Böse

Böse ist das Gegenteil des Guten (s. d.), der Gegensatz dazu, sofern er als solcher bewußt wird; jede Handlung, die dem sittlichen Willen zuwider ist; alles zwecklos und willentlich Zerstörerische, Negative, brutal Gewalttätige, unser Fühlen absichtlich Verletzende; alles, was der Lust am Schlechten, Verwerflichen, Grausamen entspringt.

Das Böse wird zuweilen als ein dämonisches Princip dem göttlichen, guten Geiste entgegengesetzt, so im Typhon der Ägypter, im Ahrimân des Parsismus, im Satan des späteren Judentums und noch mehr des Christentums. Als selbständiges Princip wird das Böse auch von den Manichäern (s. d.) aufgefaßt.

Nach ANTISTHENES ist das Böse ein dem menschlichen Wesen Fremdes (xenikon, allotrion, Diog. L. VI, 12, Plat., Conviv. 205 C). PLATO leitet das Böse aus der Natur des Körperlichen, aus der Unbestimmtheit, Unordnung des Materiellen, noch nicht Geformten, ab (Tim. 68 E), auch aus der »bösen Weltseele« (Leg. 896 E). Das Böse ist ungöttlich, widerstrebt dem Ordnungsprinzip (Theaet. 776 A; Polit. 269 D; Tim. 47 E); die gute Gottheit kann des Bösen Urheber nicht sein (Rep. II, 379 C). Die Stoiker setzen das Böse nur in die Teile des Alls, nicht in den Kosmos selbst (teleon men ho kosmos sôma estin, ou telea de ta tou kosmou merê, Plut. de Stoic. rep. 44, 6). Durch das Böse kommt erst das Gute zur Geltung (l.c. 36, 1). Jenes ist nur ein Mittel zur Beförderung des Guten (KLEANTHES, Hymn. v. 18 f.). Nach PHILO geht das Böse aus der Verbindung der Seele mit der unreinen Materie (s. d.) hervor, die nach PLOTIN selbst schon etwas Böses (kakon) ist. Das Böse ist nicht im Seienden, es stammt aus der »alten Natur«, der Materie (Enn. I, 8, 3, I, 7). Der Anfang des Bösen der Seele ist das Vergessen der göttlichen Herkunft, das Verlangen, sich selbst anzugehören (Enn. V, 1, ähnlich schon ANAXIMANDER; s. Apeiron). PLUTARCH betrachtet das Böse als eine dem Guten entgegenwirkende Kraft (De Isid. 46 squ.), die aus der »bösen Weltseele« (s. d.) stammt (De an. procr. 3). Die Gnostiker verlegen das Böse wiederum in die Materie (vgl. HARNACK, Dogm. I3, 246).

Nach BOËTHIUS hat das Böse keine positive Wirksamkeit und Wirklichkeit, es veranlaßt indirekt das Gute (De cons. phil. IV). Auch nach CLEMENS ALEXANDRINUS ist es keine Wesenheit, ist nicht von Gott geschaffen (Strom. IV, 13). Es ist nach ORIGENES eine »Beraubung« (privatio) des wahren, guten Seins, ein Negatives (De princ. I, 109), eine Notwendigkeit für die Verwirklichung des Guten (Contr. Cels. VI, 53). AUGUSTINUS sieht im Bösen die Folge einer verkehrten Willensrichtung, eines Abfalles von Gott (Enchir. 23); es ist nur Beraubung, Mangel (amissio) des Guten, hat nur relatives Sein (De civ. Dei XI, 22). DIONYSIUS AREOPAGITA und JOH. SCOTUS ERIUGENA nennen das Böse ein »innaturale«, »incausale« (De div. nat. IV, 16). Letzterer bemerkt: »Non ergo in natura humana plantatum est malum, sed in perverso et irrationabili motu rationabilis liberaeque voluntatis est constitutum« (l.c. IV, 16). Nach ALEXANDER VON HALES ist das Böse »privatio boni« (Sum. th. I, 18, 9), so auch nach ALBERTUS MAGNUS (Sum. th. I, 27, 1) und THOMAS, nach welchem Gott das Böse nur als Beförderer des Guten zugelassen hat (Sent. 32).

