§ 20. Appropriation der Beschaffungsmittel


§ 20 (noch: II B, vgl. §§ 18, 19). Zu 2. Appropriation der zur Arbeit komplementären sachlichen Beschaffungsmittel. Sie kann sein Appropriation

a) an Arbeiter, einzelne oder Verbände von solchen, oder

b) an Besitzer oder

c) an regulierende Verbände Dritter; ad a) Appropriation an Arbeiter. Sie ist möglich

α. an die einzelnen Arbeiter, die dann »im Besitz« der sachlichen Beschaffungsmittel sind,

β. an einen, völlig oder relativ, geschlossenen Verband von Arbeitenden (Genossen), so daß also zwar nicht der einzelne Arbeiter, aber ein Verband von solchen im Besitz der sachlichen Beschaffungsmittel ist.

Der Verband kann wirtschaften:

αα) als Einheitswirtschaft (kommunistisch),

ββ) mit Appropriation von Anteilen (genossenschaftlich).

Die Appropriation kann in allen diesen Fällen

1. haushaltsmäßig, oder

2. erwerbsmäßig verwertet werden.

 

Der Fall α bedeutet entweder volle verkehrswirtschaftliche Ungebundenheit der im Besitz ihrer sachlichen Beschaffungsmittel befindlichen Kleinbauern oder Handwerker (»Preiswerker« der Bücherschen Terminologie) oder Schiffer oder Fuhrwerksbesitzer. Oder es bestehen unter ihnen wirtschaftsregulierende Verbände s.u. Der Fall β umschließt sehr heterogene Erscheinungen, je nachdem haushaltsmäßig oder erwerbsmäßig gewirtschaftet wird. Die – im Prinzip, nicht notwendig »ursprünglich« oder tatsächlich (s. Kap. V) kommunistische – Hauswirtschaft kann rein eigenbedarfsmäßig orientiert sein. Oder sie kann, zunächst gelegentlich, Überschüsse einer durch Standortsvorzüge (Rohstoffe spezifischer Art) oder spezifisch fachgelernte Kunstübung monopolistisch von ihr hergestellte Erzeugnisse durch Bedarfstausch absetzen. Weiterhin kann sie zum regelmäßigen Erwerbstausch übergehen. Dann pflegen sich »Stammesgewerbe« mit – da die Absatzchancen auf Monopol und, meist, auf ererbtem Geheimnis ruhen – interethnischer Spezialisierung und interethnischem Tausch zu entwickeln, die dann entweder zu Wandergewerben und Pariagewerben oder (bei Vereinigung in einem politischen Verband) zu Kasten (auf der Grundlage interethnischer ritueller Fremdheit) werden, wie in Indien. – Der Fall ββ ist der Fall der »Produktivgenossenschaft«. Hauswirtschaften können sich, bei Eindringen der Geldrechnung, ihm nähern. Sonst findet er sich, als Arbeiterverband, als Gelegenheitserscheinung. In typischer Art wesentlich in einem freilich wichtigen Fall: bei den Bergwerken des frühen Mittelalters.

 

ad b) Appropriation an Besitzer oder Verbände solcher kann – da die Appropriation an einen Arbeiterverband schon besprochen ist – hier nur bedeuten: Expropriation der Arbeiter von den Beschaffungsmitteln, nicht nur als Einzelne, sondern als Gesamtheit. Appropriiert sein können dabei

1. an Besitzer alle oder einige oder einer der folgenden Posten:

α. der Boden (einschließlich von Gewässern)

β. die unterirdischen Bodenschätze,

γ. die Kraftquellen,

δ. die Arbeitswerkstätten,

ε. die Arbeitsmittel (Werkzeuge, Apparate, Maschinen),

ζ. die Rohstoffe. Alle können im Einzelfall in einer und derselben Hand oder sie können auch in verschiedenen Händen appropriiert sein.

Die Besitzer können die ihnen appropriierten Beschaffungsmittel verwerten

α. haushaltsmäßig,

αα. als Mittel eigener Bedarfsdeckung,

ββ. als Rentenquellen, durch Verleihen und zwar

I. zu haushaltsmäßiger Verwendung,

II. zur Verwertung als Erwerbsmittel, und zwar

ααα) in einem Erwerbsbetrieb ohne Kapitalrechnung,

βββ) als Kapitalgüter (in fremder Unternehmung),

endlich

β. als eigene Kapitalgüter (in eigener Unternehmung);

Möglich ist ferner:

2. Appropriation an einen Wirtschaftsverband, für dessen Gebarung dann die gleichen Alternativen wie bei 1 bestehen.

[ad c)] Endlich ist möglich:

3. Appropriation an einen wirtschaftsregulierenden Verband, der die Beschaffungsmittel weder selbst als Kapitalgüter verwertet, noch zu einer Rentenquelle macht, sondern den Genossen darbietet.

