Kants Stellungnahme


Spinozas dogmatische Methode mußte seinem kritischen Kopfe ebenso widerstreben, wie dessen Pantheismus. So wird es mit dem Geständnis gegenüber Hamann, "den Spinoza niemals recht studiert zu haben" (Hamann an Jacobi, 3. Dez. 85), wohl seine Richtigkeit haben. In der ganzen Kritik der reinen Vernunft wird Spinozas Name nicht genannt, auch in sämtlichen vorkritischen Schriften, soweit wir uns erinnern, nur einmal im 'Beweisgrund'. Und ebenso konnte er "Jacobis Auslegung so wenig als den Text des Spinoza sich selbst verständlich machen" (Hamann an Jac, 28. Okt. 85). Seine allgemeine Sympathie wie seine literarische Vergangenheit zogen ihn zweifellos mehr zu den Berlinern. Anderseits war er aber doch auch über Mendelssohns Wolffianismus und "gesunden Menschenverstand" weit hinausgewachsen und seine eigene Kritik der Gottesbeweise von diesem beanstandet worden. So dachte er anfangs daran, "mit aller Kälte sich in einen Gang mit Mendelssohn einzulassen", wozu ihn Hamann natürlich noch mehr "aufmunterte" (an Jac, 5. Nov. 85), gab jedoch diese Absicht bald auf, weil er mit eigenen Arbeiten zu sehr beschäftigt sei, auch die 'Morgenstunden' nicht unmittelbar ihn selbst beträfen. Er teilte daher nur sein Urteil Schütz mit, das dieser dann zu einer Besprechung in der Literaturzeitung benutzte, in der Mendelssohns Schrift zwar mit Achtung behandelt, aber doch als "das letzte Vermächtnis einer dogmatisierenden Metaphysik", wenn auch als deren "vollkommenstes Produkt" bezeichnet wurde.

Wie Hamann von der einen, so suchten von der anderen Seite die Berliner ihren vermeintlichen Gesinnungsgenossen immer stärker zum Schreiben zu drängen. So hatte ihn Biester schon am 8. November 1785 gebeten, doch ja "ein Wort über die philosophische Schwärmerei zu sagen". Weit heftiger und aufgeregter drängte am 27. Februar 1786 der alte Schüler Marcus Herz: "Was sagen Sie denn zu dem Aufruhr, der seit und über Moses' Tod unter Predigern und Genies, Teufelsbannern und possigten Dichtern, Schwärmern und Musikanten beginnt, zu dem der Geheimrat zu Pimplendorf" — gemeint ist Jacobi in Pempelfort — "das Zeichen gab? Wenn doch ein Mann wie Sie diesem lumpigten Schwarm [!] ein einziges ernsthaftes Stille da! zuriefe; ich wette, er würde zerstreut wie Spreu vom Winde." Sachlicher und darum wirksamer äußerte sich acht Tage später Biester: "Freilich wird die Sache der Schwärmerei zu arg in den Schriften der modischen Philosophen; Demonstration wird verworfen, Tradition (die niedrigste Art des Glaubens) wird empfohlen und über Vernunftbeweise erhoben. Wahrlich, es ist Zeit, dass Sie, edler Wiederhersteller des gründlichen und gereinigten Denkens, aufstehen und dem Unwesen ein Ende machen. Tun Sie es doch bald in einigen kleinen Aufsätzen in der Monatsschrift, bis Sie Zeit zu einem größeren Werke finden" (an Kant, 6. März 86). Gleichwohl ließ sich der Philosoph nicht zu einseitigem Losschlagen bestimmen. Auf Herzens aufgeregte Expektoration erwiderte er erst am 17. April ziemlich kühl: "Die Jacobische Grille ist keine ernstliche, sondern nur eine affektierte Genieschwärmerei, um sich einen Namen zu machen und ist daher kaum einer ernstlichen Widerlegung wert. Vielleicht dass ich etwas in die Berl. M. S. einrücke, um dieses Gaukelwerk aufzudecken." Auch Biester ermahnte er noch Ende Mai, "jeden kränkenden Angriff auf H(errn) Jacobi zu verhüten".

Stärker scheint auf ihn eine Nachricht aus Jena gewirkt zu haben. Von dort ersuchte ihn der eifrig ergebene Schütz im Februar 1786 um eine Erklärung: "ob Sie nicht Hr. Geh. Rat Jacobi in seinem Buche über Spinoza mißverstanden, wenn er Ihre Ideen vom Raum anführt und sagt, sie seien ganz im Geiste Spinozas geschrieben"; namentlich aber die damit verbundene Nachricht: es gebe Männer, "die wirklich sonst gar nicht auf den Kopf gefallen sind", welche Kant — wie ein Dutzend Jahre später Fichte — für einen Atheisten hielten! Um Mendelssohns Tod willen werde er doch die beabsichtigte Schrift nicht zurückhalten? So war es denn kein Wunder, dass Hamann unseren Philosophen am 6. März "voll von der Mendelssohnschen Sache", und zwar "weit auseinander in unserem Urteile" fand, und dass dieser sich am 4. April in einer Mittagsgesellschaft bei Hippel so begeistert für Mendelssohns "Originalgenie" und seine Hauptschrift Jerusalem' äußerte, dass er darüber, ganz gegen seine sonstige ruhige Art, in einen heftigen Wortwechsel mit dem alten Freunde Ruffmann geriet und sich unmutig entfernte. Er beabsichtigte damals auch einen Artikel über Mendelssohns Verdienste um Christentum und besonders Judentum für die Monatsschrift zu schreiben. Aber soviel er auch für den Menschen Mendelssohn übrig haben mochte: dessen Dogmatismus gab er nach wie vor für ein "reines System der Täuschung" aus (Ham, an Jac, 25. März 86). Deshalb konnte er auch am 11. März Hamann durch dessen Sohn sagen lassen, er habe Jacobis Gegenschrift "mit vielem Vergnügem" gelesen. Und Hamann glaubte seinen immer wieder besorgt anfragenden Freund über Kants "Neutralität" beruhigen zu können: dieser halte es mit Mendelssohn gewiß nicht als Wolffianer, und mit ihm als Juden nur, insofern er ihm "Naturalist", d. h. Anhänger der natürlichen Religion zu sein scheine. Ja, als Hamann ihn am 27. Mai besuchte, hatte er nichts dagegen, dass Jacobi sich auf ihn berufe, und äußerte sich, trotz der ihm etwas peinlichen Gegenwart seines jüdischen Zuhörers Theodor nach Hamanns Eindruck "völlig zufrieden" über Jacobis Buch, wenn er auch Lessings Spinozismus nicht für "so ausgemacht" hielt. Übrigens werde er sich über die ganze Sache, und zwar rein sachlich ohne persönliche Polemik, noch öffentlich auslassen.


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