2. In Italien
c) Giordano Bruno


Telesio verstand sich schließlich zu der ihm abverlangten Unterwerfung unter die römische Kirche. Anders sein berühmter Landsmann 

c) Giordano Bruno (1548-1600),

dessen Persönlichkeit und Lehre infolge seines Märtyrerschicksals die Aufmerksamkeit von jeher auf sich gezogen und namentlich seit 1889 (Errichtung seines Denkmals in Rom) und 1900 (300 jährige Gedenkfeier seines Todes) in und außerhalb Italiens häufig behandelt worden ist. Die italienischen Schriften Brunos sind von Paul de Lagarde (2 Bände, Göttingen 1888/89), die lateinischen in 4 Bänden zu Neapel und Florenz (1870-1891) herausgegeben worden. Die wichtigste, der Dialog Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen, ist unter diesem Titel von Ad. Lasson verdeutscht worden und, mit Einleitung und Erläuterungen, in der Philos. Bibliothek (3. Auflage 1902) sowie bei Reclam erschienen; verschiedene übersetzt von L. Kuhlenbeck, bei Diederichs (Jena, 6 Bände). Außer den zahlreichen, bei Ueberweg zitierten Einzelschriften über Bruno vgl. den geistvollen vierten Vortrag in H. St. Chamberlains Imman. Kant, München 1905 und Cassirer, a. a. O. Buch II, Kap. 3. In Berlin bildete sich sogar ein besonderer Giordano Bruno-Bund, der Flugschriften über Bruno veröffentlichte.

Giordano (eigentlich Filippo) Bruno, 1548 zu Nola geboren, trat mit 15 Jahren in den Dominikanerorden, verließ ihn aber, als er wegen seiner freien Anschauungen beargwöhnt wurde, und führte seit 1576 ein unstetes Wanderleben von Ort zu Ort, überall mit dem ganzen Feuer seiner leidenschaftlichen Natur für seine Ideen eintretend. Anfangs in Norditalien, dann in Genf, wo er mit der kalvinischen Orthodoxie gleichfalls in Zwiespalt geriet, darauf in Toulouse, zwei Jahre in England (wo er mehrere seiner philosophischen Dialoge verfaßte), später in Paris und mehreren deutschen Universitätsstädten wie Marburg, Wittenberg, Helmstedt, Prag - er preist die deutsche Wissenschaft eines Cusanus, Paracelsus, Kopernikus und Luthers Kampf wider den Papst - : überall, wo es ihm nicht verwehrt wurde, dozierend und schriftstellernd. Von Frankfurt a. M. kam er über Zürich in sein Vaterland zurück, fiel aber hier 1592 in Venedig durch Verrat in die Hände der Inquisition, bekannte sich, nach anfänglicher Bereitschaft zum Widerrufe, standhaft zu seiner Überzeugung, die er als die wahrhaft christliche bezeichnete, wurde darauf nach Rom ausgeliefert, wo er noch sieben Jahre im Kerker schmachtete, und am 17. Februar 1600 auf dem Campo di Fiore öffentlich verbrannt. Als ihm das Todesurteil verkündet wurde, hatte er seinen Richtern zugerufen: »Ihr möget mit größerer Furcht euer Urteil fällen, als ich es empfange.« Auf demselben Platze, wo er für seine Überzeugung - gerade zwei Jahrtausende nach Sokrates - den Tod erlitt, ist am 9. Juni 1889 unter Anwesenheit zahlreicher Abordnungen, auch aus dem Auslande, feierlich sein Standbild enthüllt worden.

Brunos Märtyrergeschick darf nicht gegen die Mängel seines Charakters und seiner Philosophie verblenden. Eine starke Sinnlichkeit - wie er denn in seinen Jugendjahren ein dem Zeitgeschmack angepaßtes, nicht gerade züchtiges Lustspiel verfaßte -, eine Leidenschaftlichkeit, die auch sein Denken nicht zu völlig klarer, methodischer Ausgestaltung kommen ließ und die von Eitelkeit nicht frei ist, sind Züge, die freilich bei dem Süditaliener nicht verwundern dürfen. Ihnen steht gegenüber ein unwiderstehlicher Trieb zur Wahrheit und Erkenntnis, verbunden mit einer wahrhaft poetischen Kraft in der Auffassung des Universums. In den mehr als 70 Sonetten seiner Eroici furori besingt er die begeisterte Liebe zum Göttlichen, die Sehnsucht nach dem Ideal des Schönen. Auch seine teils italienisch, teils lateinisch geschriebenen Prosaschriften sind, wohl unter platonischem Einfluß, meist in Dialogform abgefaßt und stark rhetorisch gehalten.