 

1. Bodenappropriation findet sich an Einzelwirtschaften primär:

a) auf die Dauer der aktuellen Bestellung bis zur Ernte,

b) soweit der Boden Artefakt war, also:

α. bei Rodung,

β. bei Bewässerung für die Dauer der kontinuierlichen Bestellung. Erst bei fühlbarer Bodenknappheit findet sich

c) Schließung der Zulassung zur Bodenbestellung, Weide- und Holznutzung und Kontingentierung des Maßes der Benutzung für die Genossen des Siedelungsverbandes.

Träger der dann eintretenden Appropriation kann sein

1.) ein Verband, – verschieden groß je nach der

Art der Nutzbarkeit (für Gärten, Wiesen, Äcker, Weiden, Holzungen: Verbände aufsteigender Größe von den Einzelhaushaltungen bis zum »Stamm«).

Typisch:

a) ein Sippen- (oder: daneben)

b) ein Nachbarschaftsverband (normal: Dorfverband) für die Äcker, Wiesen und Weiden,

c) ein wesentlich umfassenderer Markverband verschiedenen Charakters und Umfanges für die Holzungen,

d) die Haushaltungen für Gartenland und Hofstätte unter anteilsmäßiger Beteiligung an Acker und Weiden. Diese anteilsweise Beteiligung kann ihren Ausdruck finden

α. in empirischer Gleichstellung bei den Neubrüchen bei ambulantem Ackerbau (Feldgraswirtschaft),

β. in rationaler systematischer Neuumteilung bei seßhaftem Ackerbau: regelmäßig erst Folge

α.) fiskalischer Ansprüche mit Solidarhaft der Dorfgenossen, oder

β.) der politischen Gleichheitsansprüche der Genossen.

Träger des Betriebes sind normalerweise die Hausgemeinschaften (über deren Entwicklung Kap. V).

2.) Ein Grundherr, gleichviel ob (was später zu erörtern ist) diese Herrenlage ihre Quelle in primärer Sippenhauptsstellung oder Häuptlingswürde mit Bittarbeitsansprüchen (Kap. V) oder in fiskalischen oder militärischen Oktroyierungen oder systematischen Neubrüchen oder Bewässerungen hat.

Die Grundherrschaft kann genutzt werden:

a) mit unfreier (Sklaven- oder Hörigen-)Arbeit

1. haushaltsmäßig

α. durch Abgaben

β. durch Dienstleistungen;

2. erwerbsmäßig: als Plantage

b) mit freier Arbeit:

I. haushaltsmäßig als Rentengrundherrschaft aa) durch Naturalrenten (Naturalteilbau oder Naturalabgabe) von Pächtern, ßß) durch Geldrenten von Pächtern. Beides: aaa) mit eigenem Inventar (Erwerbspächter), ßßß) mit grundherrlichem Inventar (Kolonen);

II. erwerbsmäßig: als rationaler Großbetrieb. Im Fall a, 1 pflegt der Grundherr in der Art der Ausnutzung traditional gebunden zu sein sowohl an die Person der Arbeiter (also: ohne Auslese) wie an ihre Leistungen. Der Fall a, 2 ist nur in den antikkarthagischen und römischen, in den kolonialen und in den nordamerikanischen Plantagen, der Fall b, II nur im modernen Okzident eingetreten. Die Art der Entwicklung der Grundherrschaft (und, vor allem, ihrer Sprengung) entschied über die Art der modernen Appropriationsverhältnisse. Diese kennen im reinen Typus nur die Figuren des a) Bodenbesitzers – b) kapitalistischen Pächters – c) besitzlosen Landarbeiters. Allein dieser reine Typus ist nur die (in England bestehende) Ausnahme.

2. Bergbaulich nutzbare Bodenschätze sind entweder

a) dem Grundbesitzer (in der Vergangenheit meist: Grundherrn) oder

b) einem politischen Herrn (Regalherrn) appropriiert, oder

c) jedem »Finder« abbauwürdigen Vorkommens (»Bergbaufreiheit«), [oder]

d) einem Arbeiterverband, [oder]

e) einer Erwerbs-Unternehmung. Grund- und Regalherren konnten die ihnen appropriierten Vorkommen entweder in eigener Regie abbauen (so im frühen Mittelalter gelegentlich) oder als Rentenquelle benutzen, also verleihen, und zwar entweder

α. an einen Verband von Arbeitern (Berggemeinde), – [vorstehend] Fall d – oder

β. an jeden (oder jeden einem bestimmten Personenkreis zugehörigen) Finder (so auf den »gefreiten Bergen« im Mittelalter, von wo die Bergbaufreiheit ihren Ausgang nahm).

