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637. Ganz¹⁾. Gar²⁾. Gänzlich³⁾.

1) Entire.
2) Ready, done; entirely, fully, very.
3) Entire, entirely, wholly, all quite, totally.
1) Entier.
2) Prêt, assez cuit; bien, fort, absolument.
3) Entier, total; entièrement.
1) Intero.
2) Ben cotto, interamente arrostito; affatto, del tutto, totalmente.
3) Intero totale; interamente, del tutto, totalmente.

Ganz ist das, was ungeteilt ist, z. B. eine ganze Armee, Kompanie, Klasse, ein ganzer Apfel, Kuchen, ein ganzes Schock, Dutzend, Hundert usw., oder das, was unverkürzt ist, z. B. ein ganzes Jahr, eine ganze Woche, ein ganzer Monat, mein ganzer Lohn usw., oder das, was unverletzt und unversehrt ist, z. B. ein ganzes Kleid (Gegensatz: ein zerrissenes), ein ganzer Rock usw. Daher bezeichnet ganz dann weiterhin die Vollständigkeit und Gesamtheit, z. B. eine Arbeit ganz tun, das ganze Volk, das ganze Deutschland, die ganze Reise usw., und in übertragenem Sinne die Vollkommenheit, z. B. ein ganzer Mann, ein ganzer Kerl, ein ganzes Werk usw. Gänzlich dagegen hat nur die Bedeutung: völlig, vollständig, und steht vorwiegend adverbiell, während ganz zunächst Adjektivum ist und erst in zweiter Linie auch adverbiell gebraucht wird. Aber auch bei adjektivischer Verwendung ist das Wort gänzlich nur auf die Bedeutung: „völlig“ eingeschränkt, z. B. ein gänzliches Mißverständnis, d.i. ein völliges; gänzlicher Verfall, d. i. völliger Verfall. „Das ganze Deutschland soll es sein!“ Ernst Moritz Arndt, Was ist des Deutschen Vaterland? Gänzlich könnte hier niemals stehen. „Er war ganz außer sich!“ ist kräftiger und edler, als: „Er war gänzlich außer sich!“, obwohl hier ganz wie gänzlich beide völlig bedeuten. Gänzlich ist nur in prosaischer Rede denkbar und zu poetischer Verwendung nicht geeignet, während ganz ein poetisches Wort ersten Ranges ist. „Du hast mich ganz auf ewig Dir gewonnen, so nimm nun auch mein ganzes Wesen hin.“ Goethe, Tasso 5, 4. Auftritt. Wollte man hier gänzlich setzen, so würde geradezu eine komische Wirkung entstehen. „Wer die ganze Welt erfahren, wird oft spät erst seine Ernte sehn.“ Franz Evers, Erntelieder S. 141 (Denkmale).

Gar heißt eigentlich: bereit gemacht, fertig, z. B. das Leder ist gar (d. i. fertig gegerbt), der Acker ist gar (d. i. fertig gedüngt), das Eisen oder Kupfer in der Schmelze ist gar usw. Ganz besonders steht es von fertig gekochten Speisen (z. B. das Fleisch ist gar, das Huhn ist gar, die Suppe ist gar usw.). Garkoch heißt der, der fertig gekochte Speisen jederzeit bereit hält, und der Ort, wo diese verkauft werden, heißt Garküche. In diesem Sinne können ganz und gänzlich nicht stehen. Gar gewinnt aber in adverbiellem Gebrauche die Bedeutung „völlig, vollständig“. Die Eigentümlichkeit des adverbiellen gar ist, daß es in die allgemeine Bedeutung sehr, ganz besonders übergeht, aber mit volkstümlicher oder poetischer Färbung des Ausdruckes, z. B. das ist gar schön (d. h. ganz besonders schön); das ist gar herrlich, gar wunderbar, gar überraschend usw., und daß es dann zu einem allgemeinen Adverbum mit der Bedeutung einer Steigerung wird, besonders auch in Verbindung mit Verneinungen, z. B. nun wollen gar (d. i. sogar) die Frauen politisches Stimmrecht ausüben; jetzt wollen gar die Kinder schon die Herren spielen. Das ist gar nicht recht, gar nicht gut, gar nicht wahr usw. Verstärkend wirkt das Adverbum gar besonders auch in der Verbindung ganz und gar, z. B. das ist ganz und gar falsch, ganz und gar verkehrt usw. „Die Seele ist doch jung geblieben, die hat kein weißes Haar! Sie hat noch unter Schicksalshieben ihr Trotzen ganz und gar.“ Carmen Sylva, Tau, Bonn 1900, S. 73. — „Können gar viele gute Menschen nicht widerstehn, zu einem kurzen Gebet in die stille Kirche zu gehn.“ Hugo Salus, Die beiden Heiligen, Neue Garben, S. 40. — „Und habt mir gar ein nachdenklich Sprüchlein gesagt.“ Hugo Salus, ebenda. Ganz steht in der Regel als Adverbium zwischen Artikel und Nomen, z. B. ein ganz guter Mensch, während gar auch vor den Artikel treten kann, z. B. ein gar guter Mensch, und: gar ein guter Mensch. Wird ganz in solchem Falle vor den Artikel gestellt, so wirkt das gesucht, z. B. „Ganz ein sonderbarer Mann ging vorgestern mit spazieren nach dem Waldschloß.“ Eduard Paulus, Elsa im Garten mit Lili, Ges. Dichtungen, S. 160.