§§ 13 und 14: Zusatz


Zu §§ 13 und 14:

1. Die Ausführungen geben offensichtlich nur allgemein bekannte Dinge mit einer etwas schärferen Pointierung (s. die Schlußsätze von § 14) wieder. Die Verkehrswirtschaft ist die weitaus wichtigste Art alles an »Interessenlage« orientierten typischen und universellen sozialen Handelns. Die Art, wie sie zur Bedarfsdeckung führt, ist Gegenstand der Erörterungen der Wirtschaftstheorie und hier im Prinzip als bekannt vorauszusetzen. Daß der Ausdruck »Planwirtschaft« verwendet wird, bedeutet natürlich keinerlei Bekenntnis zu den bekannten Entwürfen des früheren Reichswirtschaftsmnisters; der Ausdruck ist aber allerdings deshalb gewählt, weil er, an sich nicht sprachwidrig gebildet, seit diesem offiziellen. Gebrauch sich vielfach eingebürgert hat (statt des von O. Neurath gebrauchten, an sich auch nicht unzweckmäßigen Ausdrucks »Verwaltungswirtschaft«).

2. Nicht unter den Begriff »Planwirtschaft« in diesem Sinn fällt alle Verbandswirtschaft oder verbandsregulierte Wirtschaft, die an Erwerbschancen (zunftmäßig oder kartellmäßig oder trustmäßig) orientiert ist. Sondern lediglich eine an Bedarfsdeckung orientierte Verbandswirtschaft. Eine an Erwerbschancen orientierte, sei es auch noch so straff regulierte oder durch einen Verbandsstab geleitete Wirtschaft setzt stets effektive »Preise«, gleichviel wie sie formell entstehen (im Grenzfall des Pankartellismus: durch interkartellmäßiges Kompromiß, Lohntarife von »Arbeitsgemeinschaften« usw.), also Kapitalrechnung und Orientierung an dieser voraus. »Vollsozialisierung« im Sinn einer rein haushaltsmäßigen Planwirtschaft und Partialsozialisierung (von Beschaffungsbranchen) mit Erhaltung der Kapitalrechnung liegen trotz Identität des Ziels und trotz aller Mischformen technisch nach prinzipiell verschiedenen Richtungen. Vorstufe einer haushaltsmäßigen Planwirtschaft ist jede Rationierung des Konsums, überhaupt jede primär auf die Beeinflussung der naturalen Verteilung der Güter ausgehende Maßregel. Die planmäßige Leitung der Güterbeschaffung, einerlei ob sie durch voluntaristische oder oktroyierte Kartelle oder durch staatliche Instanzen unternommen wird, geht primär auf rationale Gestaltung der Verwendung der Beschaffungsmittel und Arbeitskräfte aus und kann eben deshalb den Preis nicht – mindestens (nach ihrem eigenen Sinn:) noch nicht – entbehren. Es ist daher kein Zufall, daß der »Rationierungs«-Sozialismus mit dem »Betriebsrats«-Sozialismus, der (gegen den Willen seiner rationalsozialistischen Führer) an Appropriationsinteressen der Arbeiter anknüpfen muß, sich gut verträgt.

3. Die kartell-, zunft- oder gildenmäßige wirtschaftliche Verbandsbildung, also die Regulierung oder monopolistische Nutzung von Erwerbschancen, einerlei ob oktroyiert oder paktiert (regelmäßig: das erstere, auch wo formal das letztere vorliegt) ist an dieser Stelle nicht besonders zu erörtern. Vgl. über sie (ganz allgemein) oben Kap. I § 10 und weiterhin bei Besprechung der Appropriation ökonomischer Chancen (dieses Kapitel, §§ 19 ff.). Der Gegensatz der evolutionistisch und am Produktionsproblem orientierten, vor allem: marxistischen, gegen die von der Verteilungsseite ausgehende, heute wieder »kommunistisch« genannte rational-planwirtschaftliche Form des Sozialismus ist seit Marx' Misère de la philosophie (in der deutschen Volksausgabe der »Intern. Bibl.« vor allem S. 38 und vorher und nachher) nicht wieder erloschen; der Gegensatz innerhalb des russischen Sozialismus mit seinen leidenschaftlichen Kämpfen zwischen Plechanoff und Lenin war letztlich ebenfalls dadurch bedingt, und die heutige Spaltung des Sozialismus ist zwar primär durch höchst massive Kämpfe um die Führerstellungen (und: -Pfründen), daneben und dahinter aber durch diese Problematik bedingt, welche durch die Kriegswirtschaft ihre spezifische Wendung zugunsten des Planwirtschaftsgedankens einerseits, der Entwicklung der Appropriationsinteressen andrerseits, erhielt. – Die Frage: ob man »Planwirtschaft« (in gleichviel welchem Sinn und Umfang) schaffen soll, ist in dieser Form natürlich kein wissenschaftliches Problem. Es kann wissenschaftlich nur gefragt werden: welche Konsequenzen wird sie (bei gegebener Form) voraussichtlich haben, was also muß mit in den Kauf genommen werden, wenn der Versuch gemacht wird. Dabei ist es Gebot der Ehrlichkeit, von allen Seiten zuzugeben, daß zwar mit einigen bekannten, aber mit ebensoviel teilweise unbekannten Faktoren gerechnet wird. Die Einzelheiten des Problems können in dieser Darstellung materiell entscheidend überhaupt nicht und in den hergehörigen Punkten nur stückweise und im Zusammenhang mit den Formen der Verbände (des Staates insbesondere) berührt werden. An dieser Stelle konnte nur die (unvermeidliche) kurze Besprechung der elementarsten technischen Problematik in Betracht kommen. Das Phänomen der regulierten Verkehrswirtschaft ist hier, aus den eingangs dieser Nr. angegebenen Gründen, gleichfalls noch nicht behandelt.

