Hexameter

Hexameter. (Dichtkunst) Ein Vers von sechs dreiund zwei-silbigen Füßen, der auch der heroische Vers genannt wird, weil die Griechen, die Erfinder desselben, ihn in ihren Heldengedichten gebraucht haben. Die lateinischen Dichter haben ihn den Griechen abgeborgt und vor nicht langer Zeit ist er auch in der deutschen Sprache mit glücklichem Erfolg versucht worden. Er verträgt zwei Arten der Füße, die Daktylen und Spondeen, an dessen Stelle die Deutschen auch, was sie Trocheen nennen, gebrauchen. Beide und im deutschen Hexameter alle drei Arten des Fußes, können verschiedentlich abwechseln, bald kann die eine, bald die andere darin herrschen. Dadurch bekommt der Dichter eine große Freiheit den Vers nach seiner Absicht bald eilender, bald langsamer zu machen, ihm bald einen hohen, bald einen gemäßigten oder gemeinen Ton zu geben. Er ist nur an das einzige Gesetz gebunden, dass der fünfte Fuß ein Daktylus und der sechste ein Spondäus sei, damit der Vers seinen Fall am Ende habe; wiewohl auch dieses Gesetz nicht ohne Ausnahm ist.

 Dieser Vers hat vor allen anderen wegen der Freiheit, die er dem Dichter verstattet, große Vorteile. Man ist dabei nicht an bestimmte Ruhepunkte gebunden; er nötigt nicht zu müßigen Wörtern, weil er sich selbst nicht gleich bleiben darf: er verstattet der Rede eine große Mannigfaltigkeit des Tones und kann majestätisch oder flüchtig sein, einen prächtigern oder nachläßigern Gang anzunehmen. Dadurch wird er zum Heldengedicht tüchtiger als irgend ein andrer Vers. Denn der epische Dichter muss notwendig den Ton, nach Maßgabe seiner Materie, verschiedentlich abändern. Doch bemerkt man oft an dem deutschen Hexameter, dass er, um voll zu werden, manches unnötiges Beiwort veranlasst.

 Nach dem Urteil des Diomedes, welches das Urteil aller Menschen ist, die Gehör haben, ist der Hexameter der schönste, dessen Füße so in einander geschlungen sind, dass keiner weder mit einem Wort anfängt noch aufhört, es sei denn der erste und letzte, so wie dieser

Oceanum interea surgens aurora reliquit.

                              Virg. Am schlechtesten ist er, wenn die Wörter die Füße machen.

Præter cætera Romæ, mene poemata censes Scribere?

                              Hor. Seine Länge erfordert, dass man ihm irgendwo einen kleinen Ruhepunkt oder Abschnitt gebe, den man verschiedentlich versetzt.1

 Es wäre seltsam, wenn man ietzt noch untersuchen wollte, ob die deutsche Sprache fähig genug sei, den griechischen Hexameter nachzuahmen, nachdem wir den Meßias haben, ein Gedicht, das auch in dem Ton und Klang, mit der Ilias oder Äneis um den Vorzug streiten kann. Dass es aber den Deutschen mehr Mühe macht in wohlklingenden Hexametern zu schreiben als der Griech' oder der Römer nötig gehabt hat, kann wohl nicht geleugnet werden; genug dass einige unserer Dichter die Schwierigkeiten glücklich überwunden haben.

 Man muss Klopstock und Kleist, die zu gleicher Zeit und ohne dass einer von den Versuchen des anderen etwas gewußt, versucht haben deutsche Hexameter zu machen als die Erfinder derselben ansehen; denn die wenigen Versuche, die ältere Dichter darin gemacht haben, können als nicht gemacht angesehen werden.2 Der Hexameter, den Kleist zu seinem Frühling gewählt hat, fängt, wie man sich in der Musik ausdrückt, im Aufschlag an. Denn er setzt dem ersten Fuß eine kurze Silbe vor. Vermutlich ist er bloß von ohngefähr auf diesen Einfall gekommen; denn eine genaue Überlegung würde ihn doch haben fühlen lassen, dass dieses den Gang des Gedichtes etwas monotonisch macht und auch der Mannigfaltigkeit des Rhythmus oder der Perioden, schadet.

Es ist denen, die sich einfallen lassen den deut schen Hexameter zu brauchen, sehr zu raten, dass sie mit großer Sorgfalt dasjenige überlegen, was Klopstock in den Vorreden zu dem zweiten und dritten Teil des Messias, Ramler in seiner Übersetzung des Batteux und Schlegel in seiner Abhandlung vom Reim, darüber angemerkt haben.

 

_______________

1 S. Abschnitt. Cäsur.

2 Eine kurze Geschichte des deutschen Hexameters ist in den Briefen über die N. Literatur im ersten Th. auf der 109 u. s. f. S. zu finden.

 


 © textlog.de 2004 • 06.12.2024 14:50:33 •
Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z