Sechstes Kapitel
Wirkung nach außen
Die ersten Anhänger und Gegner
Wirkung auf die Universitäten
Wie merkwürdig es auch scheinen mag, selbst auf einen Kant läßt sich bis zu einem gewissen Grade das Wort anwenden: "Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande." Gewiß, er ward, wie wir sahen und noch weiter sehen werden, als Lehrer hochgeschätzt und verehrt. Und von dem Schriftsteller wußte man, dass er "draußen im Reich" ein immer berühmterer Mann wurde, und war stolz, ihn zum Landsmann zu haben. Ein junger Graf Dohna-Schlobitten schämte sich, wie sein Hauslehrer am 16. März 1788 dem früheren Lehrer schreibt, "ein Preuß zu sein und Kant nicht zu kennen"; und aus dem benachbarten Kurland teilt des Philosophen Bruder Johann Heinrich ihm schon am 10. September 1782 mit, dass dort die Kritik der "gereinigten" Vernunft "die Stimmen aller Denker besitze". Indes, von einem kleinen Kreise abgesehen, verehrte und bewunderte man ihn doch mehr, als dass man seine Schriften gründlich gekannt hätte. Noch 1798 schreibt der sehr zuverlässige Abegg, gelegentlich seines vielwöchentlichen Aufenthaltes in der Pregelstadt: "Er ist hier allgemein geschätzt und geliebt. Nur weiß der wenigste Teil sein literarisches Verdienst zu erkennen, und man ehrt und liebt also nur den Menschen in ihm."
Seine eigentliche schriftstellerische Wirkung entfaltete unser Philosoph jedenfalls nach außen. Charakteristisch dafür ist schon die starke Vermehrung seines Briefwechsels seit Mitte der 80er Jahre. Mag die Erhaltung desselben auch vielfach vom Zufall abgehangen haben, so ist doch bezeichnend, dass von dem heutigen Bestand für den ganzen Zeitraum 1749—1780 auf ein Jahr durchschnittlich kaum fünf, auf das Jahrfünft 1781—1785 schon je 18, auf 1785—1790 und 1791—1798 gar je 45, auf 1795 bis 1800 auch noch 38, und erst auf die letzten Jahre 1801—1803 wieder fünf jährliche Briefe fallen, die zum allergrößten Teile mit auswärtigen Adressaten gewechselt sind.*) Im Unterschiede zu früher wenden sich jetzt oft ganz Unbekannte aus weiter Entfernung an ihn, und zwar nicht bloß in wissenschaftlichen, sondern — wie in dem Maße vordem vielleicht nur an Geliert — auch in ganz persönlichen Angelegenheiten.
Den beinahe ausschließlichen Sitz des wissenschaftlichen Lebens in Deutschland bildeten, damals noch mehr wie heute, die Universitäten. Sie kommen daher in erster Linie für die Ausbreitung seiner philosophischen Lehre in Betracht. Deren erste und eine Reihe von Jahren vornehmste auswärtige Pflanzstätte wurde das kleine Jena.
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*) Dieser Briefwechsel bildet denn auch die Hauptquelle für die folgende Darstellung. Um Raum zu sparen, werden wir nur die wichtigeren Briefe mit Datum und Absender hervorheben.