4. Verkehrswirtschaftliche Vergesellschaftung des Wirtschaftens setzt Appropriation der sachlichen Träger von Nutzleistungen einerseits, Marktfreiheit andererseits voraus. Die Marktfreiheit steigt an Tragweite 1. je vollständiger die Appropriation der sachlichen Nutzleistungsträger, insbesondere der Beschaffungs- (Produktions- und Transport-)Mittel ist. Denn das Maximum von deren Marktgängigkeit bedeutet das Maximum von Orientierung des Wirtschaftens an Marktlagen. Sie steigt aber ferner 2. je mehr die Appropriation auf sachliche Nutzleistungsträger beschränkt ist. Jede Appropriation von Menschen (Sklaverei, Hörigkeit) oder von ökonomischen Chancen (Kundschaftsmonopole) bedeutet Einschränkung des an Marktlagen orientierten menschlichen Handelns. Mit Recht hat namentlich Fichte (im »Geschlossenen Handelsstaat«) diese Einschränkung des »Eigentums«-Begriffs auf Sachgüter (bei gleichzeitiger Ausweitung des im Eigentum enthaltenen Gehalts an Autonomie der Verfügungsgewalt) als Charakteristikum der modernen verkehrswirtschaftlichen Eigentumsordnung bezeichnet. An dieser Gestaltung des Eigentums waren alle Marktinteressenten zugunsten der Unbeengtheit ihrer Orientierung an den Gewinnchancen, welche die Marktlage ergibt, interessiert, und die Entwicklung zu dieser Ausprägung der Eigentumsordnung war daher vornehmlich das Werk ihres Einflusses.

5. Der sonst oft gebrauchte Ausdruck »Gemeinwirtschaft« ist aus Zweckmäßigkeitsgründen vermieden, weil er ein »Gemeininteresse« oder »Gemeinschaftsgefühl« als normal vortäuscht, welches begrifflich nicht erfordert ist: die Wirtschaft eines Fronherrn oder Großkönigs (nach Art des pharaonischen im »Neuen Reich«) gehört, im Gegensatz zur Verkehrswirtschaft, zur gleichen Kategorie wie die eines Familienhaushalts.

6. Der Begriff der »Verkehrswirtschaft« ist indifferent dagegen, ob »kapitalistische«, d.h. an Kapitalrechnung orientierte Wirtschaften und in welchem Umfang sie bestehen. Insbesondere ist dies auch der Normaltypus der Verkehrswirtschaft: die geldwirtschaftliche Bedarfsdeckung. Es wäre falsch anzunehmen, daß die Existenz kapitalistischer Wirtschaften proportional der Entfaltung der geldwirtschaftlichen Bedarfsdeckung stiege, vollends: in der Richtung sich entwickelte, welche sie im Okzident angenommen hat. Das Gegenteil trifft zu. Steigender Umfang der Geldwirtschaft konnte 1. mit steigender Monopolisierung der mit Großprofit verwertbaren Chancen durch einen fürstlichen Oikos Hand in Hand gehen: so in Ägypten in der Ptolemäerzeit bei sehr umfassend – nach Ausweis der erhaltenen Haushaltsbücher – entwickelter Geldwirtschaft: diese blieb eben haushaltsmäßige Geldrechnung und wurde nicht; Kapitalrechnung; – 2. konnte mit steigender Geldwirtschaft »Verpfründung« der fiskalischen Chancen eintreten, mit dem Erfolg der traditionalistischen Stabilisierung der Wirtschaft (so in China, wie am gegebenen Ort zu besprechen sein wird); – 3. konnte die kapitalistische Verwertung von Geldvermögen Anlage in nicht an Tauschchancen eines freien Gütermarkts und also nicht an Güterbeschaffung orientierten Erwerbsgelegenheiten suchen (so, fast ausschließlich, in allen außer den modernen okzidentalen Wirtschaftsgebieten, aus weiterhin zu erörternden Gründen).


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