Die Arbeiterverbände nahmen im Mittelalter typisch die Form von Anteilsgenossenschaften mit Pflicht zum Bau (gegenüber den an der Rente interessierten Bergherren oder den solidarisch haftenden Genossen) und Recht auf Ausbeuteanteil, weiterhin von reinen Besitzer-»Genossenschaften« mit Anteilen an Ausbeute und Zubuße an. Der Bergherr wurde zunehmend zugunsten der Arbeiter expropriiert, diese selbst aber mit zunehmendem Bedarf nach Anlagen: von Kapitalgüter besitzenden Gewerken, so daß als Endform der Appropriation sich die kapitalistische »Gewerkschaft« (oder Aktiengesellschaft) ergab.

3. Beschaffungsmittel, welche den Charakter von »Anlagen« [§ 17 S. 67] hatten ([1.] Kraftanlagen, besonders Wasserkraftanlagen, »Mühlen« aller Arten von Zweckverwendung, und [2.] Werkstätten, eventuell mit stehenden Apparaten), sind in der Vergangenheit, besonders im Mittelalter, sehr regelmäßig appropriiert worden:

a) an Fürsten und Grundherren (Fall 1),

b) an Städte (Fall 1 oder 2),

c) an Verbände der Arbeitenden (Zünfte, Gewerkschaften, Fall 2), ohne daß ein Einheitsbetrieb hergestellt worden wäre.

Sondern im Fall a und b findet sich dann Verwertung als Rentenquelle durch Gestattung der Benutzung gegen Entgelt und sehr oft mit Monopolbann und -Zwang zur Nutzung. Die Nutzung erfolgte im Einzelbetrieb reihum oder nach Bedarf, unter Umständen war sie ihrerseits Monopol eines geschlossenen Regulierungsverbandes. Backöfen, Mahlmühlen aller Art (für Getreide und Öl), Walkmühlen, auch Schleifwerke, Schlachthäuser, Färbekessel, Bleichanlagen (z.B. klösterliche), Hammerwerke (diese allerdings regelmäßig zur Verpachtung an Betriebe), ferner Brauereien, Brennereien und andere Anlagen, insbesondere auch Werften (in der Hansa städtischer Besitz) und Verkaufsstände aller Gattungen waren in dieser Art präkapitalistisch durch Gestattung der Nutzung durch Arbeiter gegen Entgelt, also als Vermögen des Besitzers, nicht als Kapitalgut, von diesem (einem Einzelnen oder einem Verband, insbesondere einer Stadt) genutzt. Diese Verwertung und haushaltsmäßige Ausnutzung als Rentenquelle besitzender Einzelner oder Verbände oder die produktivgenossenschaftliche Beschaffung ging der Verwandlung in »stehendes Kapital« von Eigenbetrieben voran. Die Benutzer der Anlagen ihrerseits nutzten sie teils haushaltsmäßig (Backöfen, auch Brauanlagen und Brennanlagen), teils erwerbswirtschaftlich.

4. Für die Seeschiffahrt der Vergangenheit war die Appropriation des Schiffes an eine Mehrheit von Besitzern (Schiffspartenbesitzern), die ihrerseits zunehmend von den nautischen Arbeitern getrennt waren, typisch. Daß die Seefahrt dann zu einer Risiko- Vergesellschaftung mit den Befrachtern führte, und daß Schiffsbesitzer, nautische Leiter und Mannschaft auch als Befrachter mitbeteiligt waren, schuf keine prinzipiell abweichenden Appropriationsverhältnisse, sondern nur Besonderheiten der Abrechnung und also der Erwerbschancen.

5. Daß alle Beschaffungsmittel: Anlagen (jeder Art) und Werkzeuge in einer Hand appropriiert sind, wie es für die heutige Fabrik konstitutiv ist, war in der Vergangenheit die Ausnahme. Insbesondre ist das hellenisch-byzantinische Ergasterion (römisch: ergastulum) in seinem ökonomischen Sinn durchaus vieldeutig, was von Historikern beharrlich verkannt wird. Es war eine »Werkstatt«, welche 1. Bestandteil eines Haushalts sein konnte, in welcher

