V. Etymologie
Etymologie der Alten
Wer sich jemals mit der Geschichte der Sprachforschung abgegeben hat, kennt den durchaus spielerischen Charakter der alten Etymologie. Als das Wort und die Spielerei bei den Griechen aufkam, stritt man dort noch nicht über die heutigen Fragen der Sprachwissenschaft. Das Sprachgefühl war noch ganz naiv, und da man eigentlich nicht daran zweifelte, jedes Wort "bedeute" die von ihm bezeichnete Sache, so suchte man ganz kindlich nur zu ergründen, woher die Dinge die ihnen einzig gebührenden schönen griechischen Namen erhalten hätten. Ob ein weiser Gesetzgeber oder die Natur dieses Meisterwerk, die griechische Sprache, gelehrt habe, nur darüber war man im unklaren. Auf dieser Grundlage konnte eine Etymologie in unserem Sinne nicht entstehen. Und wenn man genau zuschaut, so haben die Griechen niemals wie wir die sogenannten Wurzeln der Worte gesucht, sondern nur die nach ihrer Meinung ursprünglichen oder echten Bedeutungen. Daraus erklärt es sich von vornherein, weshalb es ihnen gleichgültig war, ob sie — um deutsche Beispiele einzusetzen — Schneider von schneiden ableiteten oder umgekehrt. Der Begriff der Sprachwurzel fehlte ihnen, damit auch der Begriff der rein sprachlichen, der lautlichen Abstammung. Erblickten sie die echte Bedeutung in dem Kleiderverfertigen, so war das Substantiv Schneider das ursprüngliche Wort und die Tätigkeit des Zerschneidens davon abgeleitet.
Die Etymologie oder die Lehre von den Wortwurzeln ist scheinbar die Grundlage aller historischen Wissenschaft; besonders seitdem das Sanskrit in den Kreis der heiligen Sprachen getreten war, war dem Philologenhochmut wieder der Kamm geschwollen, und lustige, luftige Wortfäden zogen von einer Wissenschaft zur anderen. Die älteste Kulturgeschichte ist so zur Etymologie geworden.
Man beginnt einzusehen, wieviel Spielerei dabei war und wie augenblicklich nur eine Fülle von Details, die historische Methode, nicht aber der Geist, diese moderne Spielerei von dem etymologischen Spiel der alten Philologen, der Stoiker, scheidet.
Was uns die Etymologie der Alten so rührend albern erscheinen läßt, das ist ihre Naivetät. Wenn Varro medicus von medicina ableitet, volo von voluntas (als ob wir sagen würden: das Ding heißt Schuh, weil der Schuster es gemacht hat), so ist das natürlich kindisch. Wenn wir aber hinter unseren Worten Wurzeln suchen und jeder Wurzel eine Tun-Bedeutung geben, wenn wir diese Wurzeln als einen mystischen Urbestandteil unserer Sprache ansehen, trotzdem wir Beispiele von Sprachen besitzen, wo die Worte noch ungrammatisch etwas bedeuten (unbestimmt ob Nomen, Adjektiv oder Verbum): so sind wir natürlich gewöhnlich (nicht immer) innerhalb einiger Jahrhunderte auf dem richtigen Wege, aber vollkommen phantastisch, wo unsere sichere historische Kenntnis uns verläßt. Und so klug waren die Alten eben auch.
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