tiefsten Seele nach, die in ihrer ideellen Subjektivität ergriffen und in Bewegung gebracht wird.

Diese gegenstandslose Innerlichkeit in betreff auf den Inhalt wie auf die Ausdrucksweise macht das Formelle der Musik aus. Sie hat zwar auch einen Inhalt, doch weder in dem Sinne der bildenden Künste noch der Poesie; denn was ihr abgeht, ist eben das objektive Sichausgestalten, sei es zu Formen wirklicher äußerer Erscheinungen oder zur Objektivität von geistigen Anschauungen und Vorstellungen.

Was nun den Verlauf angeht, den wir unseren weiteren Betrachtungen geben wollen, so haben wir erstens den allgemeinen Charakter der Musik und ihre Wirkung im Unterschiede der übrigen Künste, sowohl von selten des Materials als auch von selten der Form, welche der geistige Inhalt annimmt, bestimmter herauszuheben.

Zweitens müssen wir die besonderen Unterschiede erörtern, zu denen sich die musikalischen Töne und deren Figurationen teils in Rücksicht auf ihre zeitliche Dauer, teils in Beziehung auf die qualitativen Unterschiede ihres realen Erklingens auseinanderbreiten und vermitteln.

Drittens endlich erhält die Musik ein Verhältnis zu dem Inhalt, den sie ausdrückt, indem sie sich entweder den für sich schon durch das Wort ausgesprochenen Empfindungen, Vorstellungen und Betrachtungen begleitend anschließt oder sich frei in ihrem eigenen Bereich in fesselloserer Selbständigkeit ergeht.

Wollen wir nun aber jetzt, nach dieser allgemeinen Angabe des Prinzips und der Einteilung der Musik, zur Auseinandersetzung ihrer besonderen Seiten fortschreiten, so tritt der Natur der Sache nach eine eigene Schwierigkeit ein. Weil nämlich das musikalische Element des Tons und der Innerlichkeit, zu welcher der Inhalt sich forttreibt, so abstrakt und formell ist, so kann zum Besonderen nicht anders übergegangen werden, als daß wir sogleich in technische Bestimmungen verfallen, in die Maßverhältnisse der Töne, in die Unterschiede der Instrumente, der Tonarten, Akkorde usf. In diesem Gebiete aber bin ich wenig bewandert und muß mich deshalb im voraus entschuldigen, wenn ich mich nur auf allgemeinere Gesichtspunkte und einzelne Bemerkungen beschränke.



Inhalt:


1. Allgemeiner Charakter der Musik
2. Besondere Bestimmtheit der musikalischen Ausdrucksmittel
3. Verhältnis der musikalischen Ausdrucksmittel zu deren Inhalt


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 10:57:55 •
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