Exkurs über die staatliche Theorie des Geldes

 

Knapp weist siegreich nach: daß jede sowohl unmittelbar staatliche, als staatlich regulierte »lytrische« (Zahlungsmittel-)Politik der letzten Zeit beim Bestreben zum Übergang zur Goldwährung oder einer ihr möglichst nahestehenden, indirekt chrysodromischen, Währung »exodromisch«: durch Rücksicht auf den Valutakurs der eigenen in fremder, vor allem: englischer, Währung, bestimmt war. Wegen des »Münzparis« mit dem größten Handelsgebiet und dem universellsten Zahlungsvermittler im Weltverkehr, dem Goldwährungslande England, demonetisierte zuerst Deutschland das Silber, verwandelten dann Frankreich, die Schweiz und die anderen Länder des »Münzbundes«, ebenso Holland, schließlich Indien, ihr bis dahin als freies Verkehrsgeld behandeltes Silber in Sperrgeld und trafen weiterhin indirekt chrysodromische Einrichtungen für Außenzahlungen, taten Österreich und Rußland das gleiche, trafen die »lytrischen« Verwaltungen dieser Geldgebiete mit »autogenischem« (nicht einlöslichem, also selbst als Währung fungierendem) Papiergeld ebenfalls indirekt chrysodromische Maßregeln, um wenigstens ins Ausland tunlichst jederzeit in Gold zahlen zu können. Auf den (tunlichst) festen intervalutarischen Kurs allein also kam es ihnen in der Tat an. Deshalb meint Knapp: nur diese Bedeutung habe die Frage des Währungsstoffs und der Hylodromie überhaupt. Diesem »exodromischen« Zweck aber genügten, schließt er, jene anderen indirekt chrysodromischen Maßregeln (der Papierwährungsverwaltungen) ebenso wie die direkt hylodromischen Maßregeln (siehe Österreich und Rußland!). Das ist zwar – ceteris paribus – für die Hylodromien keineswegs unbedingt wörtlich richtig. Denn solange keine gegenseitigen Münzausfuhrverbote zwischen zwei gleichsinnig hylodromischen (entweder beide chryso- oder beide argyrodromischen) Währungsgebieten bestehen, erleichtert dieser Tatbestand der gleichsinnigen Hylodromie die Kursbefestigung doch unzweifelhaft ganz erheblich. Aber soweit es wahr ist – und es ist unter normalen Verhältnissen in der Tat weitgehend wahr –, beweist es doch noch nicht: daß bei der Wahl der »Hyle« (Stoff) des Geldes, heute also vor allem der Wahl einerseits zwischen metallischem (heute vor allem: goldenem oder silbernem Geld) und andererseits notalem Gelde (die Spezialitäten des Bimetallismus und des Sperrgeldes, die früher besprochen sind, lassen wir jetzt füglich einmal beiseite), nur jener Gesichtspunkt in Betracht kommen könne. Das hieße: daß Papierwährung im übrigen der metallischen Währung gleichartig fungiere. Schon formell ist der Unterschied bedeutend: Papiergeld ist stets das, was Metallgeld nur sein kann, nicht: sein muß, »Verwaltungsgeld«; Papiergeld kann (sinnvollerweise!) nicht hylodromisch sein. Der Unterschied zwischen »entwerteten« Assignaten und künftig vielleicht, bei universeller Demonetisation, einmal ganz zum