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[Tyrann als Märtyrer, Märtyrer als Tyrann]

Immer von neuem fasziniert im Untergang des Tyrannen der Widerstreit, in welchem Ohnmacht und Verworfenheit seiner Person mit der Überzeugung von der sakrosankten Gewalt seiner Rolle im Gefühl des Zeitalters liegen. Es war ihm dergestalt durchaus verwehrt, dem Ende des Tyrannen eine platte moralische Satisfaktion im Stile der Hans Sachsschen Dramen zu entnehmen. Wenn nämlich jener nicht nur als Person in seinem eigenen, sondern als Herrscher im Namen der geschichtlichen Menschheit scheitert, so spielt sein Untergang als ein Gericht sich ab, in dessen Urteil auch der Untertan sich mitbetroffen fühlt. Was beim Herodesdrama die genauere Betrachtung lehrt, das liegt bei Werken wie dem »Leo Armenius«, »Carolus Stuardus«, »Papinian«, die ohnedies an Märtyrertragödien grenzen oder zu ihnen zu zählen sind, auf der Hand. Es ist denn auch nicht zuviel, wenn man in allen Dramendefinitionen der Handbücher im Grunde die Beschreibung des Märtyrerdramas erkennt. Sie haben es nicht sowohl auf die Taten des Helden als auf sein Dulden, ja öfters nicht sowohl auf Seelenqualen als auf die Pein des körperlichen Ungemachs, das ihn ereilt, abgesehen. Dennoch ist das Märtyrerdrama nirgends bündig, wenn nicht in einem Satze Harsdörffers, gefordert worden. »Der Held ... sol ein Exempel seyn aller vollkomenen Tugenden/ und von der Untreue seiner Freunde/ und Feinde betrübet werden; jedoch dergestalt/ daß er sich in allen Begebenheiten großmütig erweise und den Schmertzen/ welcher mit Seufftzen/ Erhebung der Stimm und vielen Klagworten hervorbricht/ mit Tapferkeit überwinde.«1 Der »von der Untreue seiner Freunde und Feinde« Betrübte — es könnte von der Passionsgestalt Christi gesagt sein. Wie Christus als König im Namen der Menschheit litt, so nach der Anschauung barocker Dichter Majestät schlechtweg. »Tollat qui te non noverit« lautet die Inschrift des LXXI. Blattes in Zincgrefs »Emblematum ethico-politicorum centuria«. Im Vordergrunde einer Landschaft zeigt es eine gewaltige Krone. Darunter die Verse: »Ce fardeau paroist autre à celuy qui le porte, | Qu'à ceux qu'il esblouyt de son lustre trompeur, | Ceuxcy n'en ont jamais conneu la pesanteur, | Mais l'autre sçait expert quel tourment il apporte.«2 So nahm man denn nicht Anstand, Fürsten gelegentlich ausdrücklich mit dem Märtyrertitel zu begaben. »Carolus der Märtyrer«, »Carolus Martyr«3 steht unter dem Titelkupfer der »Königlichen Verthätigung für Carl I.«. In unübertroffener Art, verwirrend freilich, spielen diese Antithesen in Gryphius' erstem Trauerspiele ineinander. Die erhabne Stellung des Kaisers auf der einen Seite und die verruchte Ohnmacht seines Handelns auf der anderen lassen es im Grunde unentschieden, ob ein Tyrannendrama oder eine Märtyrerhistorie vorliegt. Gryphius hätte gewiß sich zur erstern Meinung bekannt; Stachel scheint die zweite für selbstverständlich zu halten.4 In diesen Dramen ist es die Struktur, die jene stoffliche Schablone außer Kurs setzt. Nirgends freilich mehr als im »Leo Armenius« zum Nachteil einer deutlich konturierten sittlichen Erscheinung. — Es bedarf also nicht eben tiefer Nachforschung, um zu gewahren, wie in jedem Tyrannendrama ein Element der Märtyrertragödie verborgen liegt. Weit weniger leicht entdeckt sich das Moment des Tyrannendramas in der Märtyrerhistorie. Die Vorbedingung dafür bleibt das Wissen um jenes sonderbare Bild, das im Barock — zum mindesten im literarischen — vom Märtyrer das hergebrachte war. Mit religiösen Konzeptionen hat es nichts gemein, der Immanenz entzieht sich der vollkommene Märtyrer so wenig wie das Idealbild des Monarchen. Im Drama des Barock ist er ein radikaler Stoiker und legt sein Probestück aus Anlaß eines Kronstreits oder Religionsdisputes ab, an dessen Ende Folter und Tod ihn erwarten. Bleibt das Besondere, das die Frau als Opfer des Vollzugs in manche dieser Dramen — so in die »Catharina von Georgien« des Gryphius, in Hallmanns »Sophia« und in »Mariamne«, in Haugwitz' »Maria Stuarda« — einführt. Der rechten Einschätzung der Märtyrertragödie ist es ausschlaggebend. Sache des Tyrannen ist die Restauration der Ordnung im Ausnahmezustand: eine Diktatur, deren Utopie immer bleiben wird, die eherne Verfassung der Naturgesetze an Stelle schwankenden historischen Geschehns zu setzen. Zu einer entsprechenden Fixierung aber will auch die stoische Technik für einen Ausnahmezustand der Seele, die Herrschaft der Affekte, ermächtigen. Auch sie sucht eine widerhistorische Neuschöpfung — in der Frau die Behauptung der Keuschheit —, welche nicht minder als die diktatorische Verfassung des Tyrannen von dem harmlosen ersten Schöpfungsstande entfernt ist. Wie hier die bürgerliche Devotion so ist die physische Askese dort das Wahrzeichen. Daher behauptet die keusche Fürstin im Märtyrerdrama den ersten Platz.



  1. Poetischen Trichters zweyter Theil. Handlend: I. Von der Poeterey Eigenschaft/ Wol- und Mißlaut der Reimen. II. Von der Poetischen Erfindungen/ so aus dem Namen Herrühren. III. Von Poetischen Erfindungen/ so aus den Sachen und ihren Umständen herfließen. IV. von den Poetischen Gleichnissen. V. Von den Schauspielen ins gemein/ und absonderlich von den Trauerspielen. VI. von den Freuden- und Hirtenspielen. Samt einem Anhang von der Teutschen Sprache: durch ein Mitglied Der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschafft [Georg Philipp Harsdörffer]. Nürnberg 1648. S. 84.
  2. Emblematvm Ethico-Politicorvm Centvria Ivlii Gvilielmi Zincgrefii [Julius Wilhelm Zincgref], Editio secunda. Caelo Matth. Meriani. Franckfort 1624. Embl. 71.
  3. [Claude Saumaise:] Königliche Verthätigung für Carl den I. geschrieben an den durchlauchtigsten König von Großbritannien Carl den Andern. Rotterdam 1650.
  4. Cf. Stachel l.c. [S. 47]. S. 29.