2. Platoniker und Aristoteliker
a) In der Philosophie sammeln sich die neuen Tendenzen unter dem Namen Platos als Feldzeichen gegenüber dem nüchternen Geiste der aristotelischen Scholastik. An den Hof des Cosmo von Medici kam 1438 aus Konstantinopel der enthusiastisch für Plato begeisterte Georgios Gemistos Plethon (um 1355-1450, vgl. über ihn die Monographie von Fritz Schultze, Jena 1874) und gewann ihn für die Stiftung einer platonischen Akademie, d.h. einer freien Vereinigung begeisterter Plato-Verehrer zu Florenz, die ihre Blüte unter Cosmos Nachfolgern Lorenzo und Juliano erreichte und das Studium Platos nicht bloß über ganz Italien, sondern über das gesamte gebildete Europa verbreitete. Zu Plethons einflußreichsten Schülern gehörten der gemäßigtere Kardinal Bessarion (1403-72) und Marsilius Ficinus (1433-99), der erste Leiter jener »Akademie« und geschmackvolle Übersetzer der platonischen und plotinischen Schriften ins Lateinische. Freilich haftet, wie schon nach der letzterwähnten Tatsache sich vermuten läßt, diesen Platonikern ein starker Zug zum Neuplatonismus an, der noch schärfer bei dem Grafen Pico von Mirandola (1463-1494), dem deutschen Humanisten Reuchlin (1455-1522) und dem abenteuerlichen Agrippa von Nettesheim (1486-1535) hervortritt, ja sich bei ihnen zum Teil sogar mit kabbalistischen Elementen verschmilzt.
b) Selbst die Aristoteliker, deren Hauptsitz in Italien die Universität Padua blieb, konnten sich, wenn sie auch mit den Platonikern in scharfer Fehde lagen, dennoch der neuen Strömung nicht entziehen. Auch sie sehen jetzt auf die scholastischen Kommentierer ihres Meisters verächtlich als auf Barbaren herab und stützen sich auf seine griechischen Ausleger. Statt der von den Scholastikern fast ausschließlich gepflegten Metaphysik und Physik des Stagiriten, werfen sie sich auf seine Erkenntnislehre und namentlich seine Psychologie. Sie spalten sich in zwei einander scharf bekämpfende Richtungen: Averroisten und Alexandristen. Während die ersteren sich der pantheistischen Auslegung des Aristoteles durch Averroes geneigt zeigten, gingen die letzteren auf die mehr naturalistische Auslegung des Alexander von Aphrodisias (§ 34) zurück. Umstritten war namentlich die Unsterblichkeitsfrage. Beide Richtungen leugneten die persönliche Unsterblichkeit, doch nahmen die Averroisten an, dass der vernünftige Teil der Seele nach dem Tode zur allgemeinen Weltseele zurückkehre und mit dieser unsterblich sei.
Die alexandristische Richtung vertrat am erfolgreichsten Pomponatius (Pietro Pomponazzi, 1462-1524), berühmt als Redner und Lehrer der Philosophie zu Padua und Bologna, in einer auf Betreiben der Inquisition verbrannten kleinen Schrift De immortalitate animi. Er behauptete, die Leugnung der individuellen Unsterblichkeit bringe keineswegs die Sittlichkeit in Gefahr, befördere im Gegenteil das Tun des Guten um des Guten willen, ohne Rücksicht auf zukünftigen Lohn oder Strafe. Von der wissenschaftlichen und künstlerischen Entwicklung ihrer Persönlichkeit seien viele, von der sittlichen niemand ausgeschlossen. Neben diesen Sätzen steht allerdings die bedenkliche Lehre von der zwiefachen Wahrheit: Was für den Theologen wahr sei, brauche es darum nicht für den Philosophen zu sein; die von Kirche und Staat gebotene Unsterblichkeitslehre sei für die Masse gut, die des Zaumes bedürfe. In zwei weiteren Schriften behandelte Pomponatius die Lehre vom Wunder und das Problem der Willensfreiheit. Neben kräftiger Betonung der natürlichen Ursachen - die Wirkung der Religion auf die Gläubigen z.B. würde in gleicher Weise erfolgen, auch wenn die heiligen Gebeine aus Hundeknochen beständen - steht auch hier die Schlußreverenz vor der Kirche: wie sie sich ähnlich bei Lorenzo Valla und Erasmus und später noch bei Baco, Gassendi, Descartes und Hobbes findet. Wie weit solche Zweideutigkeit bei allen diesen Philosophen bloße, durch die Zeitverhältnisse (drohende Verketzerung) bedingte Form war, wird sich heute schwerlich mehr entscheiden lassen. Übrigens konnte Pomponatius, als sein averroistischer Gegner Niphus im Auftrage Papst Leos X. eine Widerlegungsschrift gegen ihn verfaßt hatte, in seinem Defensorium die Sterblichkeit der Seele - unter dem Schutze des Kardinals Bembo und des Papstes selbst verteidigen!
c) Auch gegen die scholastische Form und Ausdrucksweise machte sich eine starke, mit den Waffen des Ernstes wie des Spottes kämpfende, namentlich von Lorenzo Valla (1408-1457) geführte Bewegung geltend. Statt der künstlichen Wortbildungen und der spitzfindigen Abstraktionen verlangte man eine geschmackvolle, allen Gebildeten verständliche Sprache, statt der Begriffe »die Sachen«, statt des Klebens am Überlieferten dessen freie Kritik. Mitunter freilich wurde die schöne Form und die rhetorische Kunst übertrieben, wenn man Cicero und Quintilian über Aristoteles' Syllogistik setzte. Aber als Reaktion gegen den einseitigen Aristotelismus des Mittelalters bedeutete auch diese Richtung einen Fortschritt.
Noch andere Philosophen des Altertums wurden in dieser begeisterungs- und kampffrohen Zeit aus jahrhundertelanger Vergessenheit gezogen. So wagte Valla in seinem Dialog De voluptate zuerst der damals noch als sittenlos und gefährlich verschrieenen Ethik Epikurs sich anzunähern. Andere, wie die Deutschen Justus Lipsius und Kaspar Schoppe (Scioppius), suchten den ihnen durch Cicero und Seneca vermittelten Stoizismus zu erneuern.