industriellen Rohstoff »entwertetem« Silber ist nicht gleich Null (wie übrigens auch Knapp gelegentlich zugibt). Papier war und ist gerade jetzt (1920) so gewiß wenig wie ein Edelmetall ein »beliebig« jederzeit vorrätiges Gut. Aber der Unterschied 1. der objektiven Beschaffungsmöglichkeit und 2. der Kosten der Beschaffung im Verhältnis zum in Betracht kommenden Bedarf ist dennoch so kolossal, die Metalle sind an die gegebenen Bergvorkommen immerhin relativ so stark gebunden, daß er den Satz gestattet: Eine »lytrische« Verwaltung konnte (vor dem Kriege!) papierenes Verwaltungsgeld (verglichen sogar mit kupfernem – China –, vollends: mit silbernem, erst recht: mit goldenem) unter allen normalen Verhältnissen wirklich jederzeit, wenn sie den Entschluß faßte, in (relativ) »beliebig« großen Stück-Quantitäten herstellen. Und mit (relativ) winzigen »Kosten«. Vor allem: in rein nach Ermessen bestimmter nominaler Stückelung, also: in beliebigen, mit dem Papierquantum außer Zusammenhang stehenden Nominalbeträgen. Das letztere war offenbar bei metallischem Gelde überhaupt nur in Scheidegeldform, also nicht entfernt in gleichem Maß und Sinn der Fall. Bei Währungsmetall nicht. Für dieses war die Quantität der Währungsmetalle eine elastische, aber doch schlechthin »unendlich« viel festere Größe als die der Papierherstellungsmöglichkeit. Also schuf sie Schranken. Gewiß: wenn sich die lytrische Verwaltung ausschließlich exodromisch, am Ziel des (möglichst) festen Kurses orientierte, dann hatte sie gerade bei der Schaffung notalen Geldes wenn auch keine »technischen«, so doch normativ fest gegebene Schranken: das würde Knapp wohl einwenden. Und darin hätte er formal – aber eben nur formal – recht. Wie stand es mit »autogenischem« Papiergeld? Auch da, würde Knapp sagen, die gleiche Lage (siehe Österreich und Rußland): »Nur« die technisch-»mechanischen « Schranken der Metallknappheit fehlten. War das bedeutungslos? Knapp ignoriert die Frage. Er würde wohl sagen, daß »gegen den Tod« (einer Währung) »kein Kraut gewachsen ist«. Nun aber gab und gibt es (denn wir wollen von der momentanen absoluten Papierherstellungsobstruktion hier einmal absehen) unstreitig sowohl 1. eigene Interessen der Leiter der politischen Verwaltung – die auch Knapp als Inhaber oder Auftraggeber der »lytrischen« Verwaltung voraussetzt –, wie 2. auch private Interessen, welche beide keineswegs primär an der Erhaltung des »festen Kurses« interessiert, oft sogar – pro tempore wenigstens – geradezu dagegen interessiert sind. Auch sie können – im eigenen Schoß der politisch- lytrischen Verwaltung oder durch einen starken Druck von Interessenten auf sie – wirksam auf den Plan treten und »Inflationen« – das würde für Knapp (der den Ausdruck streng vermeidet) nur heißen dürfen: anders als »exodromisch« (am intervalutarischen Kurs) orientierte und darnach »zulässige« notale Emissionen – vornehmen.

