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[Haupt- und Staatsaktion, Puppenspiel]

Die ästhetischen Aporien des historischen Dramas mußten in seiner radikalsten und eben daher kunstlosesten Ausgestaltung, der Haupt- und Staatsaktion, am deutlichsten zutage treten. Sie ist das südliche und populäre Gegenstück des nordischen gelehrten Trauerspiels. Bezeichnenderweise stammt das einzige Zeugnis, wenn nicht von dieser so doch irgendwelcher Einsicht überhaupt, aus der Romantik. Es ist der Literator Franz Horn, der mit überraschendem Verständnis die Haupt- und Staatsaktionen kennzeichnet, ohne freilich im Laufe seiner Geschichte der »Poesie und Beredsamkeit der Deutschen« bei ihnen zu verweilen. Da heißt es: »Zu Velthems Zeit waren besonders beliebt: die sogenannten Haupt-und Staatsactionen, über welche fast sämmtliche Literaturhistoriker mit stattlichem Hohn gelacht haben, ohne jedoch eine Erklärung hinzu zu fügen. — Jene Actionen sind wahrhaft deutschen Ursprungs und ganz für den deutschen Charakter geeignet. Die Liebe für das sogenannte Reintragische war selten, aber der angeborene Trieb zum Romantischen wollte reiche Nahrung, so wie nicht minder die Lust an der Posse, welcher gerade bei den nachdenklichsten Gemüthern am regsten zu sein pflegt. Indessen giebt es noch eine dem Deutschen ganz eigenthümliche Hinneigung, welche sich bei allen diesen Gattungen nicht völlig befriedigt fand, es ist die zum Ernst im Allgemeinen, zur Feierlichkeit, bald zur Breite, bald zur sentenziösen Kürze und — Geschweiftheit. Dafür erfand man jene sogenannten Haupt- und Staatsactionen, zu denen die historischen Theile des alten Testaments(?), Griechenland und Rom, die Türkei u.s.w. fast nie aber Deutschland selbst den Stoff bot ... Hier erscheinen die Könige und Fürsten mit ihren goldpapierenen Kronen auf dem Haupte sehr trübe und traurig, und versichern das mitleidige Publikum, es sei nichts schwerer als regieren, und ein Holzhauer schlafe viel besser; die Feldherren und Officiere halten vortreffliche Reden, und erzählen von ihren großen Thaten, die Prinzessinnen sind, wie billig, höchst tugendhaft, und, wie nicht minder billig, erhaben verliebt gewöhnlich in einen der Generale ... Desto weniger beliebt sind bei diesen Poeten die Minister, welche gewöhnlich schlimm gesinnt und mit schwarzem oder wenigstens grauem Charakter behaftet erscheinen ... Der clown und fool ist den Personen des Stücks oft sehr lästig; aber sie können die verkörperte Idee der Parodie, die, als solche, ja unsterblich ist, schlechthin nicht los werden.«1 Diese anmutende Beschreibung gemahnt an das Puppenspiel nicht umsonst. Stranitzky, der hervorragende wiener Verfasser dieser Aktionen, war Besitzer eines Marionettentheaters. Mögen seine überlieferten Texte nun auch nicht dort gespielt worden sein, so ist es anders nicht denkbar, als daß ein jegliches Repertoire dieser Puppenbühne mannigfach sich mit den Aktionen berührte, deren parodistische Nachzügler wohl auch auf ihr noch Platz gefunden haben könnten. Die Miniatüre, in welche Haupt- und Staatsaktionen derart umzuschlagen neigen, zeigt sie dem Trauerspiel besonders nahe. Mag es nun spanisch die subtile Reflexion oder deutsch die gespreizte Geste erwählen, die spielerische Exzentrizität, die ihren angestammten Helden unter Marionetten hat, verbleibt ihm. »Ob nicht die Leichen Papinians und seines Sohnes ... durch Puppen dargestellt wurden? Jedenfalls konnte es sich nur um solche handeln bei dem herangeschleiften Leichnam Leos, sowie bei der Darstellung von Cromwells, Irretons und Bradschaws Leichen an dem Galgen ... Auch die grause Reliquie, das verbrannte Haupt der standhaften Fürstin von Georgien, gehört in diesen Zusammenhang ... Im Prolog der Ewigkeit zur ›Catharina‹ liegen eine ganze Anzahl von Requisiten verstreut am Boden umher, ähnlich vielleicht wie es der Titelkupfer der Ausgabe von 1657 zeigt. Neben Zepter und Krummstab liegt ›Schmuck, Bild, Metal und ein gelehrt Papier‹. Die Ewigkeit tritt ihren Worten nach ... auf Vater und Sohn. Das können, wie der ebenfalls genannte Prinz, falls wirklich dargestellt, nur Puppen gewesen sein.«2 Die Staatsphilosophie, der solche Perspektiven als Sakrileg erscheinen mußten, gestattet die Gegenprobe. Bei Salmasius liest man: »Ce sont eux qui traittent les testes des Roys comme des ballons, qui se ioüent des Couronnes comme les enfans font d'vn cercle, qui considerent les Sceptres des Princes comme des marottes, et qui n'ont pas plus de veneration pour les liurées de la souueraine Magistrature, que pour des quintaines.«3 Die leibliche Erscheinung der Akteure selbst, zumal des Königs, welcher im Ornat sich zeigt, konnte puppenhaft starr wirken. »Die Fürsten/ denen ist ihr Purper angebohrn/ | Sind ohne Zepter kranck.«4 Dieser Lohensteinsche Vers rechtfertigt den Vergleich barocker Bühnen-Herrscher mit den Kartenkönigen. Im gleichen Drama spricht Micipsa von dem Sturz des Masinissa, »der schwer von Kronen war«5. Und endlich Haugwitz: »Reicht uns den rothen Sammt/ und dies geblümte Kleid | Und schwartzen Atlaß/ daß man/ was den Sinn erfreut/ | Und was den Leib betrübt/ kan auff den Kleidern lesen/ | Und sehet wer wir sind in diesem Spiel gewesen/ | Indem der blasse Tod den letzten Auffzug macht.«6



  1. Franz Horn: Die Poesie und Beredsamkeit der Deutschen, von Luthers Zeit bis zur Gegenwart. Bd 2. Berlin 1823. S. 294 ff.
  2. Flemming: Andreas Gryphius und die Bühne l.c. [S. 61]. S. 221.
  3. Saumaise: Apologie royale pour Charles I. l.c. [S. 71]. S. 25.
  4. Lohenstein: Afrikanische Trauerspiele l.c. [S. 63]. S. 269 (Sophonisbel, 322 f.).
  5. L.c. S. 262 (Sophonisbe I, 89).
  6. Haugwitz l.c. [S. 52 f.]. ›Maria Stuarda‹ S. 63 (V, 75 ff.).