a. Die orientalische Lyrik


Was nun erstens die orientalische Lyrik näher anbetrifft, so unterscheidet sie sich von der abendländischen im wesentlichsten dadurch, daß es der Orient, seinem allgemeinen Prinzipe gemäß, weder zur individuellen Selbständigkeit und Freiheit des Subjekts noch zu jener Verinnigung des Inhaltes bringt, deren Unendlichkeit in sich die Tiefe des romantischen Gemüts ausmacht. Im Gegenteil zeigt sich das subjektive Bewußtsein seinem Inhalt nach auf der einen Seite in das Äußere und Einzelne unmittelbar versunken und spricht sich in dem Zustande und den Situationen dieser ungetrennten Einheit aus, andererseits hebt es sich, ohne festen Halt in sich selber zu finden, gegen dasjenige auf, was ihm in der Natur und den Verhältnissen des menschlichen Daseins als das Mächtige und Substantielle gilt und zu dem es sich nun in diesem bald negativeren, bald freieren Verhältnis in seiner Vorstellung und Empfindung, ohne es erreichen zu können, heranringt. - Der Form nach treffen wir deshalb hier weniger die poetische Äußerung selbständiger Vorstellungen über Gegenstände und Verhältnisse als vielmehr das unmittelbare Schildern jener reflexionslosen Einlebung, wodurch sich nicht das Subjekt in seiner in sich zurückgenommenen Innerlichkeit, sondern in seinem Aufgehobensein gegen die Objekte und Situationen zu erkennen gibt. Nach dieser Seite hin erhält die orientalische Lyrik häufig, im Unterschiede besonders der romantischen, einen gleichsam objektiveren Ton. Denn oft genug spricht das Subjekt die Dinge und Verhältnisse nicht so aus, wie sie in ihm sind, sondern so, wie es in den Dingen ist, denen es nun häufig auch ein für sich selbständig beseeltes Leben gibt; wie z. B. Hafis einmal ausruft:

 

O komm! die Nachtigall von dem Gemüt Hafisens

Kömmt auf den Duft der Rosen des Genusses wieder.

 

Andererseits geht diese Lyrik in der Befreiung des Subjekts von sich und aller Einzelheit und Partikularität überhaupt zur ursprünglichen Expansion des Inneren fort, das sich nun aber leicht ins Grenzenlose verliert und zu einem positiven Ausdruck dessen, was es sich zum Gegenstande macht, nicht hindurchdringen kann, weil dieser Inhalt selbst das ungestaltbar Substantielle ist. Im ganzen hat deshalb in dieser letzteren Rücksicht die morgenländische Lyrik besonders bei den Hebräern, Arabern und Persern den Charakter hymnenartiger Erhebung. Alle Größe, Macht und Herrlichkeit der Kreatur häuft die subjektive Phantasie verschwenderisch auf, um diesen Glanz dennoch vor der unaussprechlich höheren Majestät Gottes verschwinden zu lassen, oder sie wird nicht müde, wenigstens alles Liebliche und Schöne zu einer köstlichen Schnur aneinanderzureihen, die sie als Opfergabe demjenigen darbringt, was dem Dichter, sei es nun Sultan, Geliebte oder Schenke, einzig von Wert ist.

Als nähere Form des Ausdrucks endlich ist hauptsächlich in dieser Sphäre der Poesie die Metapher, das Bild und Gleichnis zu Hause. Denn teils kann sich das Subjekt, das in seinem eigenen Innern nicht frei für sich selber ist, nur im vergleichenden Einleben in Anderes und Äußeres kundgeben; teils bleibt hier das Allgemeine und Substantielle abstrakt, ohne sich mit einer bestimmten Gestalt zu freier Individualität zusammenschmelzen zu lassen, so daß es nun auch seinerseits nur im Vergleich mit den besonderen Erscheinungen der Welt zur Anschauung gelangt, während diese endlich nur den Wert erhalten, zur annähernden Vergleichbarkeit mit dem Einen dienen zu können, das allein Bedeutung hat und des Ruhmes und Preises würdig ist. Diese Metaphern, Bilder und Gleichnisse aber, zu welchen das durchweg fast zur Anschauung heraustretende Innere sich aufschließt, sind nicht die wirkliche Empfindung und Sache selbst, sondern ein nur subjektiv vom Dichter gemachter Ausdruck derselben. Was deshalb dem lyrischen Gemüte hier an innerlich-konkreter Freiheit abgeht, das finden wir durch die Freiheit des Ausdrucks ersetzt, der sich von naiver Unbefangenheit in Bildern und Gleichnisreden ab, die vielseitigsten Mittelstufen hindurch, bis zur unglaublichsten Kühnheit und dem scharfsinnigsten Witz neuer und überraschender Kombinationen fortentwickelt.

Was zum Schluß die einzelnen Völker angeht, welche sich in der orientalischen Lyrik hervorgetan haben, so sind hier erstens die Chinesen, zweitens die Inder, drittens aber vor allem die Hebräer, Araber und Perser zu nennen, auf deren nähere Charakteristik ich mich jedoch nicht einlassen kann.


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