Unsere Darstellung übergeht die erste der drei nach den Untersuchungen des italienischen Brunoforschers Tocco (1889) in Brunos Entwicklung zu unterscheidenden Stufen, in der er den Neuplatonikern noch nahe steht oder im Anschluß an Lullus Mnemotechnik treibt, und wendet sich sogleich der ihm eigentümlichen, besonders während seines Aufenthaltes in London von ihm ausgebildeten Lehre zu.

α) Unendlichkeit der Welten. Pantheismus. Bruno ist von der neuen Lehre des Kopernikus ergriffen, die er mit begeisterter Dichterphantasie zu einem großartigen Weltbild erweitert. Das Universum ist unendlich - so unendlich wie unsere Einbildungskraft selbst -, unser Sonnensystem nur eins unter unzähligen anderen, sich bildenden und wieder vergehenden, unsere Erde gleich einem Atom. Ein ewiges Gesetz, eine einzige göttliche Kraft, wie es dem Wesen Gottes als des Unendlichen entspricht, durchwaltet das Weltall und hat alles harmonisch geordnet. Nur der Theologe sucht die Gottheit außer und über, der wahre Philosoph findet sie in der Natur. Die Weltseele wohnt vielmehr als die alles bewirkende Ursache, als das zweckvoll handelnde innere Prinzip aller Bewegung dem Stoffe, den sie formt, allerorten, wenngleich nicht körperlich, inne. Alle Dinge, z.B. auch der Wassertropfen, sind beseelt, weil geformt, alles erfüllt von Sympathie und Antipathie. Aber die Form steht nicht im Gegensatz zum Stoffe. Auch dieser ist ein »göttliches Wesen«, das sich aus sich selbst heraus zu immer höheren Formen entfaltet, ja im Grunde eins mit der Mutter Natur. Beide treffen zusammen in dem einen Absoluten, das allen Dingen zugrunde liegt. Gott ist die »höchste Ursache, das Prinzip und das Eine« Freilich wird kein Menschenverstand je diese absolute Einheit völlig zu erfassen vermögen; in dieser Hinsicht teilt Bruno den Standpunkt des Kusaners von der docta ignorantia.

β) Monadenlehre. In der spätesten Gruppe seiner Schriften beschäftigt unseren Naturphilosophen weniger der Zusammenhang, als vielmehr die Zerlegung des Alls in seine kleinsten Teile, das Problem des Individuums und des Atoms oder, wie er sagt, des Minimums oder der Monade. Um die Vielheit zu begreifen, müssen wir auf die Einheit zurückgehen, die sich nicht nur im Größten und Umfassendsten, sondern auch im Kleinsten und Einfachsten - räumlich im Punkt, physisch im Atom - wiederfindet. Aber das Atom ist für ihn, darin liegt sein erkenntniskritisches Verdienst, nicht bloß das Letzte der Teilung und nicht bloß Grenze, sondern auch Anfangspunkt der Zusammensetzung und so Ausgangspunkt der Betrachtung, Grundbedingung der Existenz, mithin erkenntnistheoretisches Denkmittel. Freilich vermag Bruno diesen Standpunkt noch nicht bewußt und folgerichtig durchzuführen, wie ihm denn überhaupt das echte wissenschaftliche Mittelglied zwischen Sinnlichkeit und reinem Denken, die Mathematik, in ihrer wahren Bedeutung entgangen ist, an deren Stelle er vielmehr die Einbildungskraft (imaginatio) setzt. Und so fällt er alsbald wieder in die Metaphysik seiner Zeitgenossen zurück. Seine Minima werden, zu mechanisch- physikalischen, wenn auch bis zu einem gewissen Grade beseelten, Stoffteilchen. Es gibt unzählige Monaden (Minima) verschiedener Grade. So ist z.B. die Erde ein Minimum im Verhältnis zur Sonne, das Sonnensystem ein solches im Verhältnis zum Weltall, und Gott heißt »die Monade der Monaden«

