Harmonie - (Malerei)


Harmonie. (Malerei) Es ist eine alte Beobachtung, dass die Farben in mehr als einer Absicht, den Tönen ähnlich sind. Man hat hohe und tiefe Farben, wie hohe und tiefe Töne und so wie mehrere Töne sich in einen Klang vereinigen können, in welchem keiner besonders hervorsticht, so hat dieses auch bei den Farben statt. Also ist in den Farben die Harmonie, das Konsonieren und Dissonieren von eben der Beschaffenheit, wie in den Tönen: die Töne konsonieren nicht, wenn man jeden besonders hört und unterscheidet, ob sie gleich zusammen angeschlagen werden; und die Farben konsonieren nicht, wenn jede das Auge besonders auf sich zieht.

Hieraus lässt sich leicht abnehmen, was man durch die Harmonie der Farben in einem Gemälde verstehe. Sie macht, dass eine ganze Masse, sie sei hell oder dunkel, ob sie gleich aus unzähligen Farben und Tinten zusammengesetzt ist, in Absicht auf die Farben als eine einzige unzertrennliche Masse ins Auge fällt, so dass keine einzelne Stelle darin besonders und für sich hervorsticht. Wenn wir eine Person ganz rot oder ganz grün gekleidet sehen, so fällt uns nicht ein zu sagen, dass sie ein vielfarbiges Kleid anhabe, wenn sie gleich in einem Lichte steht, wovon einige Stellen ein helles und schönes Grün, andere ein dunkleres haben und noch andere so völlig im Schatten sind, dass man die Farbe gar nicht mehr unterscheiden kann. Wir urteilen dieser großen Verschiedenheit der Farben ungeachtet, dass die Person durchaus mit einem einfärbigen, grünen Gewand bedeckt sei. Dieses ist die höchste Harmonie der Farben. Sie kann nur in den Gemälden erreicht werden, die aus einer Farbe gemalt sind, grau in grau oder rot in rot, welche Art zu malen die Welschen Chiaroscuro nennen. Wo man schon Gegenstände von vielerlei eigentümlichen oder Lokalfarben mahlt, da hat zwar diese vollkommene Harmonie nicht statt: nichts desto weniger sieht man oft, dass solche Massen, der Mannigfaltigkeit der Lokalfarben ungeachtet, dem Auge nur als eine Masse von Farben in die Augen fallen; weil keine dieser Farben für sich das Auge besonders rührt, ob man sie gleich, wenn man sie besonders betrachten will, genau von den übrigen unterscheidet.

Die mehr oder weniger vollkommene Vereinigung aller Farben des Gemäldes, in eine einzige Masse, macht das Maß der Harmonie der Farben aus. Die höchste Harmonie ist nur in dem Einfärbigen, das von einem einzigen Licht erleuchtet wird: und je näher die Empfindung des Vielfarbigen jenem Einfärbigen kommt, je vollkommener ist die Harmonie.

Man muss aber von der Harmonie der Farben eben das bemerken, was in der Harmonie der Töne statt hat. Obgleich nur der Unisonus die vollkommene Harmonie hat [s. Einklang], so ist er deswegen nicht die angenehmste Konsonanz, sondern nur die volleste. Die Übereinstimmung des Mannigfaltigen [Concordia discors] ist allemal angenehmer als die noch vollkommnere Übereinstimmung des Gleichartigen. Wenn also bei der Mannigfaltigkeit der Farben doch nur ein einziger Hauptbegriff von Farben erweckt wird, so ist die Harmonie noch reizender. Darin besteht eigentlich die Schönheit des Gemäldes, insofern es nur durch die Farben rührt und noch keine bedeutenden Formen zeigt.

Die Harmonie der Farben hängt von zwei Ursachen ab; von den Farben selbst und von Licht und Schatten. An der guten Wahl der eigentümlichen Farben, deren jede sich für die Stelle schicke und daselbst den Grad der Wirkung oder der Rührung des Auges habe, der ihr zukommt, ist das meiste gelegen. In jedem Gemälde ist etwas das Wesentliche; dahin muss das Auge gezogen werden. Also müssen die wesentlichen Teile durch ihre Farbe in dem Maß hervorstechen, dass das Auge zuerst darauf geleitet werde. Aber es muss dabei nicht stehen bleiben; darum müssen die anderen Teile in der Farbe nicht schnell abfallen, dass das Auge gleichsam einen Sprung darauf zu tun hätte; sonder allmählich durch sanfte Abänderungen in der Empfindung, wo das Mittel zum Übergang von der einen zur anderen noch empfindbar ist. Man kann in einer Masse sehr widerstreitende Farben anbringen; aber sie müssen nicht neben einander stehen, sondern nach dem Grad des Dissonierens derselben müssen mehr oder weniger Mittelfarben als Verbindungen dazwischen gesetzt sein. Es würde unerträglich sein, wenn man uns in der Musik von der lebhaftesten Freude plötzlich in finstere Traurigkeit führen wollte: wenn diese Abwechslung gefällig sein soll, so muss die Freude allmählich in die vermischte Empfindung eines zärtlichen Vergnügens herübergelenkt werden, von welcher man wieder allmählich in sanfte und endlich in strengere Traurigkeit geleitet werden kann, ohne irgendwo eine schnelle Verändrung zu empfinden. Auf eine ähnliche Weise muss der Maler Lokalfarben von sehr ungleichartiger Wirkung durch alle sich dazwischen schickende Farben zu verbinden wissen, ohne die Harmonie zu verletzen.

