Erhaben - Ausdruck und Hilfsmittel des Erhabenen


Der Ausdruck des Erhabenen erfordert also noch eine besondere Betrachtung. Longinus sagt, man erreiche ihn, wenn man von dem was zur Sache gehört nur das Notwendige oder die wesentlichen Teile mit guter Wahl aussuche und wohl verbinde22; und sein neuester Ausleger hat sehr gründlich angemerkt, dass der Ausdruck in der sapphischen Ode, die der griechische Kunstrichter als ein Muster des Erhabenen anführt, durch seine Einsalt der Größe der Sache völlig angemessen sei.23 Dass die höchste Leichtigkeit und Einfalt des Ausdrucks zum Erhabenen der Leidenschaften nötig sei, empfindet man. Man vergleiche den Ausdruck in der angezogenen sapphischen Ode, mit der künstlichen Wendung, die ein Neuerer gebraucht hat, eben dieselbe Leidenschaft auszudrücken. Die vortreffliche Szene zwischen Sir Carl Grandison und Miss Byron, die Richardson im 19 und zwei folgenden Briefen des dritten Teils beschreibt, endigt sich damit, dass Sir Carl in dem Augenblicke, da die zärtlichste Liebe zu Miss Byron auf dem Punkt eines völligen Ausbruchs war, plötzlich abbricht und seine Geliebte verlässt. In diesem Augenblicke war bei ihr die Liebe auch auf das höchste gestiegen und dieses beschreibt sie in folgenden Worten. »Als er weg war, sah ich bald hier bald dorthin als wenn ich mein Herz suchte; und dann verlor ich auf einige Augenblicke die Bewegung als wenn ich es für unwiederbringlich verloren hielte und wurde zur Statue.« Man fühlt hier das Erhabene, wie in der Ode der Sappho; aber es wird doch durch das, was der Ausdruck schweres hat, etwas verdunkelt. Durch hin und hergehende Blicke sein Herz suchen, ist eine Metapher, die etwas schweres und hartes hat.

Alles was im Ausdruck schwer und gesucht ist, was Witz und Kunst verrät, ist dem Erhabenen entgegen; und wie in den sittlichen Handlungen diejenigen, die groß denken, immer den geradesten Weg gehen, da kleinen Seelen listige Umwege natürlich sind, so ist es auch in den Künsten, wo das Schlaue der großen Denkungsart entgegen ist. Ein Gegenstand, der in seinem Wesen groß ist, darf nur genannt und ohne allen Schmuck in ein klares Licht gesetzt werden, um einen starken Eindruck zu machen; wo von solchen die Rede ist, da kann der Ausdruck nicht einfach genug sein, wie schon anderswo mit ausführlich angemerkt worden.24 Nur dann, wenn der Gegenstand außer dem Kreis unserer klaren Vorstellungen liegt, muss ein wohl überlegter Ausdruck ihn dem Gesichte näher bringen, wie bald soll gezeigt werden.

  Das Erhabene der Empfindungen wird kräftiger ausgedrückt, wenn man uns gleichsam in die Seele hinein blicken lässt als wenn man uns äußerliche Zeichen vorlegt, aus denen wir das inwendige erst abnehmen sollen. Der Maler oder Bildhauer, der Genie genug hat, die Seele im Körper sichtbar zu machen, kann ohne gewaltsame Bewegungen das Erhabenste der Empfindungen ausdrücken; wer aber im Körper nichts als leblose Materie sieht, muss das, was in der Seele vorgeht, mittelbar, durch allerhand Zeichen ausdrücken. Scopas oder wer der Künstler sein mag, dessen Meißel die Niobe gebildet hat, konnte das tödliche Entsetzen dieser unglücklichen Mutter unmittelbar in ihrem Gesicht ausdrücken, und Agesander nebst seinen Gehülfen25 hatten, um den heftigsten Schmerz des Laocoons auszudrücken, nicht nötig die Zeichen des Schreiens oder Heulens zu Hilfe zu nehmen. Die leidende Seele zeigt sich dem Auge und auf dem ganzen Körper, das Gehör braucht nicht gerührt zu werden. Dieses musste Virgilius zu Hilfe nehmen, weil sich Gesichtszüge und Stellung des Körpers nicht so beschreiben lassen, dass die Seele sichtbar wird. Der Bildhauer konnte den Schmerz selbst ausdrücken; der Dichter musste ein Zeichen desselben fühlen lassen.

