Begriff - Nietzsche, Lotze, Wundt


Nach NIETZSCHE sind Begriffe »mehr oder weniger bestimmte Bildzeichen für oft wiederkehrende und zusammenkommende Empfindungen, für Empfindungsgruppen« (Jens. von Gut u. Böse, S. 242). Wir müssen aus biologischen Gründen unsere Erfahrungen kapitalisieren können, daher bringen wir sie unter konstante Begriffe (WW. XV, 272 f.). Gedanken sind aber nichts als die »Schatten unserer Empfindungen - immer dunkler, leerer, einfacher als diese« (WW. V, S. 187). SIMMEL betont, die Bildung der Begriffe werde von praktischen Interessen und Urteilen beeinflußt, sie beruhe auf einer Wertung (Einl. in d. Moralw. II, 82 ff.). Der Begriff ist eine »Verdichtung bedeutsamer Urteile« (l.c. S. 86). »Die Begriffe enthalten oder markieren in ihrer überlogischen historischen Bedeutung eine Ordnung der Dinge, sie enthalten bestimmte Ansichten über die Zusammengehörigkeit der Einzelheiten, über das Wesentliche an ihnen« (l.c. S. 89). Nach G. SPICKER ist der Begriff »die Summe oder Totalität aller möglichen Urteile, die ich von einem Gegenstand mir bilden kann« (K., H. u. B. S. 146). »Kein Begriff ist streng genommen empirisch, sondern jederzeit logisch. Er ist nicht eine Abstraction aus der Erfahrung, sondern eine Subsumtion desselben Merkmals einer Reihe gleichartiger oder ungleichartiger Wesen unter eine Vorstellung« (l.c. S. 180 f.). Der Begriff ist schon eine Folge des (unmittelbaren) Schließens (l.c. S. 181). Nach ROMANES ist der Begriff ein verdichtetes Urteil (Geist. Entwickl. d. Mensch. S. 322, vgl. S. 24). W. JERUSALEM betrachtet die Begriffe als »Niederschläge von Urteilen« (Urteilsfunct. S. 22). Sie sind »die Subjektwörter als Träger jener Kräfte, die in vielen Dingen in gleicher Weise wirksam sind« (l.c. S. 138). Nach RIEHL sind die Begriffe »Ergebnisse von Urteilen, die sie im Bewußtsein vertreten«, »potentielle Urteile«, »Fertigkeiten, bestimmte zusammengesetzte Urteile zu reproduzieren« (Phil. Kritik II, 1, 224). Sie sind keine Gemeinvorstellungen, sondern von großer Bestimmtheit (l.c. II, 1, 84). Nach A. HÖFLER sind Begriffe »Vorstellungen von eindeutig bestimmtem Inhalte« (Gr. d. Log.2, S. 14). VOLKELT versteht unter Begriff die »bestimmte Vorstellung des Allgemeinen« (Erf. u. Denk. S. 324). Nach HÖFFDING ist der Begriff eine »Vorstellung, deren Inhalt uns deutlich und bestimmt bewußt ist, so daß er in einem verschiedenen Zusammenhange, in welchem er vorkommt, nicht geändert wird« (Psych.2, S. 419). E. DÜHRING nennt Begriff »jegliches Gedachtes, welches eine Beziehung auf einen Gegenstand hat«, »das, was wir bei demselben denken« (Log. S. 10). Nach v. KIRCHMANN entspricht jedem Begriffe ein Stück des Wahrnehmungsinhaltes (Kat. d. Phil. S. 31).

LOTZE unterscheidet den »werdenden, unvollkommenen« vom »verwirklichten« Begriff, welcher erst dann da ist, »wenn der unbestimmte Nebengedanke der Ganzheit überhaupt zu dem Mitdenken eines bestimmten Grundes gesteigert ist, welcher das Zusammensein gerade dieser Merkmale, gerade dieser Verbindungen derselben und die Ausschließung bestimmter anderer rechtfertigt« (Log.2, S. 39). Der Begriff ist so »die zusammengesetzte Vorstellung, die wir als ein zusammengehöriges Ganzes denken« (l.c. S. 32; Psych. § 24). WUNDT nennt (psychologischen) Begriff »jeden im Bewußtsein isolierbaren Bestandteil eines durch die Zerlegung einer Gesamtvorstellung entstehenden Satzes« (Völkerpsych. I, 2, 455). »Begriffsvorstellungen« entstehen durch Analyse von Gesamtvorstellungen (s. d.) und sind Vorstellungen, die »zu andern dem nämlichen Ganzen angehörenden Vorstellungen in irgend einer der Beziehungen stehen, die durch die Anwendung der allgemeinen Funktionen der Beziehung und Vergleichung auf Vorstellungsinhalte gewonnen werden« (Gr. d. Psych. S. 321). Der einzelne Begriff kann niemals isoliert vorgestellt werden, er kann »in unbestimmt vielen einzelnen Abwandlungen existieren« (l.c. S. 322). Den Allgemeinbegriffen entspricht »eine mehr oder minder große Anzahl einzelner Vorstellungsinhalte«. »Von diesen wird stets irgend ein einzelner als Stellvertreter des Begriffs gewählt.« Damit ist das Bewußtsein (Gefühl) der bloß stellvertretenden Vorstellung verbunden. Dieses »Begriffsgefühl« »läßt sich wohl darauf zurückfahren, daß sich dunklere Vorstellungen, die sämtlich die zur Vertretung des Begriffs geeigneten Eigenschaften besitzen, in der Form wechselnder Erinnerungsbilder zur Auffassung drängen« (l.c. S. 322 f.). Die abstracten Begriffe werden nur durch Worte vertreten. Der Anfang der Begriffsbildung liegt in dem »Nebengedanken«, daß eine Vorstellung nur im Hinblick auf bestimmte Eigenschaften eines Objekts ihre Bedeutung hat. Die Apperzeption (s. d.) bevorzugt bestimmte Elemente der »repräsentativen« Vorstellung und macht sie zu herrschenden (Log. I2, S. 46 ff., 51 ff.; Syst. d. Phil.2, S. 38 f., 44; Grdz. d. phys. Psych. II4, 477). Logisch ist der Begriff ein »Denkinhalt, der aus einem logischen Denkacte, einem Urteil, durch Zergliederung desselben gewonnen werden kann«. Seine Eigenschaften sind: Bestimmtheit (Konstanz) des Inhalts, logischer Zusammenhang mit anderen Begriffen (Allgemeinheit). Die Verarbeitung des Wahrnehmungsinhalts beginnt mit »Erfahrungsbegriffen«, führt zu allgemeinsten »Begriffsklassen« und zu »abstrakten Beziehungsbegriffen« (Log. I2, S. 95 f., 104; Syst. d. Phil.2, S. 210 ff.). Die Begriffe erzeugen nicht die Wirklichkeit, bilden sie nur ideell nach (Phil. Stud. II, 331). Von der unmittelbar-anschaulichen ist die begrifflich-mittelbare Erkenntnis (s. d.) zu unterscheiden. Nach SIGWART ist Voraussetzung der Begriffsbildung die »Analyse in einfache, nicht weiter zerlegbare Elemente, und anderseits die reconstruierende Synthese aus diesen Elementen« (Log. I2, S. 331 f.).


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