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Gemeinsprache

Wir müssen aber doch zugeben, dass wir uns da in einem kleinen Widerspruch bewegen. Wir erkennen keine richtige Sprache an, keinen feststehenden und tyrannischen allgemeinen Sprachgebrauch, sondern nur unzählige Sprachgebräuche, deren es so viele gibt als Menschen eines Volkes. Diese individuellen Sprachgebräuche sind niemals identisch; auffallende, für jedes Ohr unmittelbar wahrnehmbare Verschiedenheiten wird nicht nur der Dialekt, sondern auch die richtige Sprache, selbst die sogenannte Schriftsprache verschiedener Landschaften aufweisen. Die Zeitungssprache z. B. ist nicht genau die gleiche in Wien und in Graz, in München und in Stuttgart. Das aufmerksame Ohr wird aber auch noch feine Unterschiede wahrnehmen in der richtigen Sprache zweier Zwillinge, die nie im Leben lange voneinander getrennt gewesen sind. Jeder von ihnen hat einen leise nuancierten Sprachgebrauch, den er für den richtigen hält. Wir wissen das alles, und wir sagen darum: jeder Sprachgebrauch ist richtig, es gibt keinen falschen Sprachgebrauch.

Dieser selbe Sprachgebrauch aber, der also für uns richtig ist, wendet die Begriffe und die Worte richtiges Sprechen und falsches Sprechen an. Es versteht sich von selbst, dass ich zwischen einem richtigen Sprechen und einem der Wirklichkeit analogen Sprechen unterscheide. Das Wort "Gemeinsprache" oder richtiges Sprechen kann fehlerlos sein und braucht darum dennoch keiner Wirklichkeit zu entsprechen. Was stellen sich aber die unzähligen Individuen dabei vor, wenn sie alle ohne Ausnahme von einer Gemeinsprache reden, an sie glauben und gewisse Abweichungen von ihr als falsches Sprechen tadeln? Wohl gemerkt, nur gewisse Abweichungen. Wir hören vieles anders sagen, als wir es gewöhnt sind, ohne es einen Fehler zu nennen.

Wenn wir von richtiger Sprache reden, so denken wir an zweierlei: an die richtige Aussprache und an die richtige Grammatik.