Aristarchos
Es ist also ganz in der Ordnung, dass der berühmteste Philologe des Altertums, den noch Lessing mit Andacht nennt, der große Kritiker Aristarchos, einer der Verehrer der Analogie war. Aristarchos war ein so zuverlässiger Freund des Konventionellen, dass er es für Philologie hielt, wenn er im Homeros "unschickliche" Stellen tadelte.
Wenn dieser Aristarchos und seine Schule nun die Analogie zur Herrscherin der Sprache machte, wenn die alten Schriftsteller dahin verbessert wurden, dass man Ausnahmefälle nach der Regel, das heißt nach den häufigen Fällen, umgestaltete, wenn man dann vom Gebildeten verlangte, dass er sprach und schrieb, wie die großen Alten der Regel nach, das heißt in der Mehrheit gesprochen hatten: was ist es denn anders, als die Majorität über die Sprache entscheiden lassen? Und wohlgemerkt, nicht etwa die Majorität der gleichsprachigen Menschen, sondern die Zufallsmajorität der Fälle.
Allen Ernstes haben griechische Analogisten vorgeschlagen, den Genetiv von Zeus? regelrecht Zeos? zu bilden anstatt anomal Zênos; als ob man uns raten würde, lieber "guter" zu sagen anstatt "besser". Solcher Albernheit gegenüber waren die griechischen Anomalisten, die Gegner des Aristarchos, die Vertreter der Ehrlichkeit, der sprachlichen Anständigkeit.
Die Torheiten, welche der römische Grammatiker Varro darüber sagt, auch nur Spaßes halber anzuführen, widert mich an, so gelehrt sich auch seine eigensinnige lateinische Orthographie hier ausnehmen würde.
Das Ende vom Liede, das heißt vom Streite zwischen den alten Analogisten und Anomalisten, war der faule Friede, der lateinische Grammatik heißt, und mit dem die Jugend heute noch gequält wird.
Hätten die Analogisten gesiegt, so hätten sie eine einzige Art der Deklination (ohne Ausnahme) für das Hauptwort, nur eine einzige Art der Konjugation (ohne Ausnahme) für das Zeitwort aus der Mehrheit der Fälle abstrahiert, als Regel aufgestellt und durchgesetzt, und wir hätten ein bequemes lateinisches Volapük erhalten. Hätten die strengen Anomalisten gesiegt, so hätten wir überhaupt keine Grammatik. Der faule Friede, der natürlich der Wirklichkeit Zugeständnisse machen mußte, schuf die bekannten Regeln und Ausnahmen, deren logische Lächerlichkeit auch ohne Gedächtnisverse jedem zehnjährigen Knaben einleuchten müßte.
Auf diesem Hauptwerk der alten Grammatiker liegt nun der Fluch, dass unsere modernen Sprachforscher — die doch der Sache gern ganz anders zu Leibe gehen möchten — die alten Begriffe der einmal eingeführten Gruppen vorgefunden und sich jahrzehntelang mit ihnen abgequält haben, anstatt alle die Kanones beiseite zu werfen und das Leben der toten Formen zu begreifen.
Zum Streite zwischen Analogisten und Anomalisten, der die ganze kleine Sprachwissenschaft der Alten beherrscht, möchte ich noch einen wichtigen Gesichtspunkt hinzufügen, der bisher übersehen worden ist und der doch vielleicht alles deutlicher übersehen läßt.