Zunächst finanzielle Versuchungen: eine durchschnittliche »Entwertung« der deutschen Mark durch Inflation auf 1/20 im Verhältnis zu den wichtigsten naturalen Inlandsvermögensstücken würde, wenn erst einmal die »Anpassung« der Gewinne und Löhne an diese Preisbedingungen hergestellt, also alle Inlandskonsumgüter und alle Arbeit 20 mal so hoch bewertet würden (nehmen wir hier an!), für alle diejenigen, die in dieser glücklichen Lage wären, ja eine Abbürdung der Kriegsschulden in Höhe von 19/20 sein. Der Staat aber, der nun von den gestiegenen (Nominal-) Einkommen entsprechend gestiegene (Nominal-) Steuern erhöbe, würde wenigstens eine recht starke Rückwirkung davon spüren. Wäre dies nicht verlockend? Daß »jemand« die »Kosten« zahlen würde, ist klar. Aber nicht: der Staat oder jene beiden Kategorien. Und wie verlockend wäre es gar, eine alte Außenschuld den Ausländern in einem Zahlungsmittel, das man beliebig höchst billig fabriziert, zahlen zu können! Bedenken stehen – außer wegen möglicher politischer Interventionen – bei einer reinen Außenanleihe freilich wegen Gefährdung künftiger Kredite im Wege, – aber das Hemd ist ja doch recht oft dem Staat näher als der Rock. Und nun gibt es Interessenten unter den Unternehmern, denen eine Preissteigerung ihrer Verkaufsprodukte durch Inflation auf das Zwanzigfache nur recht wäre, falls dabei – was sehr leicht möglich ist – die Arbeiter, aus Machtlosigkeit oder weil sie die Lage nicht übersehen oder warum immer, »nur« 5- oder »nur« 10 »mal so hohe« (Nominal-) Löhne erhalten. Derartige rein finanzmäßig bedingte, akute »Inflationen« pflegen von den Wirtschaftspolitikern stark perhorresziert zu werden. In der Tat: mit exodromischer Politik Knappscher Art sind sie nicht vereinbar. Während im Gegensatz dazu eine planmäßige ganz allmähliche Vermehrung der Umlaufsmittel, wie sie unter Umständen die Kreditbanken durch Erleichterung des Kredits vornehmen, gern angesehen wird als im Interesse vermehrter »Anregung« des spekulativen Geistes – der erhofften Profitchancen, heißt das –, damit der Unternehmungslust und also der kapitalistischen Güterbeschaffung durch Anreiz zur »Dividenden- Kapitalanlage« statt der »Rentenanlage« von freien Geldmitteln. Wie steht es aber bei ihr mit der exodromischen Orientiertheit? Ihre eigene Wirkung aber: jene »Anregung der Unternehmungslust« mit ihren Folgen vermag die sogenannte »Zahlungsbilanz« (»pantopolisch«) im Sinn der Steigerung oder doch der Hinderung der Senkung des Kurses der eigenen Währung zu beeinflussen. Wie oft? wie stark? ist eine andere Frage Ob eine finanzmäßig bedingte, nicht akute Steigerung des Währungsgeldes ähnlich wirken kann, sei hier nicht erörtert. Die »Lasten« dieser exodromisch unschädlichen Anreicherungen des Währungsgeldvorrats zahlt in langsamem Tempo die gleiche Schicht, welche im Fall der akuten Finanzinflation material »konfiskatorisch« betroffen wird: alle diejenigen, die ein nominal gleich gebliebenes Einkommen oder ein Nominal- Wertpapiervermögen haben (vor allem: der feste Rentner, dann: der »fest« – d.h. nur durch langes Lamentieren erhöhbar besoldete Beamte, aber auch: der »fest« – d.h. nur durch schweren Kampf beweglich – entlohnte Arbeiter). – Man wird also Knapp jedenfalls nicht dahin verstehen dürfen, daß für die Papierwährungspolitik immer nur der exodromische Gesichtspunkt: »fester Kurs« maßgebend sein könne (das behauptet er nicht), und nicht für wahrscheinlich halten, daß – wie er glaubt – eine große Chance sei, daß nur er es sein werde. Daß er es bei einer völlig in seinem Sinn rational, d.h. aber (ohne daß er dies ausspricht): im Sinn der möglichsten Ausschaltung von »Störungen« der Preisrelationen durch Geld schaffungsvorgänge, orientierten lytrischen Politik sein würde, ist nicht zu leugnen. Keineswegs aber wäre zuzugestehen – Knapp sagt auch das nicht –, daß die praktische Wichtigkeit der Art der Währungspolitik sich auf den »festen Kurs« beschränke. Wir haben hier von »Inflation« als einer Quelle von Preisrevolutionen oder Preisevolutionen geredet, auch davon: daß sie durch das Streben nach solchen bedingt sein kann. Preis revolutionäre (notale) Inflationen pflegen natürlich auch den festen Kurs zu erschüttern (preisevolutionäre Geldvermehrungen, sahen wir, nicht notwendig). Knapp wird das zugeben. Er nimmt offenbar, und mit Recht, an, daß in seiner Theorie kein Platz für eine valutarisch bestimmte Warenpreispolitik sei (revolutionäre, evolutionäre oder konservative). Warum nicht?

 


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 10:38:41 •
Seite zuletzt aktualisiert: 28.09.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright