a. Der romantische Inhalt

 

γγ) Drittens nun tritt zu dem Kreise dieser wirklichen Gegenwart Gottes in seinem und der Seinen Leben, Leiden und Verklärtwerden die Menschheit, das subjektive Bewußtsein, das sich Gott oder spezieller die Akte seiner Geschichte zum Gegenstande seiner Liebe macht und sich nicht zu irgendeinem zeitlichen Inhalt, sondern zum Absoluten verhält. Auch hier sind die drei Seiten, die herausgehoben werden können, die ruhige Andacht, die Buße und Konversion, welche im Inneren und Äußeren die Leidensgeschichte Gottes am Menschen wiederholt, sowie drittens die innere Verklärung und Seligkeit der Reinigung.

Was erstens die Andacht als solche angeht, so gibt sie hauptsächlich den Inhalt für die Anbetung ab. Diese Situation ist einerseits Demütigung, Hingabe seiner, das Suchen des Friedens in einem anderen, andererseits nicht bitten, aber beten. Bitten und Beten sind zwar eng verwandt, insofern auch das Gebet eine Bitte sein kann. Doch das eigentliche Bitten will etwas für sich; es dringt in den, der etwas mir Wesentliches besitzt, um ihn durch meine Bitten mir geneigt, ihm das Herz weich zu machen, seine Liebe zu mir zu erregen, also das Gefühl seiner Identität mit mir zu erwecken; was ich aber beim Bitten empfinde, ist das Verlangen nach etwas, das der andere verlieren soll, damit ich es empfange; der andere soll mich lieben, damit meine Selbstliebe befriedigt, mein Nutzen, mein Wohl befördert werde. Ich dagegen gebe nichts Weiteres dabei auf als etwa das, was in dem Bekenntnis liegt, daß der Gebetene dergleichen über mich vermöge. Solcher Art nun ist das Beten nicht; es ist eine Erhebung des Herzens zu dem Absoluten, das an und für sich die Liebe ist und nichts für sich hat; die Andacht selber wird die Gewährung, die Bitte selber die Seligkeit. Denn obschon das Gebet auch eine Bitte um irgend etwas Besonderes enthalten kann, so ist doch nicht dieses Besondere das, was sich eigentlich ausdrücken soll, sondern das Wesentliche ist die Gewißheit der Erhörung überhaupt, nicht der Erhörung in betreff dieses Besonderen, aber das absolute Zutrauen, daß Gott mir zuteilen werde, was zu meinem Besten gereicht. Auch in dieser Beziehung ist das Beten selbst die Befriedigung, der Genuß, das ausdrückliche Gefühl und Bewußtsein der ewigen Liebe, die nicht nur als Strahl der Verklärung die Gestalt und Situation durchscheint, sondern für sich die Situation und das Darzustellende, Existierende ausmacht. Diese Situation der Anbetung haben z. B. der Papst Sixtus auf dem nach ihm benannten Raffaelischen Gemälde, die heilige Barbara ebendaselbst, ebenso unzählige Anbetungen der Apostel und Heiligen, des heiligen Franziskus z. B. unter dem Kreuz, wo nun statt des Schmerzes Christi oder statt des Zagens, Zweifeins, Verzweifeins der Jünger die Liebe und Verehrung Gottes, das in ihn versinkende Gebet zum Inhalt erwählt wird. Es sind dies besonders in den älteren Epochen der Malerei meist alte, im Leben und Leiden durchgearbeitete Gesichter, porträtmäßig aufgefaßt, aber andächtige Seelen, so daß dieses Anbeten nicht nur in diesem Moment ihr Geschäft ist, sondern sie werden gleichsam zu Geistlichen, Heiligen, deren ganzes Leben, Denken, Begehren und Wollen die Andacht ist und deren Ausdruck bei aller Porträtmäßigkeit nichts anderes enthält als diese Zuversicht und diesen Frieden der Liebe. Anders jedoch ist dies schon bei älteren deutschen und niederländischen Meistern. Das Sujet des Kölner Dombildes z. B. sind die anbetenden Könige und die Patrone Kölns; auch in der van Eyckischen Schule war dieser Gegenstand sehr beliebt. Hier nun sind die Anbetenden häufig bekannte Personen, Fürsten, wie man z. B. auf der berühmten Anbetung bei den Gebrüdern Boisseree, welche für ein Werk van Eycks ausgegeben wird, in zweien der Könige Philipp von Burgund und Karl den Kühnen hat erkennen wollen. Diesen Gestalten sieht man es an, daß sie auch außerdem noch etwas sind, andere Geschäfte haben und hier nur gleichsam am Sonntag oder morgens früh in die Messe gehen, die übrige Woche aber oder den übrigen Tag anderweitige Geschäfte treiben. Besonders sind auf niederländischen oder deutschen Bildern die Donatare fromme Ritter, gottesfürchtige Hausfrauen mit ihren Söhnen und Töchtern. Sie gleichen der Martha, die ab- und zugeht und sich auch um Äußerliches und Weltliches bemüht, und nicht der Maria, die das beste Teil erwählt hat. Es fehlt ihnen zwar in ihrer Frömmigkeit nicht an Innigkeit und Gemüt, aber es ist nicht der Gesang der Liebe, der ihre ganze Natur ausmacht und der nicht bloß eine Erhebung, ein Gebet oder Dank für empfangene Gewährung, sondern ihr einziges Leben wie das der Nachtigall sein müßte.

Der Unterschied, welcher im allgemeinen auf dergleichen Gemälden zwischen Heiligen und Anbetenden und frommen Mitgliedern der christlichen Gemeinde in ihrem wirklichen Dasein zu machen ist, läßt sich dahin angeben, daß die Betenden besonders auf italienischen Bildern im Ausdruck ihrer Frömmigkeit eine vollkommene Übereinstimmung des Äußeren und Inneren zeigen. Das seelenvolle Gemüt erscheint auch als das Seelenvolle hauptsächlich der Gesichtsformen, die nichts den Gefühlen des Herzens Entgegengesetztes oder von denselben Verschiedenes ausdrücken. Dies Entsprechen ist dagegen in der Wirklichkeit nicht jedesmal vorhanden. Ein weinendes Kind z. B., besonders wenn es eben zu weinen anfängt, bringt uns oft - unabhängig davon, daß wir wissen, sein Leiden sei nicht der Tränen wert - durch seine Grimassen zum Lachen; ebenso verzerren ältere Leute, wenn sie lachen wollen, ihr Gesicht, weil die Züge zu fest, kalt und eisern sind, um sich einem natürlichen, unangestrengten Lachen oder freundlichen Lächeln zu bequemen. Solche Unangemessenheit der Empfindung und der sinnlichen Formen, in welchen die Frömmigkeit sich ausspricht, muß die Malerei vermeiden und soviel als möglich die Harmonie des Inneren und Äußeren zustande bringen; was denn auch die Italiener im vollsten Maße, die Deutschen und Niederländer, weil sie porträtartiger darstellen, weniger getan haben.

Als eine fernere Bemerkung will ich noch hinzufügen, daß diese Andacht der Seele auch nicht das angstvolle Rufen in äußerer Not oder Seelennot sein muß, wie es die Psalmen und viele lutherische Kirchenlieder enthalten - als z. B. »Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele nach dir« [Ps. 42,2] -, sondern ein Hinschmelzen, wenn auch nicht so süß wie bei Nonnen, eine Hingebung der Seele und ein Genuß dieses Hingebens, ein Befriedigtsein, Fertigsein. Denn die Not des Glaubens, die angstvolle Verkümmerung des Gemüts, dies Zweifeln und Verzweifeln das im Ringen und in der Entzweiung bleibt, solche hypochondrische Frömmigkeit, welche niemals weiß, ob sie auch nicht in Sünde, ob die Reue auch wahr und die Gnade durchgedrungen ist, solche Hingebung, in welcher sich das Subjekt doch nicht kann fahrenlassen und dies gerade durch seine Angst beweist, gehört nicht zur Schönheit des romantischen Ideals. Eher schon kann die Andacht das Auge sehnsüchtig gegen den Himmel emporschlagen, obgleich es künstlerischer und befriedigender ist, wenn der Blick auf ein gegenwärtiges, diesseitiges Objekt der Anbetung, auf Maria, Christus, einen Heiligen usf. gerichtet ist. Es ist leicht, ja zu leicht, einem Bilde dadurch ein höheres Interesse zu geben, daß die Hauptfigur den Blick gen Himmel, ins Jenseitige hinein hebt, wie denn auch heutigentags dies leichte Mittel gebraucht wird, Gott, die Religion zur Grundlage des Staats zu machen oder alles und jedes, statt aus der Vernunft der Wirklichkeit, mit Bibelstellen zu erweisen. Bei Guido Reni z. B. ist es zur Manier geworden, seinen Bildern diesen Blick und Augenaufschlag zu geben. Die Himmelfahrt Maria in München z. B. hat sich den höchsten Ruhm bei Freunden und Kunstkennern erworben, und allerdings ist die hohe Glorie der Verklärung, der Versenkung und Auflösung der Seele in den Himmel und die ganze Haltung der in den Himmel hineinschwebenden Figur, die Helligkeit und Schönheit der Farbe von der höchsten Wirkung; aber ich finde es für Maria dennoch angemessener, wenn sie in ihrer gegenwärtigen Liebe und Beseligung mit dem Blick auf das Kind dargestellt wird; die Sehnsucht, das Streben, jener Blick gen Himmel streifen nahe an die moderne Empfindsamkeit heran.