γ) Aus der physikalischen Weltauffassung des Nolaners ergibt sich von selbst seine ethisch-religiöse Grundstimmung. Sie ist mit einem Worte - pantheistisch. Wer das innerste Wesen der Welt mit begeistertem Blicke zu erfassen vermag, für den verschwinden nach Bruno alle scheinbaren Mängel und alle einzelnen Schattenseiten in der Schönheit und Vollkommenheit des großen Ganzen, dessen Spiegel er auch in dem Kleinsten erblickt. Jede Monade ist eine endliche Darstellungsform des einen göttlichen, unendlichen Seins, dem sie wieder zustrebt. Dieses Zustreben ist die wahre Religion. Freilich, was das Wissen des Menschen vermehrt, vermehrt auch seinen Schmerz, indem er sein bisheriges Ziel als zu niedrig gesteckt erkennt; und wenn er den tatsächlichen Widersprüchen des Lebens gegenübersteht, wird er oft genug der »heroischen Affekte« bedürfen, um sich über sie zu erheben. Aber er genießt doch die Seligkeit des Bewußtseins, stets seiner Bestimmung, der Selbstvervollkommnung, nachzuleben und sich dem Urquell des Wahren, Guten und Schönen immer mehr zu nähern, sodass auch der Tod keine Schrecken für ihn hat. So findet sich der Mensch, der sich in der Unendlichkeit des Alls völlig zu verlieren schien, in der Unendlichkeit seines inneren Lebens und seiner Bestimmung wieder. Nicht im Anschauen der Gestirne und der Himmelskugel, sondern durch die Umkehr in die Tiefe des eigenen Ich wird der Aufstieg zur Welt der Idee vermittelt. Für den rastlos zur Form, zum idealen Urbild strebenden Stoff aber bildet den Mittler das Schöne und die Kunst. Die wahre Philosophie ist zugleich auch Musik, Poesie und Malerei. Wie schon in Michelangelos Sonetten, so wirkt auch in dieser ästhetischen Stimmung Brunos der Grundgedanke des platonischen Symposion und Phädrus nach.

Nach alledem ist Bruno, wenngleich kein »Humanist« im gewöhnlichen Sinne - er liebt es, über die Pedanterie der Philologen und Wortkrämer zu spotten -, so doch ein echter Philosoph der Renaissance, an deren Ende er steht. Von den Alten erwähnt er denn auch den Aristoteles nur mit Kälte, mit Anerkennung; dagegen Plato und Pythagoras, in seiner Atomenlehre auch Epikur und Lukrez; von seinen Vorgängern verdankt er am meisten dem Kusaner. Aber während dieser, trotz mancher neuen Ideen, in anderen mit dem Mittelalter noch eng verwachsen und auch äußerlich der gefeierte Kardinal der römischen Kirche blieb, so bricht Bruno - zum erstenmal von allen christlichen Philosophen - offen mit der Kirche und trägt das trotz aller ihm noch anhaftenden Unfertigkeiten und Widersprüche berechtigte Bewußtsein in sich, einer neuen Zeit anzugehören. Wohl hat er im ganzen mehr phantasiereiche und zum Teil noch von anderen entlehnte Anregungen gegeben als eine wirkliche Förderung der wissenschaftlichen Naturerkenntnis gebracht. Er kämpft zwar für das Erfassen der Wirklichkeit, wie auch für das Recht des reinen Denkens, aber er hat diese beiden Vorbedingungen der modernen Wissenschaft weder in ihrer wechselseitigen Bestimmung durcheinander erfaßt, noch im einzelnen folgerichtig festgehalten. Seine dichtende Metaphysik begnügt sich nur zu oft mit dem Bilde statt der Sache, ganz abgesehen von unhaltbaren und phantastischen Einzelvorstellungen, z.B. der einer mathematischen Magie, die freilich bei dem damaligen Stande des Naturwissens nicht verwundern dürfen. Die neue Naturwissenschaft (Kap. II) mußte einen anderen Weg einschlagen und das Walten des Weltgeistes, das Bruno in allem sah, in den Mechanismus meßbarer Einzelvorgänge auflösen. Allein auch so ist er nicht ohne Bedeutung geblieben; er hat zwar nicht Wissenschaft, wohl aber eine Weltanschauung gegeben, welche die Geister großer nachlebender Denker (Spinoza, Leibniz, Goethe, Schelling) befruchtet hat.


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