Michelangelo



- Pisaner Schlacht: Karton


Hatte er sich durch alle diese Werke schon einen sehr bedeutenden Namen erworben, so stieg sein Ruhm durch den im Jahr 1504 im Auftrag des nach dem Sturz der Medici zum Galfoniere erwählten Piero Soderini und im Wettkampf mit Leonardo da Vinci ausgeführten Karton der Pisaner Schlacht aufs Höchste. Die florentinische Regierung wollte nämlich den Justizpalast (Palazzo vecchio) mit Gemälden aus den Großtaten der Florentiner schmücken lassen. Leonardo hatte den Sieg der Florentiner über die Mailänder bei Anghiari im Jahr 1440, ein mit größtem Reichtum der Phantasie erfundenes Reitergefecht dargestellt, Michelangelo aber den Beginn der genannten Schlacht, und zwar den Moment, in welchem ein Haufe florentinischer Soldaten, die eben im Arno baden, unerwartet den Aufruf zum Kampfe vernimmt. Dies gab ihm Gelegenheit, den Reichtum und die Kühnheit seiner Phantasie und seine erstaunliche Kenntnis des Nackten in schönster und lebendigster Entwicklung zu zeigen, und er entfaltete darin seine Meisterschaft und wunderbare Eigentümlichkeit in jugendlicher Frische und Naivität. Michelangelo soll nach dem Zeugnis von Zeitgenossen nicht wieder etwas gleich Vollendetes in der Technik geschaffen haben. Als beide Kartons aufgestellt waren, strömten von allen Seiten die jüngeren Künstler herbei, um an diesen unübertrefflichen Meisterwerken ihre Studien zu machen, und es ist nicht zu verkennen, dass sie einen großen und wesentlichen Einfluss auf die vollständige Entwicklung der neuen Kunst ausübten. Sie wurden nicht als Gemälde ausgeführt, auch die Kartons selbst sind zu Grunde gegangen, nur einzelne Bruststücke haben sich von ihnen erhalten. Bastiano da Sangallo fertigte im Jahr 1542 auf Vasari's Veranlassung eine Kopie des Hauptteils der Komposition jener Pisanerschlacht, grau in grau in Öl gemalt, vom der man eine alte Wiederholung zu Holkham in England (gest. v. Schiavonetti) zu besitzen glaubt; einzelne Figuren und Gruppen daraus, zum Teil unter dem Namen der „Kletterer" (les Grimpeurs), sind aus verschiedenen Kupferstichen von Marc Anton und Agostino da Venezia bekannt. Baccio Bandinelli steht in dem üblen Ruf, Michelangelo's Karton aus Neid und Bosheit zerstört zu haben.

Aber erst nachdem der Kardinal delle Rovere unter dem Namen Julius II. (1503) den päpstlichen Thron bestiegen, begann für Michelangelo ein großartiger Wirkungskreis. Der Papst wollte sich nämlich ein mächtiges Grabmonument, wie kein zweites vorhanden, gründen und berief zur Ausführung desselben Michelangelo 1505 nach Rom. Dieser entwarf eine Zeichnung dazu, die an Großartigkeit, Pracht und Reichtum der Statuen Alles übertraf und Julius so wohl gefiel, dass er beschloss, die S. Peterskirche zu erneuern und dort dieses Grabmonument aufstellen zu lassen. Dasselbe sollte ein tempelartiger Bau werden, mit gegen vierzig Statuen nebst Reliefs. Die Statuen sollten die vom Papst mit dem Kirchenstaat wieder vereinigten Provinzen unter dem Bilde von gefesselten Gefangenen darstellen, ferner die Künste, ebenfalls gefesselt, weil ihre Tätigkeit durch seinen Tod gehemmt worden; sodann Moses und Paulus, als Repräsentanten des tätigen und beschaulichen Lebens. Auf den Gipfel des Monumentes aber sollten die Statuen des Himmels und der Erde, als Träger des Sarkophags, zu stehen kommen, der Himmel freudig, weil Julius sich zu ihm erhoben, die Erde traurig, weil sie ihn verloren. (Eine Orgimalzeichnung davon in der florentinischen Sammlung der Handzeichnungen.) So willkürlich, ja zweideutig diese Symbolik auch war, das Grabmal wäre immerhin in seiner ursprünglichen Fassung als plastisch architektonisches Ganzes wohl eines der ersten Werke der Welt geworden, allein die Arbeit wurde bald unterbrochen. Nachdem Michelangelo 8 Monate lang in Carrara verweilt, um Marmorblöcke brechen zu lassen, die dann nach Rom auf den Petersplatz gebracht wurden, vollendete er zwei Statuen von Gefangenen (die aber später erst nicht an dem Grabmal angebracht, sondern nach Frankreich kamen, wo sie sich noch jetzt im Louvre zu Paris befinden), die Michelangelos Kenntnis des menschlichen Körpers in seiner ganzen Tiefe zeigen und in dem Gegensatz einer kräftigen, untersetzten und gemeinen mit einer jugendlichen, schlanken und edleren Natur einen eigentümlichen Reiz entfalten; ferner einen Heldenjüngling, der auf einem Besiegten kniet (derzeit im großen von Vasari gemalten Saale im Palazzo vecchio zu Florenz), auch begann er die fünf Ellen hohe Statue des Moses. (Die vier nur teilweise aus dem Rauhen gearbeiteten Statuen in einer Grotte des Gartens Boboli scheinen ebenfalls dafür bestimmt gewesen zu sein.) Allmählich aber scheint der Eifer des Papstes, sei es wegen der bedeutenden Kosten, sei es aus Unbeständigkeit oder durch Zureden der Gegner Michelangelos, deren er stets eine Menge hatte, erkaltet zu sein. Michelangelo wurde zudringlich und der Papst, nicht minder heftig als der Künstler, dadurch so ärgerlich, dass er ihn einmal sogar in einer solchen Anwandlung von Zorn durch einen Palastdiener abweisen ließ, worauf jener in der Nacht noch Rom plötzlich verließ und nach Florenz entfloh, auch weder durch wiederholt ihm nachgesandte Eilboten des Papstes, noch ein Breve desselben an den florentinischen Staat zur Rückkehr bewegen werden konnte. Erst 1506 söhnte er sich mit dem Papst zu Bologna wieder aus, worauf ihm dieser seine fünf Ellen hohe Porträtstatue aus Bronze, für die Kirche San Petronio daselbst bestimmt, bestellte. Diese Bildsäule, die sich sowohl durch die Größe und Hoheit der Auffassung und den Ausdruck des Muts, der Kraft und Entschlossenheit als durch den Reichtum und die Pracht der Gewänder ausgezeichnet haben soll, wurde in 16 Monaten modelliert und gegossen und 1508 in einer Nische über der Türe in S. Petronio aufgestellt, aber schon 1511 wieder, während eines Aufstandes zu Gunsten der um die Obergewalt streitenden Bentivogli, von den Partheigängern der Letzteren zerstört. Nur der Kopf soll sich erhalten haben, was aus ihm geworden ist, weiß man indessen nicht.

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