5. Kritik der teleologischen Urteilskraft


Ein vorläufiger Abschluß der geschichtsphilosophischen Ideen wird in der 5. Kritik der teleologischen Urteilskraft, dem zweiten Teile der 'Kritik der Urteilskraft' (1790), erreicht, die in dieser Hinsicht noch wenig beachtet worden ist, obwohl in ihrem "Anhang" (bes. § 82—84) die schwerwiegendsten Probleme aufgeworfen werden. Ist der Mensch, fragt hier Kant, wirklich Endzweck der Natur? Widerspricht dem nicht u. a. die Tatsache der mannigfachen Revolutionen des Erdkörpers mit ihren zerstörenden Folgen (Lissabon 1755!)? Und, wenn trotzdem der Mensch den letzten Zweck der Natur darstellt, was ist sein letzter Zweck, Kultur oder Glückseligkeit? Kant antwortet darauf, ähnlich dem Goetheschen Faust des Ersten Teils: Die menschliche Natur ist nicht von der Art, "irgendwo im Besitze und Genusse aufzuhören und befriedigt zu werden"; deshalb kann nur Kultur, d. h. die Hervorbringung der Tauglichkeit eines "vernünftigen Wesens" zu selbständigem, "vom Despotismus der Begierden" freiem Wollen und Handeln, sein Endzweck sein. Denn der Wert des Lebens besteht nicht im Genießen, sondern im Tun: so dass die Lösung des Problems ähnlich wie beim Faust des Zweiten Teils erfolgt. Wie die Dinge heute liegen — und das 20. Jahrhundert hat darin bisher noch keine Änderung gebracht —, wird diese Kultur freilich nur für eine bevorzugte Minderheit um den Preis erreicht, dass die große Masse "die Notwendigkeiten des Lebens gleichsam mechanisch ... zur Gemächlichkeit und Muße anderer besorgt, welche die minder notwendigen Stücke der Kultur, Wissenschaft und Kunst, bearbeiten und von dieser in einem Stande des Drucks, saurer Arbeit und wenig Genusses gehalten wird" (Ausgabe Vorländer, S. 301): nebenbei bemerkt, ein gutes Zeugnis von Kants tiefem sozialen Blick in einer noch wenig sozial denkenden Zeit. Damit wachsen die Plagen der Menschheit zu einem "glänzenden Elend" heran und scheint Krieg und Zwietracht vorläufig "unvermeidlich". Erst das Staatsideal einer "weltbürgerlichen" Gesellschaft, in der "die größte Entwicklung der Naturanlagen geschehen kann" (so schon 1784), wird dem ein Ende machen (S. 301 f.). Denn der Endzweck der Schöpfung ist doch zuletzt nur der Mensch als moralisches Wesen; womit die Teleologie auch hier in die — Ethik einmündet.


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