Beobachtung

Beobachtung (Observation) ist die aufmerksame, planmäßige Betrachtung eines Objektes. Das Physische ist wegen seiner Konstanz unmittelbar, das Psychische wegen seiner Flüchtigkeit und wegen der Störung des Bewußtseinsverlaufs durch die absichtliche Lenkung der Aufmerksamkeit auf dasselbe nur mittelbar, in der Erinnerung beobachtbar.

Den Wert der Beobachtung (têrêsis) kennen im Altertum HIPPOKRATES, ARISTOTELES, GALENUS, die »Empiriker«, im Mittelalter, wo sie im allgemeinen vernachlässigt wird, ALBERTUS MAGNUS, WILHELM VON OCCAM, ROGER BACON. Später betont diesen Wert methodologisch (im Anschlusse an die Errungenschaften eines KOPERNIKUS, KEPLER, GALILEI u. a.) zunächst der Empirismus (s. d.). F. BACON bemerkt: »Homo naturae minister et interpres tantum facit et intelligit, quantum de naturae ordine re, vel mente, observaverit, nec amplius scit aut potest« (Nov. Organ. 1). Die Beobachtung ist der Ausgang aller Induktion (s. d.). Nach PLATNER ist Beobachtung »eine mehr angestrengte, vorsätzliche und zugleich absichtsmäßige Richtung der sinnlichen Vorstellkraft auf Gegenstände der Sinne« (Phil. Aph. I, § 211). Nach ULRICI ist sie »ein aufmerksames Betrachten des Gegenstandes in der Absicht, von seiner Beschaffenheit seinen Bestimmungen, Eigenschaften, Merkmalen, besonderen Eigentümlichkeiten etc. eine möglichst genaue Kenntnis zu gewinnen« (Leib u. Seele S. 301). - Für die Selbstbeobachtung (»introspection«) als psychologische Methode sind HERBART, BENEKE, FORTLAGE, ULRICI, WAITZ, der betont, es würden nur Erinnerungsbilder beobachtet (Lehrb. d. Psychol. S. 672 f.), FORTLAGE, auch HÖFFDING (Psychol.2, S. 20 ff.), der die Mängel der reinen Selbstbeobachtung würdigt (l.c. C. 1), MÜNSTERBERG (Aufg. u. Meth. S. 63 ff.), VOLKELT (Zeitschr. f. Philos. 1887), LIPPS (Gr. d. Seelenl. S. 10 f.), teilweise SPENCER (»Subjektive« neben der »objektiven« Psychologie), BAIN, JAMES, auch JODL (Lehrb. d. Psych. S. 10), W. JERUSALEM (Lehrb. d. Psychol.3, S. 5 ff.) u. a. Es wird betont, daß die Beobachtung anderer ergänzend zur »Selbstbeobachtung« (besser Selbstwahrnehmung: EBBINGHAUS, Gr. d. Psychol. I, 57, BRENTANO, WUNDT u. a.) treten muß. Gegen die »Selbstbeobachtung« ist HUME, insofern er betont, dieselbe störe den Ablauf der seelischen Vorgänge (Treat. S. 7), und besonders A. COMTE, der sie für unmöglich erklärt und von der »profonde absurdité« spricht, »que présente la seule supposition si évidemment contradictoire de l'homme se regardant penser« (Cours de phil. pos. III, 766 ff., I, 30 ff.; ähnlich F. MAUTHNER, Kritik d. Spr. I). WUNDT betont, in der Psychologie sei »eine exakte Beobachtung nur in der Form der experimentellen Beobachtung möglich« (Gr. d. Psych.5, S. 27). Die Absicht der Beobachtung verändert Eintritt und Verlauf der psychischen Vorgänge (l.c. S. 28). Die reine Beobachtung ist ausgeschlossen auf dem Gebiete der Individualpsychologie, weil es hier keine beharrenden Objekte gibt, zulässig aber, ja gefordert in der Völkerpsychologie (l.c. S. 29 f.). Die »zufällige« innere Wahrnehmung (nicht Beobachtung) kann aber in der Individualpsychologie (am besten in der Form unmittelbarer Erinnerung) als vorbereitende und ergänzende Methode verwendet werden. Die vermeintliche willkürliche »Beobachtung« aber ist in Wahrheit schon Reflexion und Fälschung des Tatbestandes durch Vorurteile aller Art (Log. II2, 2, S. 169, 171, 174; Grdz. d. phys. Psych. I4, 4 f.; Essays 5, S. 135 ff.; Phil. Stud. IV, 302 ff.). Vgl. Experiment, Methoden.


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