a) Sklaven bestimmte Arbeiten für den Eigenbedarf (z.B. der Gutswirtschaft) des Herrn verrichteten, oder aber b) Stätte eines »Nebenbetriebes« für den Absatz, auf Sklavenarbeit ruhend. Oder 2. die Werkstatt konnte als Rentenquelle Bestandteil des Besitzes eines Privatmanns oder eines Verbandes (Stadt – so die Ergasterien im Peiraieus) sein, welche gegen Entgelt vermietet wurde an Einzelne oder an Arbeitergenossenschaften. – Wenn also im Ergasterion (insbesondere im städtischen) gearbeitet wurde, so fragt es sich stets: wem gehörte das E. selbst? wem die sonstigen Beschaffungsmittel, die bei der Arbeit verwendet wurden? Arbeiteten freie Arbeiter darin? auf eigene Rechnung? Oder: Sklaven? eventuell: wem gehörten die Sklaven, die darin arbeiteten? arbeiteten sie auf eigene Rechnung (gegen Apophora) oder auf Rechnung des Herrn? Jede Art von Antwort auf diese Fragen ergab ein qualitativ radikal verschiedenes wirtschaftliches Gebilde. In der Masse der Fälle scheint das Ergasterion – wie noch die byzantinischen und islamischen Stiftungen zeigen – als Rentenquelle gegolten zu haben, war also etwas grundsätzlich anderes als jede »Fabrik« oder selbst deren Vorläufer, an ökonomischer Vieldeutigkeit am ehesten den verschiedenen »Mühlen«-Arten des Mittelalters vergleichbar.

6. Auch wo Werkstatt und Betriebsmittel einem Besitzer appropriiert sind und er Arbeiter mietet, ist ökonomisch noch nicht jener Tatbestand erreicht, welchen wir üblicherweise heute »Fabrik« nennen, solange 1. die mechanische Kraftquelle, 2. die Maschine, 3. die innere Arbeitsspezialisierung und Arbeitsverbindung nicht vorliegen. Die »Fabrik« ist heute eine Kategorie der kapitalistischen Wirtschaft.

Es soll der Begriff auch hier nur im Sinn eines Betriebes gebraucht werden, der Gegenstand einer Unternehmung mit stehendem Kapital sein kann, welcher also die Form eines Werkstattbetriebes mit innerer Arbeitsteilung und Appropriation aller sachlichen Betriebsmittel, bei mechanisierter, also Motoren- und Maschinen- orientierter Arbeit besitzt. Die große, von Zeitdichtern besungene Werkstatt des »Jack of Newbury« (16. Jahrhundert), in welcher angeblich hunderte von Hand-Webstühlen standen, die sein Eigentum waren, an welchen selbständig, wie zu Hause, nebeneinander gearbeitet und die Rohstoffe für den Arbeiter vom Unternehmer gekauft wurden und allerhand »Wohlfahrtseinrichtungen« bestanden, entbehrte aller dieser Merkmale. Ein im Besitz eines Herrn von (unfreien) Arbeitern befindliches ägyptisches, hellenistisches, byzantinisches, islamisches Ergasterion konnte – solche Fälle finden sich unzweifelhaft – mit innerer Arbeitsspezialisierung und Arbeitsverbindung arbeiten. Aber schon der Umstand, daß auch in diesem Fall der Herr sich gelegentlich mit Apophora (von jedem Arbeiter, vom Vorarbeiter mit erhöhter Apophora) begnügte (wie die griechischen Quellen deutlich ergeben), muß davor warnen, es einer »Fabrik«, ja selbst nur einem Werkstattbetriebe von der Art des »Jack of Newbury«, ökonomisch gleichzusetzen. Die fürstlichen Manufakturen, so die kaiserlich chinesische Porzellanmanufaktur und die ihr nachgebildeten europäischen Werkstattbetriebe für höfische Luxusbedürfnisse, vor allem aber: für Heeresbedarf, stehen der »Fabrik« im üblichen Wortsinn am nächsten. Es kann niemand verwehrt werden, sie »Fabriken« zu nennen. Erst recht nahe standen äußerlich der modernen Fabrik die russischen Werkstattbetriebe mit Leibeigenenarbeit. Der Appropriation der Beschaffungsmittel trat hier die Appropriation der Arbeiter hinzu. Hier soll der Begriff »Fabrik« aus dem angegebenen Grunde nur für Werkstattbetriebe mit 1. an Besitzer voll appropriierten sachlichen Beschaffungsmitteln, ohne Appropriation der Arbeiter, – 2. mit innerer Leistungsspezialisierung, – 3. mit Verwendung mechanischer Kraftquellen und Maschinen, welche »Bedienung« erfordern, gebraucht werden. Alle anderen Arten von »Werkstattbetrieben« werden mit diesem Namen und entsprechenden Zusätzen bezeichnet.


 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 14:35:55 •
Seite zuletzt aktualisiert: 26.09.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright