4. Jakob Böhme (oder Böhm, 1575-1624)


Böhme war eine einfach-demütige, schwärmerische, gemütstiefe Natur, einer von den »Stillen im Lande« Nachdem er schon 1600 den »Durchbruch seines Geistes bis ins innerste Gebiet der Gottheit« erlebt hatte, trug er dennoch seine Ideen »mit mancherlei Angst und Anfechtung« noch zwölf Jahre still mit sich herum, bis er sie 1612 in seiner Schrift Morgenröte im Aufgange zu Papier brachte. Das Vorgehen des ketzerrichterischen Görlitzer Hauptpastors zwang ihn darauf zu längerem Schweigen. Aber er hatte bereits die Aufmerksamkeit weiterer, zum Teil hochstehender Kreise erregt, die in ihn drangen, sein Pfund nicht zu vergraben. So verfaßte er, ein starker Geist in einem schwächlichen Körper, in seinen letzten fünf Lebensjahren noch eine ganze Reihe theosophischer Schriften. Der Haß der Geistlichkeit und des durch sie aufgeregten Pöbels verfolgte ihn noch über das Grab hinaus. Jetzt ist ihm in seiner Vaterstadt ein Denkmal errichtet. Seine Schriften haben, nachdem Schelling, Baader und Hegel auf ihn aufmerksam gemacht hatten, noch im 19. Jahrhundert eine Gesamtausgabe in 7 Bänden (von Schiebler 1831-47, 2. Aufl. 1861 ff.) sowie eine solche im Auszug mit Erläuterungen (von Joh. Claassen, 3 Bde., Stuttgart 1885 ff.), die drei wichtigsten auch von Grabisch (Mchn. 1909), erfahren. Hinter aller Unbeholfenheit, ja zuweilen Wunderlichkeit des Ausdruckes gewahren wir doch eine wunderbare sprachliche Gestaltungskraft, verbunden mit prophetenhafter Begeisterung und zugleich in die Tiefen des Gemüts sich versenkender Innerlichkeit.

Der Anblick der in einem blanken Zinngefäß oder auch einer sogenannten Schusterkugel sich widerspiegelnden Sonne soll den philosophischen Schuster zu dem Grundgedanken seines Systems angeregt haben. Wie sich die Sonne nur auf dunklerem Grunde widerspiegelt, so kann sich Gottes Wirken erst auf dem Grunde eines negativen Prinzips zeigen; denn kein Ding vermag ohne »Widerwärtigkeit«, d.h. seinen Gegensatz, sich selbst zu offenbaren. Gott ist alles, Himmel und Hölle, er ist auch in der äußeren Welt, denn »von ihm und in ihm urstandet alles« Dieselbe Kraft, die in den Himmelskörpern und den Elementen waltet, waltet auch in Dir. Aber woher das Böse? Auch das ist seiner Möglichkeit nach in dem göttlichen Urgrund der Dinge enthalten, aber erst der Mensch verwirklicht es, indem seine Seele, die ihrer göttlichen Natur gemäß an sich weder gut noch böse ist, sich dafür entscheidet. Denn der Mensch besitzt freien Willen. Die Finsternis will ihn haben, wie auch das Licht; in ihm steht das Zentrum und hält die Wage zwischen zwei Willen; wir können je nachdem einen Engel oder Teufel aus uns machen. Die Wiedergeburt und Erlösung durch Christus ist eine Rückkehr zu unserem ureigenen göttlichen Wesen. Bist du rein und heilig, so bist du Gott.

Die Darstellung dieser Grundgedanken trägt vielfach mystisch-symbolisches Gewand. »Umb des Lesers Unverstand willen«, entschuldigt er sich, müsse er einen zeitlosen Hergang »auf Corporliche Weise«, d.h. in zeitlicher Form, beschreiben. Gott ist der Urgrund aller Wesen, die ewige Stille, niemandem offenbar, nicht einmal sich selbst. Aber in diesem göttlichen Nichts erwacht der Hunger zum »Ichts« Der erste, uranfängliche Wille (Gott der Vater) erzeugt in ewiger Selbstgebärung einen »faßlichen« Willen (den Sohn) durch den heiligen Geist; alle drei sehen und finden sich in der von ihnen ausgegangenen göttlichen Weisheit. (B. wurde deshalb von seinen orthodoxen Gegnern der Vorwurf einer »Vier«-einigkeitslehre gemacht.) Alle Dinge bestehen in »Ja« und »Neinü; das Ja ist eitel Kraft und Leben, das Nein sein »Gegenwurf«, durch den es erst offenbar wird. Denn ohne ein Gegengöttliches könnte Gott sich gar nicht offenbaren, ohne seinen Zorn seine Liebe nicht zeigen. So gehen aus dem ursprünglichen Einen sieben Qualitäten oder, wie er mit naiver Etymologie sagt, »Quällgeister« (auch Qualen oder Gestalten genannt) hervor: 1. die Herbe (z.B. Härte, Hitze), 2. die Süße, Bewegliche (Wasser), 3. die Bittere (Angst, Empfindlichkeit); diese drei bilden zusammen das »Reich des Grimmes« Aus ihm führt die 4. Qualität: das Feuer (das Zorn- und Liebesbrennen zugleich symbolisiert) hinüber zu dem »Freudenreich« mit seinen drei Gestalten: 5. Licht (Liebesfeuer, auch Belebung), 6. Schall und Ton (Verständigung, Erkenntnis), 7. Leiblichkeit (Gestaltung überhaupt, Natur). Wie er im Anschluß an diese seine aus der eigenen Brust und der »gantzen Natur« geschöpften seltsam-tiefsinnigen Ideen die Bibel ausdeutet, in der übrigens verschiedenes »gantz wider die Philosophie und Vernunfft laufet«, kann hier nicht ausgeführt werden. Der historische Glaube ist auch ihm nur ein Fünklein, das zur Flamme angefacht werden muß. Himmel und Hölle sind in uns; die Seele bedarf daher keines Ausfahrens nach dem Tode. Und »wer Liebe in seinem Hertzen hat und führt ein barmhertziges und sanfftmütiges Leben und streitet wider die Boßheit -, der lebet mit Gott und ist ein Geist mit Gott: denn Gott bedarf keines anderen Dienstes«.

In der scheinbaren und wirklichen Phantastik der ungelehrten Görlitzer Handwerkerseele steckt das reinste religiöse Gemüt, die zarteste Gedankenmystik, verbunden mit kräftigerer Erfassung der Natur, und zugleich auch wichtige philosophische Gedanken, wie der des Gegensatzes und der Entwicklung (in der Form »Auswicklung« hier zuerst, vgl. Eucken, Terminologie, S. 127 f.), die zwei Jahrhunderte später in den Systemen Schellings und Baaders ihre Wiedererstehung erlebt haben.


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