3. Die Wirkung von Kants ethischen Schriften


Kants war weit unmittelbarer und offensichtlicher als die des theoretischen Hauptwerks. Diese aus der Tiefe des Herzens dringende, darum phrasenlose Begeisterung für die freie sittliche Selbstbestimmung, dieser glühende Eifer für die Veredelung und Wohlfahrt der Menschheit, diese Erhebung über die enge Dumpfheit des damaligen privaten und mehr noch öffentlichen Lebens diese hohe Lehre des scharfsinnigsten deutschen Denkers, dass der höchste Wert des Menschen nicht auf seinem Kopf und Verstand, sondern auf Herz und Gesinnung beruhe, und nicht zuletzt die sichere Überzeugung, dass dieser Mann seine Ethik nicht bloß lehrte, sondern auch lebte: das alles fand einen mächtigen Widerhall in dem Geschlecht jener Tage, das unter seiner steifen Tracht und vielfach auch äußeren Form eine glühende Sehnsucht nach Freiheit und Natürlichkeit barg. Um nur einige der bezeichnendsten aus der Reihe begeisterter Zustimmungserklärungen *) zu nennen, schrieb ihm aus Jena der Jurist Hufeland am 11. Oktober 1785: Der Nutzen seiner moralischen Schriften werde unsäglich sein, da schon die 'Grundlegung' das Verdienst habe, "die ganze Sittlichkeit zuerst fest gegründet zu haben und alle, so wohltätig für unser Geschlecht, von der Spekulation ab zur Tätigkeit zu rufen." Noch enthusiastischer äußerte sich am 12. Mai des folgenden Jahres der junge Mediziner Johann Benjamin Erhard in Nürnberg: "Ihre Metaphysik der Sitten vereinigte mich ganz mit Ihnen, ein Wonnegefühl strömt mir durch alle Glieder, so oft ich mich der Stunde erinnere, da ich sie zum erstenmal las." Und noch überschwänglicher nennt Reinhold in Jena die Kritik der praktischen Vernunft "eine Sonne" gegen sein "schwaches Lämpchen"; das ihm übersandte Exemplar will er seinem noch zu erwartenden Sohne als unveräußerliches Kleinod hinterlassen. Seine Seele hänge an dem Manne, der die Eintracht zwischen Kopf und Herzen in ihm gestiftet, dem er die Ruhe, die seligste Beschäftigung und die süßeste Freude seines Lebens danke, mit einer Liebe, "die so rein und so unauslöschlich ist als das Licht der Erkenntnis, das er in ihr aufgesteckt hat" (an Kant, 19. Jan. 1788). Wenn der Däne Baggesen ihn als "Messias den Zweiten" pries und unter die "Heilande der Erde" rechnete, so wollte das freilich bei dem gefühlsseligen Enthusiasten, der nach seinem eigenen Bekenntnis, was anderen Philosophen bloß gefiel, gleich "in den dritten Himmel hinaufhob", nicht allzuviel besagen. Stärker wiegt schon die Begeisterung eines anderen dieser bezeichnenderweise sämtlich der jüngeren Dichter- und Denker-Generation Angehörigen, Jean Pauls, in einem Briefe an seinen Freund Vogel vom 13. Juli 1788: "Kaufen Sie sich ums Himmels willen zwei Bücher, Kants Grundlegung zu einer Metaphysik der Sitten und Kants Kritik der praktischen Vernunft. Kant ist kein Licht der Welt, sondern ein ganzes strahlendes Sonnensystem auf einmal." Am bedeutsamsten aber, weil philosophisch ernster und innerlich tiefer begründet als alle diese begeisterten Gefühlsausbrüche, klingt das Wort unseres Schiller, mit dem wir diese Übersicht beschließen wollen, und das er nach mehrjährigen Kantstudien, in bewußtem Gegensatz zu "allen Nebenideen" der "bisherigen Religionairs" [Theologen?] in der Moralphilosophie und der "armen Stümper, die in die Kantsche Philosophie hineinpfuschten", am 18. Februar 1793 an seinen Freund Körner schrieb: "Es ist gewiß von einem sterblichen Menschen kein größeres Wort noch gesprochen worden als dieses Kantische, was zugleich der Inhalt seiner ganzen Philosophie ist: Bestimme Dich aus Dir selbst!"

 

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*) Vgl. die Einleitung zu meiner Ausgabe der Kr. d. prakt. Vernunft (Philos. Bibl., Bd. 38), S. XVIII—XXII.


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