B. Zwischen Aufklärung und Glaubensphilosophie
oder:
Der Jacobi-Mendelssohn-Streit


Das ganze philosophisch und literarisch interessierte Deutschland geriet in Aufregung, als Mitte der 80er Jahre durch eine Mitteilung F. H. Jacobis an Mendelssohn bekannt wurde, dass Lessing ersterem gegenüber sich einige Monate vor seinem Tode zum Spinozismus bekannt habe, der damals fast allgemein als mit krassem Atheismus und Fatalismus gleichbedeutend galt. Moses Mendelssohn insbesondere, der übrigens jene Mitteilung schon Juli 1783 erhalten hatte, faßte die Anschuldigung sozusagen als eine persönliche Beleidigung seines verstorbenen Freundes Messing auf und zog in seinen 'Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes' (Herbst 1785) aufs schärfste gegen den Spinozismus, aber auch gegen den Skeptizismus und kritischen Idealismus zu Felde, obwohl er die Werke des "alles zermalmenden" Kant gar nicht selbst gelesen zu haben bekannte. Jacobi seinerseits verteidigte in seinen fast gleichzeitig erschienenen Briefen 'Über die Lehre des Spinoza an Moses Mendelssohn' den Spinozismus als das einzige folgerichtige System aller Begriffsphilosophie, um zugleich den Standpunkt zu verfechten: aus der Gefahr eines blinden Naturmechanismus und Atheismus könne nur ein salto mortale in den Glauben retten, d. i. das unmittelbare Gefühl der Gewißheit, das keiner Beweisgründe bedarf. Auf Kant berief er, der im übrigen den "Kantischen Glauben" durchaus nicht teilte, sich erst, als er wegen seiner Abweisung von Verstandesbeweisen für das Dasein Gottes von dem erbitterten Mendelssohn des Atheismus beschuldigt wurde. Auf Mendelssohns Replik (Anfang 1786) folgte alsbald eine Duplik Jacobis, dazu eine gemäßigtere, zwischen Jacobi und Kant etwa die Mitte haltende Schrift eines jungen Schwaben (Wizenmann). Weiter erschienen verschiedene Anzeigen aller dieser Schriften in der Jenaer Literaturzeitung, und der strikte Kantianer Jakob in Halle bereitete eine Kritik der 'Morgenstunden' vor. Noch verwirrter wurde die Sache dadurch, dass einer der beiden Hauptbeteiligten, der schon lange nervenkranke Moses Mendelssohn, am 4. Januar 1786 plötzlich starb: wie seine Berliner Anhänger behaupteten, aus Aufregung und Ärger über seine christlichen Gegner, insbesondere Jacobi und Lavater. Jedenfalls war inzwischen aus der Fehde der Personen ein Kampf zweier Geistesrichtungen geworden: auf der einen Seite die Vertreter der Berliner Aufklärung (Biester, M. Herz, Nicolai u. a.), auf der anderen die Kämpen der Glaubens- und Gefühlsphilosophie (Hamann, Lavater, Jacobi), aber doch auch die junge Dichtergeneration (Herder, Goethe). Von beiden Teilen wurde Kant angerufen1). Wie stellte er sich dazu?

 

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*) Es ist interessant, ja amüsant, aus den verschiedenen Briefwechseln der Zeit zu ersehen, wie sich beide Parteien bemühen, die wichtige Autorität des Königsberger Weisen auf ihre Seite zu ziehen. Um einen lebendigen Eindruck davon zu bekommen, muß man die Unmengen von Briefen des schreibseligen, jedoch nie geistlosen Hamann an seine Freunde, namentlich den im Mittelpunkt des Kampfes stehenden Jacobi, selber lesen. Wir heben oben nur diejenigen Punkte hervor, die Kants Persönlichkeit und Lehre näher angehen.


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