Der zweite Punkt nun betrifft das Hereintreten der Negativität in die geistige Andacht der Liebe. Die Jünger, Heiligen, Märtyrer haben zum Teil äußerlich, zum Teil nur im Innern denselben Schmerzensweg entlangzugehen, auf welchem Christus ihnen in der Passionsgeschichte vorangewandelt ist.

Dieser Schmerz liegt zum Teil an der Grenze der Kunst, welche die Malerei zu überschreiten leicht geneigt sein kann, insofern sie sich die Grausamkeit und Gräßlichkeit des körperlichen Leidens, das Schinden und Braten, die Peinigung und Qual der Kreuzigung zum Inhalte nimmt. Dies darf ihr, wenn sie nicht aus dem geistigen Ideal heraustreten soll, nicht erlaubt werden, und nicht etwa bloß, weil dergleichen Martern vors Auge zu bringen nicht sinnlich schön ist oder weil wir heutigentags schwache Nerven haben, sondern aus dem höheren Grunde, daß es um diese sinnliche Seite nicht zu tun ist. Die geistige Geschichte, die Seele in ihrem Leiden der Liebe, und nicht das unmittelbare körperliche Leiden an einem Subjekte selbst, der Schmerz um das Leiden anderer oder der Schmerz in sich selbst über den eigenen Unwert ist der eigentliche Inhalt, der gefühlt und dargestellt werden soll. Die Standhaftigkeit der Märtyrer in sinnlichen Grausamkeiten ist eine Standhaftigkeit, die bloß sinnlichen Schmerz erträgt, im geistigen Ideal aber hat es die Seele mit sich, ihrem Leiden, der Verletzung ihrer Liebe, der inneren Buße, Trauer, Reue und Zerknirschung zu tun.

Auch bei dieser inneren Pein darf dann aber die positive Seite nicht fehlen. Die Seele muß der objektiven, an und für sich vollbrachten Versöhnung des Menschen mit Gott gewiß und nur bekümmert sein, daß dies ewige Heil auch in ihr subjektiv werde. In dieser Weise sehen wir häufig Büßende, Märtyrer, Mönche, die in der Gewißheit der objektiven Versöhnung teils in der Trauer sind um ein Herz, das aufgegeben werden soll, teils diese Hingabe ihrer selbst vollbracht haben, doch die Versöhnung immer von neuem vollbracht wissen wollen und sich deshalb die Buße immer wieder auferlegen.

Hier nun kann ein gedoppelter Ausgangspunkt genommen werden. Ist nämlich von Hause aus ein frohes Naturell, Freiheit, Heiterkeit, Entschiedenheit, die das Leben und die Bande der Wirklichkeit leichtnehmen und es kurz damit abzumachen wissen, vom Künstler zugrunde gelegt, so vergesellschaften sich damit auch mehr ein natürlicher Adel, Grazie, Froheit, Freiheit und Schönheit der Form. Wenn dagegen ein halsstarriger, trotziger, roher, beschränkter Sinn die Voraussetzung abgibt, so fordert die Überwindung eine harte Gewalt, um den Geist aus dem Sinnlichen und Weltlichen herauszuwinden und die Religion des Heils zu gewinnen. Bei solcher Widerspenstigkeit treten daher härtere Formen der Kräftigkeit und Festigkeit ein, die Narben der Wunden, welche dieser Hartnäckigkeit geschlagen werden müssen, sind sichtbarer und bleibender, und die Schönheit der Formen fällt fort.

Drittens kann nun auch die positive Seite der Versöhnung, die Verklärung aus dem Schmerz, die aus der Buße gewonnene Seligkeit für sich zum Inhalt gemacht werden, ein Gegenstand, der freilich leicht zu Abwegen verleitet.

Dies sind die Hauptunterschiede des absoluten geistigen Ideals als des wesentlichsten Inhaltes der romantischen Malerei; es ist der Stoff ihrer gelungensten, gefeiertesten Werke, Werke, die unsterblich sind durch die Tiefe ihres Gedankens und, wenn eine wahrhafte Darstellung hinzukommt, die höchste Steigerung des Gemüts zu seiner Beseligung, das Seelenvollste, Innigste ausmachen, was der Künstler irgend zu geben vermag.

Nach diesem religiösen Kreise haben wir nun noch zweier anderer Gebiete Erwähnung zu tun.

 


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