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[Herodesdramen]

Den »gar bösen« gilt das Tyrannendrama und die Furcht, den »gar guten« das Märtyrerdrama und das Mitleid. Diese Formen wahren ihr kurioses Nebeneinander nur solange, als die Betrachtung den juristischen Aspekt barocken Fürstentums übergeht. Folgt sie den Hinweisen der Ideologie, erscheinen sie als strenges Komplement. Tyrann und Märtyrer sind im Barock die Janushäupter des Gekrönten. Sie sind die notwendig extremen Ausprägungen des fürstlichen Wesens. Das ist, was den Tyrannen angeht, leicht ersichtlich. Die Theorie der Souveränität, für die der Sonderfall mit der Entfaltung diktatorischer Instanzen exemplarisch wird, drängt geradezu darauf, das Bild des Souveräns im Sinne des Tyrannen zu vollenden. Das Drama vollends läßt sich angelegen sein, die Geste der Vollstreckung zum Charakteristikum des Herrschenden zu machen und ihn mit Worten und Gehaben des Tyrannen selbst dort einzuführen, wo die Verhältnisse darauf nicht drängen; genau wie der volle Ornat, Krone und Szepter nur ausnahmsweise der Bühnenerscheinung des Herrschenden wird gefehlt haben.1 Diese Norm des Herrschertums wird — und das ist der barocke Zug im Bilde — sogar durch die erschreckendste Entartung der fürstlichen Person nicht eigentlich entstellt. Die Prunkreden mit ihren unaufhörlichen Varianten der Maxime »Der purpur muß es decken«2 gelten zwar als provokatorisch, aber das Gefühl neigt sich ihnen selbst da noch bewundernd zu, wo sie Brudermord wie im ›Papinian‹ des Gryphius, Blutschande wie in Lohensteins ›Agrippina‹, Untreue wie in seiner ›Sophonisbe‹, Gattenmord wie in der ›Mariamne‹ des Hallmann zu decken haben. Gerade die Gestalt des Herodes, wie sie das europäische Theater in diesen Zeiten allenthalben aufstellt,3 ist für die Konzeption des Tyrannen bezeichnend. Seine Geschichte lieh der Darstellung königlicher Vermessenheit die packendsten Züge. Es webte ein schreckliches Geheimnis nicht erst für dieses Zeitalter um den König. Ehe er als wahnwitziger Selbstherrscher ein Emblem der verstörten Schöpfung wurde, war er noch grauenvoller, als der Antichrist, dem frühen Christentume gegenwärtig. Tertullian — er ist nicht der einzige — spricht von einer Sekte der Herodianer die den Herodes als Messias verehrten. Sein Leben ist nicht Dramenstoff allein gewesen. Gryphius' lateinisches Jugendwerk, die Herodesepen, zeigt aufs deutlichste, was das Interesse jener Menschen fesselte: der Souverän des siebzehnten Jahrhunderts, der Gipfel der Kreatur, ausbrechend in der Raserei wie ein Vulkan und mit allem umliegenden Hofstaat sich selber vernichtend. Die Malerei gefiel sich in dem Bild, wie er, zwei Säuglinge in Händen haltend um sie zu zerschmettern, vom Wahnsinn befallen wird. Deutlich bekundet sich der Geist der Fürstendramen darin, daß in dieses typische Ende des Judenkönigs die Züge der Märtyrertragödie verwoben sind. Denn wird im Herrscher da, wo er die Macht am rauschendsten entfaltet, die Offenbarung der Geschichte und zugleich die ihren Wechselfällen Einhalt tuende Instanz erkannt, so spricht für den im Machtrausch sich verlierenden Cäsaren dieses Eine: er fällt als Opfer eines Mißverhältnisses der unbeschränkten hierarchischen Würde, mit welcher Gott ihn investiert, zum Stande seines armen Menschenwesens.



  1. Cf. Willi Flemming: Andreas Gryphius und die Bühne. Halle a. d. S. 1921. S. 386.
  2. Gryphius l.c. (S. 53). S. 212 (Catharina von Georgien III, 438).
  3. Cf. Marcus Landau: Die Dramen von Herodes und Mariamne. In: Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte NF 8 (1895), S. 175-212 u. S. 279-317 u. NF 9 (1896), S. 185-223.