 Die Hilfsmittel zum Erhabenen, die in dem Ausdruck liegen, scheint Longinus für die redenden Künste sehr richtig angegeben zu haben, wie schon vorher erinnert worden. Er nennt drei Gattungen derselben; schickliche Figuren, sowohl grammatische als rhetorische; eine gute Wahl des Ausdrucks und einen der Größe der Sache angemessenen Ton und die dazu nötige Zusammenfügung der Rede.26 Wie durch diese verschiedenen Hilfsmittel die Vorstellungen, denen es sonst nicht an innerlicher Größe fehlt, noch größer erscheinen und bis zum Erhabenen steigen, zeigt dieser scharfsinnige Kunstrichter weitläufig,27 und verdient hierüber mit Aufmerksamkeit gelesen zu werden. Wir merken überhaupt an, dass die Art des Ausdrucks das Erhabene der Vorstellung auf eine doppelte Weise herausbringen kann; 1) dadurch, dass Vorstellungen, deren Größe wir durch abgezogene Begriffe nicht fassen, durch die Entwicklung oder durch Einkleidung groß und erhaben erscheinen; 2) dass der feierliche oder lebhafte Ton uns reizt und gleichsam zwingt, uns die Sachen groß vorzustellen. Beides verdient eine nähere Betrachtung.

 Dass große Vorstellungen bisweilen erst durch Entwicklung Erhaben werden, weil wir sie ohne diese nicht fassen oder abmessen könnten, beweisen die schon vorher angeführten Beispiele von der Ewigkeit überhaupt und besonders von der Ewigkeit Gottes. So kann auch durch mancherlei Arten der Einkleidung die Hoheit abgezogener Vorstellungen, begreiflich oder rührend werden. Wir fühlen nichts Erhabenes, wenn man uns sagt, Gott habe alles mit Weißheit geordnet; Salomon kleidet dieses so ein, dass es Erhaben wird.28 Durch Bilder, Gleichnisse und besonders durch Belebung des Leblosen und der abgezogenen Begriffe, können Vorstellungen, die sonst wenig Kraft haben würden, bis zum Erstaunen kräftig werden. Wer erstaunt nicht, wenn Haller von dem Erfinder des Schießpulvers den wunderbaren Ausdruck braucht: Er schafft dem Donner Brüder! hier kommt das Erhabene bloß von der Einkleidung. Die Poesien der Hebräer geben unzählige vortreffliche Beispiele von solcher Erhebung der Vorstellungen, die sich für die Dichtkunst vorzüglich schickt, ob sie gleich der Beredsamkeit nicht ganz verboten ist.29

 Dass der Ton der Rede, die bloß grammatischen Figuren, die Wahl vollklingender und edler, auch bisweilen ungewöhnlicher oder schickliche Nebenbegriffe erweckender Wörter, ernsthaften und an sich wichtigen Vorstellungen etwas Erhabenes mitteilen können, lässt sich gleich begreifen und durch Beispiele fühlbar machen. Der Eindruck, den eine Sache auf uns machen soll, kommt zum Teil von der Fassung her, in welcher wir uns befinden. Das bloß mechanische der Rede setzt uns oft in die eigentliche und beste Fassung, am lebhaftesten gerührt zu werden. Wer schon durch den Ton der Rede geschreckt wird, auf den macht eine schreckhafte Vorstellung einen desto lebhaftern Eindruck und der feierliche Ton und Gang der Rede macht oft, dass Vorstellungen von mittelmäßiger Kraft die ganze Seele ergreifen. Daher wird begreiflich, dass ein Teil der Kraft des Erhabenen bloß in dem Mechanischen des Ausdrucks liegen könne. Beispiele hiervon geben fast alle Chöre in den griechischen Tragödien und in Klopstocks Messias ist kaum eine Seite, wo man nicht mehr als eines antrifft; weil nie ein Dichter so durchaus den hohen Ton getroffen hat, wie dieser. Es würde ein sehr unnützes Unternehmen sein, Regeln aufzusuchen, wie das Große im Ausdruck zu erhalten sei. Wenn der Geist und das Herz des Redners und des Dichters von dem Gegenstand ganz eingenommen und gerührt sind, so bilden sich die Wörter und Redensarten von selbst so auf der Zunge als wenn ein Teil des inneren Lebens sich in den toten Buchstaben ergösse; wenn nur der Dichter sonst den ganzen Reichtum und die Mechanik seiner Sprache besitzt. Also ist das allgemeinste Mittel zum Erhabenen in der Schreibart zugelangen, ein von dem Gegenstand ganz durchdrungener Geist und ein von der Stärke der Empfindungen aufgeschwollenes Herz. Wie Erhaben strömen nicht die Reden des Demosthenes, Cicero und Rousseau; in jenen, bei dem vollen Gefühl der Gefahr, womit die Freiheit ihres Vaterlandes bedroht wird; in diesem, wenn er die Rechte der Menschlichkeit zu retten sucht, von deren Heiligkeit er so ganz durchdrungen ist? Also sind eine lebhafte Vorstellungskraft und ein warmes Herz zugleich die wirkenden Ursachen erhabener Vorstellungen und des erhabenen Ausdrucks. Freilich muss zu dem letztern die allgemeine Fertigkeit wohl zureden, wie Longinus anmerkt, noch hinzukommen.

 Dem Erhabenen sind entgegengesetzt das Schwülstige oder falsche Erhabene; das Platte oder Niedrige und das Frostige: davon wir in besonderen Artikeln gesprochen haben.


 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 11:32:24 •
Seite zuletzt aktualisiert: 28.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z