 Hierbei kommt das meiste auf die Feinheit seiner Empfindung an. Sein Auge muss, wie das Auge eines Corregio, von sybaritischer Zärtlichkeit sein, das auch von dem geringsten Mißlaut der Farben beleidiget wird. Aus der mehr oder weniger vollkommenen Harmonie in den Werken des Malers lässt sich beinahe sein Gemütscharakter bestimmen. Wer vorzüglich das Strenge, das stark Auffallende liebt, der wird es in diesem Teile der Kunst nicht hoch bringen; aber weiche zärtliche Seelen, die von der geringsten Kleinigkeit gerührt werden, sind aufgelegt, die größte Harmonie zu erreichen.

Von Licht und Schatten hängt ein großer Teil der Harmonie ab; denn schon dadurch allein kann ein Gemälde Harmonie bekommen. Die höchste Einheit der Masse oder die höchste Harmonie findet sich nur auf der Kugel, die von einem einzigen Lichte beleuchtet wird. Das höchste Licht fällt auf einen Punkt und von da aus als dem Mittelpunkt, nimmt es allmählich durch völlig zusammenhängende Grade bis zum stärksten Schatten ab. Dieses ist das Muster, an dem sich der Maler halten muss, um die vollkommene Harmonie in Licht und Schatten zu erreichen.

Doch ist dieses nur von einzelnen Massen zu verstehen; denn wo das Gemälde aus mehreren besteht, da kann die Harmonie den höchsten Grad nicht haben, weil sich die verschiedenen Gruppen von einander absondern müssen. In diesem Falle hat der Maler größere Arbeit. Er muss in jeder Gruppe besonders, nach dem Grad der Stärke des ihr zukommenden Lichts, auf die höchste Einheit oder Harmonie der Gruppe arbeiten und noch überdem jeder Nebengruppe den Grad des Lichts geben, der sie mit der Hauptgruppe auf das richtigste verbindet. Dieses allein erfordert schon ein langes Studium. Der angehende Maler kann sich dieses dadurch erleichtern, dass er eine Zeitlang nur einfärbig oder grau in grau arbeitet. Allzu lang aber muss er sich dabei auch nicht verweilen, weil er sonst in Absicht auf die Behandlung der Farben zurück bleiben könnte.

Der Maler muss aber eben so gut wissen die Harmonie zu unterbrechen; denn dadurch erhält er die vollkommene Haltung. Was sich notwendig von dem Grund ablösen muss, kann nicht ganz mit ihm harmonieren. Ein Baum auf dem Vorgrund einer Landschaft tut eben dadurch seine Wirkung, dass er gegen die Luft und gegen den hintern Grund gehörig absticht. Also muss man nicht immer auf die höchste Harmonie arbeiten; weil sie oft das Ganze unkräftig machen würde.

Auch in der Zeichnung muss Harmonie sein. Die Vermeidung des Ekichten und Spitzigen in den Umrissen, das Schlängelnde und Wellenförmige darin, macht eigentlich die Formen sanft und harmonisch. Mengs sagt von Corregio, dass er alle Ecken vermieden und seine Umrisse schlängelnd gemacht habe und dass dieses vom Gefühl der Harmonie hergekommen sei. In den meisten antiken Formen zeigt sich dieses ebenfalls. Aber es ist nicht so zu verstehen als wenn jeder Umriss den höchsten Grad des sanften und weichen haben müsste; denn dieses würde oft dem Ganzen die Kraft benehmen. Der Grad des Harmonischen in den Umrissen muss dem Charakter der Gegenstände selbst angemessen sein. Die weibliche Gestalt erfo dert eine vollkommnere Harmonie als die männliche und einen ähnlichen Unterschied muss der Zeichner in jeder Art der Formen zu beobachten wissen.

Noch ist eine andere Harmonie der Zeichnung so notwendig, dass sie nie kann übertrieben werden, weil sie allezeit den höchsten Grad haben sollte. Dieses ist die Harmonie der Teile, insofern sie zum Charakter der Dinge gehören. Was dieses sagen wolle, kann am deutlichsten am Portrait erklärt werden. Der Charakter einer Person zeigt sich nicht bloß im Gesichte, sondern auch in der ganzen Haltung und Bewegung des Körpers; und im Gesichte zeigt er sich in allen Teilen zugleich. Der Mund lacht nicht allein, sondern auch die Augen, die Stirn und die Nase lachen; jeder Teil nach seiner Art. Die Übereinstimmung oder Harmonie der Teile zum Ausdruck ein und eben desselben Charakters ist ein höchst wichtiger Teil der Zeichnung. Der Portraitmaler würde ein seltsames Werk machen, wenn er bei einem Sitzen die Augen, bei einem anderen die Nase und bei einem dritten den Mund malen wollte, die Person aber, die er mahlt bei jedem Sitzen in einem besonderen Gemütszustand wäre; da würde die Harmonie der Zeichnung ganz wegfallen und das Werk müsste notwendig schlecht werden.

Aus einem ähnlichen Grunde muss es der Harmonie der Zeichnung schädlich sein, wenn der Künstler sein Werk nicht in einerlei Gemütsverfassung zeichnet. Wenn er einmal verdrießlich und ein andermal fröhlich ist, so wird er auch in beiden Fällen seinem Werk einen Anstrich seiner Laune geben. Also dient es sehr zur Harmonie der Zeichnung, wenn sie in einem Feuer und in einer Gemütsfassung durchaus vollendet wird.

Die Harmonie der Rede wird im Artikel Wohlklang in Betrachtung gezogen werden.


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