Bewußtsein (Wissen des Wissens)

Der Begriff »Bewußtsein« wird von verschiedenen Philosophen verschieden bestimmt. Die erste und älteste Bedeutung von Bewußtsein ist die des Wissens um einen Vorgang in uns. Das Bewußtsein wird hier von den Inhalten, deren man sich bewußt ist, als ein besonderes Vermögen der Seele unterschieden.

Der Keim zu dieser Auffassung findet sich schon bei PLATO. Er weist auf das Wissen um ein Wissen (Charmides), auf die Aufnahme der Eindrücke durch die Seele hin, auf deren Erfassen des Gemeinsamen der Dinge durch sich selbst (autê di' hautês hê psychê ta koina moi phainetai peri pantôn episkopein, Theaet. 185 D; vgl. Phileb. 21 B, 24 A; Rep. 508 D). Ähnlich spricht sich ARISTOTELES aus, wenn er dem Gemeinsinn (s. d.) die Fähigkeit zuerkennt, mit dem Gemeinsamen der einzelnen Sinneswahrnehmungen auch wahrzunehmen, daß wir wahrnehmen (aisthanometha hoti horômen kai akouomen, De anim. III 2, 425 b 12). Das Bewußtwerden der Wahrnehmung in der Seele betont ALEXANDER VON APHRODISIAS und nennt es synaisthêsis (Quaest. III, 7). Aber erst bei GALEN erhält der Begriff des Bewußtseins seine bestimmte Prägung im Sinne einer den seelischen Inhalt begleitenden Tätigkeit, eines parakolouthein tê dianoia und einer Erkennung (diagnôsis) organischer Veränderungen in der Seele (Opp. ed. Kühn, 1821 ff.). PLOTIN sieht in dem parakolouthein geradezu das Wesen des Geistes. Das Bewußtsein ist ihm eine reflective Tätigkeit, eine synaisthêsis, ein Zurückbiegen des Gedankens in sich selbst (anakamptontos tou noêmatos). Das Bewußtsein (synesis) ist Tätigkeit, es gleicht einem Spiegel (Enn. I, 4, 10). Erst in der Seele entsteht das Innewerden der Veränderung des Organismus (Enn. IV, 4, 18). Von AUGUSTINUS wird die Bewußtmachung eines Erlebnisses der Tätigkeit des inneren Sinnes zugeschrieben, durch den wir ein Wissen um unser Empfinden gewinnen (De lib. arb. II, 4; De trin. XI). Wie andere Scholastiker faßt THOMAS AQUINAS das Wort »Bewußtsein« (conscientia) als Wissen um etwas auf; »... dicimur habere conscientiam alicuius actus, inquantum scimus, illum actum esse factum vel non factum« (Verit. 17, 1 c). Diese Anschauung findet sich dann wieder bei LOCKE, der in dem inneren Sinn das Bewußtsein der eigenen seelischen Tätigkeit (»the notice which the mind takes of its operations«, Ess. II, ch. 1, § 4) erblickt. Ähnlich lehren CHR. WOLF, BAUMGARTEN, auch KANT (s. Inn. Sinn). Als »Wissen der Seele um sich selbst« definiert das Bewußtsein GUTBERLET (Psychol. S. 167), nachdem auch schon FRIES es als »innere Selbstanschauung des Geistes« (Neue Kritik I, S. 112) bestimmt hatte. TÖNNIES versteht unter Bewußtheit den »Komplex von Erkenntnissen und Meinungen, welche einer über den regelmäßigen oder wahrscheinlichen Verlauf der Dinge... vor sich haben und benutzen mag, daher die Kenntnis von den eigenen und fremden, entgegenstehenden (also zu überwindenden) oder günstigen (also zu gewinnenden) Kräften oder Mächten« (Gem. u. Ges. S. 128 f.).

Eine zu den seelischen Erlebnissen hinzukommende Tätigkeit oder Wirkung der Seele ist das Bewußtsein nach LEIBNIZ. Insofern ist es eins mit der Apperzeption und als »connaissance réflexive de cet état intérieur« eins mit der Beziehung aufs Selbstbewußtsein. Denn die »actes réflexifs nous font penser á ce qui s'appelle moi« (Monad. 30). Anderseits erklärt er, die »petites perceptions« würden einfach durch Zuwachs, Addition, zu bewußten Vorstellungen (»distinguer entre perception et entre s'apercevoir; la perception... devient apperceptible par une petite addition ou augmentation«, Nouv. Ess. II, ch. 9, § 4). Wichtig ist der Begriff der verschiedenen Bewußtseinsgrade, durch den sich die Monaden (s. d.) voneinander unterscheiden, ein Gedanke, der von WUNDT (s. u.) wieder aufgenommen wurde. Mit dem Ich bringt das Bewußtsein in Verbindung auch CLARKE. Als Reflexion des Geistes auf sich faßt HEGEL das Bewußtsein auf. Es ist »Für-sich-sein der freien Allgemeinheit« (Encykl. § 412). »Das Bewußtsein macht die Stufe der Reflexion oder des Verhältnisses des Geistes, seiner als Erscheinung, aus« (l.c. § 413; vgl. § 414). Das Selbstbewußtsein im engeren Sinne aber ist eine Entwicklung des Bewußtseins (§ 424 ff.). Nach BRANISS ist das Bewußtsein die Einheit des Sich-ergreifens und Sich-besitzens (Syst. d. Met. S. 185). Nach K. ROSENKRANZ ist der Begriff des Bewußtseins der »des einfachen Verhältnisses des Geistes zu sich als Subjekt und Objekt« (Syst. d. Wiss. S. 406 ff.). Das Bewußtsein ist der Act, »durch welchen der Geist sich als sich zu sich und zu anderem verhaltend für sich setzt«, es ist »reine Tätigkeit des Geistes«, es ist »Übersinnlich« (Psychol.3, S. 266 ff.); es ist ein Akt des Sich-unterscheidens des Geistes von allem Nicht-Ich (l.c. S. 270). MAINE DE BIRAN betont: »Le mot conscience ne signifie rien, si on l'entend autrement que se savoir soi avec une modification différente du soi puisqu'il reste quand elle passe« (Oeuvr. inéd. III, p. 397, 405, II, p. 239). Und R. HAMERLING bemerkt, Bewußtsein sei »immer vor allem Selbstbewußtsein. Ein Bewußtsein ohne Selbstbewußtsein ist undenkbar« (At. d. Will. I, 239). »Bewußtsein ist: das Sein als Sich-wissen« (ib.). Schon den Atomen kommt ein Bewußtsein zu (S. 239 f.). Nach CARRIERE ist unser Bewußtsein »kein Zustand, sondern eine sich selbst erfassende und dadurch erzeugende Tätigkeit« (Ästh. I, 42). Nach NATORP ist Bewußtsein eine »Beziehung auf das Ich« (Bewußtheit), eine ursprüngliche Tatsache (Einl. in d. Psychol. S. 11 ff.).


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