Nach J. BÖHME ist das Böse die negativ-treibende, zum Leben anreizende Kraft im All, der »Gegenwurf« des Guten, als »Zornfeuer« in Gott selbst enthalten (Aurora). LEIBNIZ leitet das Böse aus der Beschränktheit der endlichen Wesen ab; es dient nur der Vollkommenheit des Ganzen, da nichts von allem Möglichen fehlen darf. Gott läßt das Böse zu, weil sonst vieles Gute verhindert würde (Theod. Il, Anh. IV, § 34). Nach CHR. WOLF ist böse, »was uns und unsern Zustand unvollkommener macht« (Vern. Ged. I, § 425). KANT nimmt ein »radikales« (ursprüngliches) Böses an, einen Hang zum Bösen, »welcher, da es nur als Bestimmung der freien Willkür möglich ist, diese aber als gut oder böse nur durch ihre Maxime beurteilt werden kann, in dem subjektiven Grunde der Möglichkeit der Abweichung der Maximen vom moralischen Gesetze bestehen muß« (Relig. S. 28). Mit dem Guten besteht das Böse ursprünglich im Menschen, es ist ihm angeboren, in seiner Selbstliebe begründet, entsteht durch eine »transzendentale Handlung«, ist unausrottbar und verdirbt die reine Moralität des Menschen (l.c. S. 31). Es ist eine »angeborene Schuld« (l.c. S. 38). Es entstand, als der Mensch aus dem Stande der Unschuld in den der Sünde geriet (l.c. S. 43; vgl. das Dogma von der »Erbsünde«). Das Böse ist das, was vom vernünftigen Willen verabscheut werden muß, was dem moralischen Gesetze entgegen ist (Kr. d. pr. Vern. I. T., 1. B., 2. Hptst.). Von einem »Urbösen« in der Seele spricht HEINROTH (Psychol. S. 463). Ein radikales Böses, d.h. den Egoismus, nimmt auch EUCKEN an (Kampf um e. geist. Lebensinh. S. 223 f.). SCHELLING leitet das Böse aus einer vorzeitlichen Willenshandlung ab, es gehört zum Sein (WW. I, 7, 403), nachdem schon BAADER das Böse als in der »ewigen Natur in Gott« begründet angesehen hatte; VOLKELT nimmt etwas Ähnliches an (Ästh. d. Trag.).

Über das Böse handeln HERBART (Gespräche üb. d. Böse 1818), BLASCHE (Das Böse im Einklang mit d. Weltordn. 1827), H. RITTER (Üb. d. Böse 1869) u. a. - Nach HILLEBRAND ist das Böse »der seiner bewußte moralische Widerspruch«. Es ist ein dialektisches Moment in der Weltordnung, hat keine wesenhafte Wirklichkeit (Phil. d. Geist. II, 128 f.). FECHNER meint, das Böse entstehe wohl in Gott, aber nicht durch seinen Willen (Zendav. I, 247). Nur im »Gebiete der Einzelheiten« taucht das Böse (Übel) auf, das zugleich Quelle des Guten wird (l.c. I, 244 f.). Das Böse hat vermöge des Gegenstrebens in Gott »keinen Gipfel, Zusammenschluß und Abschluß« (Tagesans. S. 48 ff.). LIPPS erklärt: »Das Böse ist ein Verhältnis zwischen der Stärke von Motiven. Es ist ein Überwiegen von an sich guten oder berechtigten Motiven und ein Zurücktreten anderer« (Eth. Grundfr. S. 53). »Nicht das Wollen des Menschen ist böse, sondern sein Nichtwollen« (l.c. S. 55). Es ist das Böse, wie der Irrtum, ein Negatives (ib.). Zwei Quellen des Bösen gibt es, »die Schwäche von Motiven und den Irrtum oder die Täuschung, vor allem die Selbsttäuschung« (l.c. S. 56). PAULSEN betont: »Was aber das sittlich Schlechte oder das Böse anlangt, so wird die Ethik es konstruieren, wie die medizinische Diätetik Störungen, Schwächen, Mißbildungen konstruiert; wie hier diese Vorkommnisse als Folge von äußeren Hemmungen und Störungen angesehen werden, die der Tendenz der Anlage zu normaler Entwicklung zuwider waren, so wird die Ethik das Schlechte und Böse nicht auf den eigentlichen Willen des Wesens selbst..., sondern auf ungünstige Entwicklungsbedingungen zurückführen, unter denen die Anlage verkümmerte und Mißbildungen erlitt« (Einl. in d. Phil.2, S. 435). Nur im Kampfe mit dem Bösen kann auf Erden das Gute Kraft gewinnen. Das Böse ist um des Guten willen da, als Reiz, Widerstand, Folie; es ist an sich ein Nichtiges, Negatives (Syst. d. Eth. I5, 306 ff.). Der Utilitarismus bestimmt das Böse (Schlechte) als das, was die (soziale) Wohlfahrt bewußt schädigt. Nach NIETZSCHE entsteht der Begriff »böse« aus dem »Ressentiment« der Schwachen gegen den Machtwillen der »Herren« (Jens. von Gut u. Böse2, S. 228 ff.). Vgl. Gut, Übel, Theodizee.


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