1. Die Renaissance


Das spätere Mittelalter stand philosophisch, wie wir sahen, durchaus im Zeichen des Aristotelismus. Plato war nur in wenigen seiner Schriften bekannt und konnte auch in seiner ganzen Tiefe und Schönheit von den Männern der Scholastik nicht erfaßt werden.

Dazu war eine neue Zeit notwendig, die mit der kirchlichen Autorität wie mit allen anderen Autoritäten kühn zu brechen und den Menschen, zum erstenmal seit dem Altertum, wieder auf sich selbst zu stellen wagte. Diese neue Zeit, die bisher nur in einzelnen Kreisen und Persönlichkeiten (Abälard, Hof des Staufers Friedrich II.) sich im voraus angekündigt hatte, brach jetzt, im 14. und namentlich im 15. Jahrhundert, mit Macht herein. Wenn sie an die echte Antike anknüpfte, so konnte das nicht in dem verwüsteten, geistig erstarrten, unter der Osmanenherrschaft seufzenden Griechenland geschehen, sondern nur in demjenigen Lande, in dem der Zusammenhang mit dem Altertum naturgemäß noch am stärksten vorhanden war: in Italien. Hier traf der wieder erwachende Geist der Antike auf mannigfache verwandte Elemente, nicht zum wenigsten eine noch halb antike Sitte und Sprache, sowie die alten Erinnerungen und Denkmäler. Hierhin flüchteten sich zahlreiche griechische Gelehrte aus Konstantinopel vor der drohenden Herrschaft der Türken. Hier war durch die Entwicklung des Handels und der politischen Verhältnisse, durch die Zerstückelung in zahlreiche, sich fortwährend befehdende Staaten die politisch-soziale Ordnung des Mittelalters am frühesten aufgelöst worden, hier ein freies Städteleben, daneben eine Reihe kleiner Fürstentümer entstanden, in denen kraftvolle Individuen sich zu Alleinherrschern emporschwangen. Der Italiener reift am frühesten von den Völkern Europas zur selbständigen Persönlichkeit heran und zwar auf allen Gebieten: dem des Staatsmannes, des Redners, des Dichters, des Künstlers. Dazu kam die gewaltige Erweiterung des Gesichtskreises und des Verkehrs durch die geographischen Entdeckungen, die Vervielfältigungsmöglichkeit des geschriebenen Wortes durch die Buchdruckerkunst.

Drei Dichter: Dante (1265-1321), der trotz seines mittelalterlichen Stoffes in Empfindung und Behandlung schon den modernen Menschen verrät, Petrarka (1304 bis 1374), der sein Herz entdeckt, Boccaccio (1313-1378), der wieder den Homer lesen kann und die Geschichte von den drei Ringen erzählt, beginnen den Reigen. Die Universitäten und Schulen mit ihren Rhetorikern, Philologen und Philosophen folgen nach. Allmählich ergreift die Bewegung alle gebildeten Stände; Kaufleute, Fürsten, Päpste, wie sie das glorreiche Haus der Medici in sich vereinigt, zählen zu ihren namhaftesten Förderern. Die positive Religion tritt in den Hintergrund, die sichtbare Umgebung, die als beseelt gedachte Natur, die menschlichen Leiden und Freuden treten in den Vordergrund der Betrachtung. Sie werden gleichsam neu entdeckt, vor allem der Mensch selbst wird Gegenstand der Biographie, der Geschichtsschreibung, der Poesie und der bildenden Kunst. Es ist das Zeitalter des Humanismus, der Weltlichkeit, der Lebensfreude. Scharf ausgeprägte Naturen treten in Fülle hervor. Das persönliche Leben genialer Individualitäten erregt selbst in verworfenen Charakteren wie Cesare Borgia, Bewunderung; in einer Reihe von edlen Persönlichkeiten (Vittoria Colonna, Leonardo, Michel Angelo) schwingt es sich zu seltener Vollendung auf. Auch die Selbständigkeit der Frau wird zum ersten Male anerkannt. Daneben erhebt sich die schöne Form wieder auf allen Gebieten zum leitenden Werte. Statt des Gegensatzes von Ungläubigen und Gläubigen kommt der neue zwischen Ungebildeten und Gebildeten empor; innerhalb der letzteren erfolgt bis zu einem gewissen Grade eine Ausgleichung der Stände und Geschlechter.


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